hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 556

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 6/22, Beschluss v. 22.02.2022, HRRS 2022 Nr. 556


BGH 3 StR 6/22 - Beschluss vom 22. Februar 2022 (LG Trier)

Betäubungsmitteldelikte (Handeltreiben; Erwerb; Besitz; Konkurrenzen); Verhältnis von Unterbringung in der Entziehungsanstalt und Zurückstellen der Strafvollstreckung.

§ 29 BtMG; § 35 BtMG; § 52 StGB; § 53 StGB; § 64 StGB;

Leitsatz des Bearbeiters

Die Maßregel nach § 64 StGB geht der Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG vor. Die Beurteilung der konkreten Erfolgsaussicht bedarf einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände. Das Tatgericht hat insbesondere zu prüfen, ob die Chance besteht, die Bereitschaft für eine erfolgversprechende Behandlung während der Therapie nach § 64 StGB zu wecken.

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 13. Oktober 2021

in den Schuldsprüchen dahin geändert, dass schuldig sind

der Angeklagte S. des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln, des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln in vier Fällen und der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in neun Fällen, davon in acht Fällen in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, der Angeklagte N. des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis,

die Mitangeklagte O. der Beihilfe zum Handeltreiben in nicht geringer Menge in zwei Fällen;

aufgehoben,

soweit es die Angeklagten und die Mitangeklagte betrifft, in den jeweiligen Aussprüchen über die Einzelstrafen in den Fällen II.5 und II.7 der Urteilsgründe und die Gesamtstrafen; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten;

mit den zugehörigen Feststellungen, soweit von der Unterbringung der Angeklagten S. und N. in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist;

in den Aussprüchen über die Einziehung des Wertes von Taterträgen dahin ergänzt, dass die beiden Angeklagten jeweils in Höhe von 500 € als Gesamtschuldner haften.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten und die Mitangeklagte wie folgt verurteilt:

den Angeklagten S. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln in vier Fällen, davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln, und wegen Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in neun Fällen, davon in acht Fällen in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren,

den Angeklagten N. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten sowie

die Mitangeklagte O. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

Ferner hat die Strafkammer Werte von Taterträgen eingezogen.

Die von den Angeklagten auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen haben - partiell gemäß § 357 StPO auch zugunsten der Mitangeklagten - den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Im Einzelnen:

1. Soweit die Strafkammer den Angeklagten S. in Fall II.4 der Urteilsgründe wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln verurteilt hat, hat der Besitz zu entfallen. Nach den getroffenen Feststellungen erhielt der Angeklagte Ecstasy und Marihuana von unbekannten Personen, das Ecstasy gratis, das Marihuana, von dem er ein Fünftel selbst konsumieren und den Rest veräußern wollte, zu einem bestimmten Kaufpreis. Damit erlangte er beide Betäubungsmittel im einverständlichen Zusammenwirken mit den jeweiligen Vorbesitzern. In dem hierdurch verwirklichten Erwerb der Drogen - auf die Entgeltlichkeit kommt es insoweit nicht an (Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, § 29 Rn. 890) - geht der als Auffangtatbestand ausgestaltete anschließende Besitz auf (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 5. Februar 2020 - 3 StR 536/19, juris Rn. 13).

2. a) In den Fällen II.5 und II.7 der Urteilsgründe tragen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht die Annahme von Tatmehrheit. Hiernach bezogen die Angeklagten zweifach größere Volumina Amphetaminbase „auf Kommission“ von ihrem Lieferanten, um sie gewinnbringend zu veräußern. Den gestundeten Kaufpreis für die erste Menge entrichtete der Angeklagte N. anlässlich des Erwerbs der zweiten. Die Strafkammer hat dieses Tatgeschehen als zweifaches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 25 Abs. 2, § 53 Abs. 1 StGB gewertet, für den Angeklagten N. im zweiten Fall in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis. Dabei ist dem Landgericht aus dem Blick geraten, dass sich bei derartigen Kommissionsgeschäften die tatbestandlichen Ausführungshandlungen der jeweiligen Ankäufe überschneiden. Es liegt dann gleichartige Tateinheit gemäß § 52 Abs. 1 StGB vor (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1 Rn. 13 ff. mwN; vom 14. Mai 2019 - 3 StR 65/19, juris Rn. 9 mwN).

b) Dies alles betrifft die Mitangeklagte in gleicher Weise (§ 357 Satz 1 StPO). Nach den getroffenen Feststellungen leistete sie in den Fällen II.5 und II.7 Beihilfe. Wegen der Akzessorietät der Teilnahme gilt, dass mehrere (natürliche und an sich selbständige) Beihilfehandlungen zu einer einheitlichen Tat im Rechtssinne zusammengefasst werden, wenn dies bei den Taten des Täters der Fall ist, zu denen der Gehilfe Beiträge erbrachte (BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2015 - 4 StR 440/14, NStZ-RR 2015, 113; vom 14. Mai 2019 - 3 StR 65/19, juris Rn. 13).

c) Analog § 354 Abs. 1 StPO sind die Schuldsprüche entsprechend zu ändern. Der Senat hat aus Gründen der Übersichtlichkeit davon abgesehen, die zweifache tateinheitliche Verwirklichung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 BtMG in der Beschlussformel zum Ausdruck zu bringen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 31. Mai 2016 - 3 StR 54/16, NStZ-RR 2016, 274, 275). § 265 StPO steht der Änderung nicht entgegen, da sich die geständigen Angeklagten nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.

Dies bedingt die Aufhebung der in den Fällen II.5 und II.7 der Urteilsgründe gegen die Angeklagten sowie die Mitangeklagte verhängten Einzelstrafen und bringt auch die Gesamtfreiheitsstrafen zu Fall. Die der Strafzumessung zugrundeliegenden Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

3. Die Entscheidung des Landgerichts, von der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, hält sachlich-rechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand.

Die Strafkammer hat einen Hang der Angeklagten, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, angenommen, jeweils den symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang und den abgeurteilten Taten bejaht und die Prognose gestellt, dass sie unbehandelt wahrscheinlich fortan vergleichbare Delikte begehen werden. Sie hat jedoch für beide die Erfolgsaussicht einer Unterbringung verneint, weil sie eine Therapiemotivation jeweils nur für eine Entwöhnungsbehandlung nach § 35 BtMG erkennen könne. Eine solche Maßnahme hat sie überdies für „ausreichend“ und diejenige nach § 64 StGB für „nicht erforderlich“ erachtet.

Diese Erwägungen tragen das Absehen von der Unterbringung nicht. Die Maßregel nach § 64 StGB geht der Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG vor (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom 11. Juli 2013 - 3 StR 193/13, juris Rn. 5 mwN; vom 5. April 2016 - 3 StR 554/15, NStZ-RR 2016, 209, 210). Die Beurteilung der konkreten Erfolgsaussicht bedarf einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände. Das Tatgericht hat insbesondere zu prüfen, ob die Chance besteht, die Bereitschaft für eine erfolgversprechende Behandlung während der Therapie nach § 64 StGB zu wecken (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 25. April 2013 - 5 StR 104/13, NStZ-RR 2013, 239, 240 mwN). Hierzu verhalten sich die Urteilsgründe nicht.

Über die Frage der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ist deshalb unter erneuter Hinzuziehung eines - gegebenenfalls anderen - Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) neu zu verhandeln und zu entscheiden. Dass nur die Angeklagten Revision eingelegt haben, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht. Die Beschwerdeführer haben die Nichtanwendung des § 64 StGB auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (BGH, Beschluss vom 29. September 2020 - 3 StR 195/20, juris Rn. 5 f. mwN).

4. Schließlich bedarf die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB der Ergänzung. Denn in Fall II.5 der Urteilsgründe ist festgestellt, dass der Angeklagte S. durch den Betäubungsmittelverkauf die bei ihm als Wertersatz eingezogenen 3.000 € Gewinn erzielte und daraus dem Angeklagten N. die bei jenem als Wertersatz eingezogenen 500 € auszahlte. Damit verfügten beide über die nämlichen 500 € und haften insoweit als Gesamtschuldner. Das ist in der Entscheidungsformel zu kennzeichnen, um eine doppelte Inanspruchnahme zu vermeiden (s. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2020 - 3 StR 289/20, juris Rn. 5).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 556

Bearbeiter: Christian Becker