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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 774

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 118/22, Beschluss v. 01.06.2022, HRRS 2022 Nr. 774


BGH 3 StR 118/22 - Beschluss vom 1. Juni 2022 (auswärtige Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers)

Täterschaftliche Beteiligung am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Beteiligung am Umsatzgeschäft erforderlich).

§ 29 BtMG; § 25 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gelten auch im Betäubungsmittelrecht die Grundsätze des allgemeinen Strafrechts. Beschränkt sich die Beteiligung des Täters am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts, so kommt es nicht allein oder entscheidend darauf an, welches Maß an Selbständigkeit und Tatherrschaft der Beteiligte hinsichtlich dieses Teilakts innehat. Abzustellen ist vielmehr darauf, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt. Maßgeblich sind insoweit insbesondere der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass Durchführung und Ausgang der Haupttat maßgeblich auch vom Willen des Täters abhängt.

2. Nach diesen Maßstäben genügt es für ein (mit-)täterschaftliches Handeltreiben in der Regel nicht, dass ein an der Errichtung einer Cannabisplantage Beteiligter im weiteren Verlauf lediglich Aufgaben beim Düngen und Bewässern der Cannabispflanzen wahrnimmt, bei denen er den Instruktionen eines anderen Tatbeteiligten folgt, der über Fachkenntnisse und Erfahrungen beim Cannabisanbau verfügte. Ein täterschaftliches Handeltreiben setzt vielmehr eine Beteiligung am Umsatzgeschäft voraus, etwa die Einbindung in den beabsichtigten Verkauf oder eine anteilige Partizipation am Erlös.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der auswärtigen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 13. Dezember 2021

- auch soweit es den Mitangeklagten betrifft - im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagten jeweils des Bandenanbaus von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig sind;

im Ausspruch über die Einziehung dahin ergänzt, dass 611 in Blüte stehende Cannabispflanzen mit einer Gesamtmenge von etwa 8.960 g Marihuana eingezogen werden.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten A. und den Mitangeklagten M. wegen „bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten bzw. einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Es hat außerdem Einziehungsentscheidungen getroffen und dabei unter anderem die nicht näher bezeichneten sichergestellten Betäubungsmittel eingezogen. Die von dem Angeklagten auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat - gemäß § 357 StPO auch zugunsten des Mitangeklagten - den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte und der Mitangeklagte im Auftrag eines Mitglieds des Rockerclubs der H. Anfang des Jahres 2020 eine Indoor-Plantage zur gewinnbringenden Aufzucht von Cannabispflanzen in einer Lagerhalle in Xanten errichteten. Unterstützt wurden sie von einem Installateur, der über Fachkenntnisse und Erfahrungen beim Cannabisanbau verfügte und mit dem sich die drei vorgenannten Personen zur Begehung von Betäubungsmittelstraftaten zusammengeschlossen hatten. Nachdem es bereits - insoweit nicht verfahrensgegenständlich - zu einer Ernte im Oktober oder November 2020 gekommen war, besorgte der Installateur neue Cannabissetzlinge; in der Folge wurden insgesamt 611 Pflanzen aufgezogen. Dem Angeklagten und dem Mitangeklagten oblagen die Bewässerung und das Düngen der Pflanzen nach Instruktion des Installateurs. Sie sollten für ihre Tätigkeit einen Geldbetrag von 2.000 bis 4.000 € erhalten. Bei einer Durchsuchung am 1. April 2021 wurden in Blüte stehende Pflanzen mit einer Gesamtmenge von etwa 8.960 g Marihuana und einem Wirkstoffgehalt von 960 g THC sichergestellt.

II. Das Rechtsmittel hat in Bezug auf den Schuldspruch den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.

1. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen werden durch die Beweiswürdigung belegt und tragen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen auch die Annahme der bandenmäßigen Begehung der Tat.

2. Soweit das Landgericht im Schuldspruch auf ein täterschaftlich begangenes Handeltreiben im Sinne von § 30a Abs. 1 BtMG erkannt hat, hält dies der rechtlichen Nachprüfung nicht stand (a). Den Feststellungen lassen sich hingegen der täterschaftliche Bandenanbau von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 1 BtMG) und die Beihilfe zum Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 1 BtMG, § 27 StGB) entnehmen, weshalb der Schuldspruch in diesem Sinne neu zu fassen ist (b). Der Strafausspruch beruht nicht auf dem rechtsfehlerhaften Schuldspruch und kann daher bestehen bleiben (c). Vorstehendes gilt in entsprechender Weise für den Mitangeklagten (d). Im Einzelnen:

a) Für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gelten auch im Betäubungsmittelrecht die Grundsätze des allgemeinen Strafrechts. Beschränkt sich die Beteiligung des Täters am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts, so kommt es nicht allein oder entscheidend darauf an, welches Maß an Selbständigkeit und Tatherrschaft der Beteiligte hinsichtlich dieses Teilakts innehat. Abzustellen ist vielmehr darauf, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt. Maßgeblich sind insoweit insbesondere der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass Durchführung und Ausgang der Haupttat maßgeblich auch vom Willen des Täters abhängt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 13. April 2021 - 4 StR 506/20, juris Rn. 5; Urteile vom 1. August 2012 - 5 StR 176/12, juris Rn. 9; vom 28. Februar 2007 - 2 StR 516/06, BGHSt 51, 219 Rn. 6 ff.).

Gemessen daran ist - selbst falls man dem Tatgericht einen Beurteilungsspielraum einräumen wollte (vgl. dazu die Rechtsprechungsnachweise bei Harden, NStZ 2021, 193 f.) - die Wertung des Landgerichts rechtsfehlerhaft, der Angeklagte habe sich am Betäubungsmittelhandel mittäterschaftlich beteiligt. Er nahm im Rahmen der verfahrensgegenständlichen Tat lediglich Aufgaben beim Düngen und Bewässern der Cannabispflanzen wahr. Dabei folgte er den Instruktionen eines anderen Tatbeteiligten, der über Fachkenntnisse und Erfahrungen beim Cannabisanbau verfügte. Zwar hatte der Angeklagte neben anderen Personen bereits an der Errichtung der Cannabisplantage mitgewirkt. Seine Beteiligung am Umsatzgeschäft hat das Landgericht aber nicht festzustellen vermocht, insbesondere nicht, dass er in den beabsichtigten Verkauf eingebunden war oder anteilig am Erlös der Umsatzgeschäfte partizipieren sollte (vgl. BGH, Urteil vom 1. August 2012 - 5 StR 176/12, juris Rn. 11; Beschluss vom 7. Oktober 2010 - 3 StR 363/10, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 74 Rn. 10).

b) Der Angeklagte ist aber des Bandenanbaus von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig. Er wirkte im Rahmen der Bandenabrede unmittelbar an der Pflege und Aufzucht der Pflanzen mit und leistete damit auch Hilfe zum Betäubungsmittelhandel. Angesichts der in der Beweiswürdigung mitgeteilten Erkenntnisse ist auszuschließen, dass nach einer Aufhebung und Zurückverweisung weitere, einen Schuldspruch wegen täterschaftlichen Handeltreibens tragende Feststellungen getroffen werden könnten. Der Senat ändert den Schuldspruch daher entsprechend (§ 354 Abs. 1 StPO analog). § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der geständige Angeklagte gegen diesen Vorwurf nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

c) Es ist auszuschließen, dass das Tatgericht im Fall einer Verurteilung wegen täterschaftlichen Bandenanbaus anstatt Bandenhandels eine geringere Strafe verhängt hätte. Beiden Begehensformen des § 30a Abs. 1 BtMG liegt derselbe Strafrahmen zugrunde. Die bei der Annahme des minder schweren Falls nach § 30a Abs. 3 BtMG und bei der Strafzumessung im engeren Sinne von der Strafkammer herangezogenen Zumessungsgesichtspunkte gelten in gleicher Weise für die Tatbestandsvariante des Bandenanbaus. Unabhängig davon, ob die vom Landgericht angenommene Sperrwirkung des § 29a Abs. 1 BtMG angesichts der abweichenden rechtlichen Würdigung zu entfallen oder aufgrund des Vorliegens einer anderen Tatvariante des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Bestand hätte (vgl. zur Besitzstrafbarkeit beim Anbau BGH, Beschluss vom 26. Januar 2011 - 5 StR 555/10, juris Rn. 12 f.; Urteil vom 13. Februar 1990 - 1 StR 708/89, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Anbau 1; MüKoStGB/O?lakc?o?lu, 4. Aufl., BtMG § 29 Rn. 1069), wäre dies für die Strafzumessung ohne Einfluss geblieben. Die Strafkammer hat nicht auf eine Strafe im unteren Bereich des Strafrahmens erkannt, sodass für die verhängte Strafe nicht maßgebend war, ob dieser von sechs Monaten oder von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe reichte.

d) Die Änderung des Schuldspruchs ist gemäß § 357 StPO auf den Mitangeklagten zu erstrecken. Sein Tatbeitrag und -interesse unterscheiden sich nicht von denjenigen des Angeklagten. Auswirkungen auf den Strafausspruch ergeben sich bei ihm ebenfalls nicht. Die Strafkammer ist insoweit vom Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG ausgegangen und hat mit Verweis auf das besonders frühzeitige Geständnis sowie die damit einhergehende Tataufklärung auf eine maßvolle Strafe erkannt, ohne eine Sperrwirkung des § 29a Abs. 1 BtMG anzunehmen.

3. Die Einziehungsentscheidung entspricht nicht den rechtlichen Anforderungen, da die aufgeführten Betäubungsmittel nicht so genau genannt sind, dass Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. November 2019 - 2 StR 246/19, juris Rn. 29; vom 26. Januar 2017 - 5 StR 531/16, juris Rn. 2). Der Senat holt dies durch nähere Bezeichnung von Art und Menge in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO nach.

4. Angesichts des geringen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 774

Bearbeiter: Christian Becker