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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1082

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 247/21, Beschluss v. 24.08.2021, HRRS 2021 Nr. 1082


BGH 3 StR 247/21 - Beschluss vom 24. August 2021 (LG Krefeld)

BGHR; teilweise Zerstören eines der Wohnung von Menschen dienenden Gebäudes bei wiederholter Brandlegung in Bezug auf dasselbe Objekt (Unbenutzbarkeit; abstrakte Gefahren für Leib und Leben; brandbedingte Einwirkungen auf die Sachsubstanz).

§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB

Leitsätze

1. Ein Gebäude, das der Wohnung von Menschen dient, kann durch eine Brandlegung auch dann teilweise zerstört werden, wenn die betroffene Wohnung bereits wegen einer vorangegangenen Brandstiftung nicht nutzbar war. (BGHR)

2. Der Tatbestand des § 306a Abs. 1 StGB erfasst abstrakte Gefahren für Leib und Leben von Menschen, die sich aus der teilweisen Zerstörung von Wohngebäuden durch Brandlegung wegen des damit verbundenen generellen hohen Gefährdungspotentials ergeben. Solche Gefahren gehen regelmäßig auch mit einer wiederholten Brandlegung in Bezug auf dasselbe Objekt einher. Unabhängig davon, ob eine Wohnung bereits zuvor unbrauchbar war, drohen etwa allgemein Gefahren für sonstige Hausbewohner oder Rettungskräfte. (Bearbeiter)

3. § 306a Abs. 1 StGB hat in der Variante des teilweisen Zerstörens durch eine Brandlegung vor allem brandbedingte Einwirkungen auf die Sachsubstanz des Wohnobjekts im Blick, nicht dagegen allein ein Hervorrufen der Unbenutzbarkeit. Die Unbrauchbarkeit einer Untereinheit ist vielmehr für die Frage von Belang, ob die Beeinträchtigungen von solchem Gewicht sind, dass ein teilweises Zerstören des Gebäudes vorliegt. Dabei braucht die Nutzungsbeschränkung nicht von Dauer zu sein. Obschon der betroffene Zeitraum beträchtlich sein muss und wenige Stunden oder ein Tag nicht ausreichen, können nach den Umständen des Einzelfalls zwei Tage genügen. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 19. März 2021 wird als unbegründet verworfen; jedoch wird der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der fahrlässigen schweren Brandstiftung schuldig ist. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen ?fahrlässiger Brandstiftung? zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, ihn im Übrigen freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg, hat aber die Änderung des Schuldspruchs zur Folge.

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen verbrannte der Angeklagte am 29. September 2020 Fotos in einem Plastikeimer. Als das Feuer auf den Eimer übergriff und Löschbemühungen des Angeklagten vergeblich blieben, verließ er die Wohnung. Durch Hitzeentwicklung und Rauchgase wurden Elektroleitungen in einer Wand zwischen Küche und Badezimmer, ein Durchlauferhitzer, der Laminatboden der Küche sowie die Küchenzeile zerstört. Aufgrund der Brandschäden erklärte das Bauordnungsamt die Wohnung für unbewohnbar.

2 Die Nutzung der anderen Wohnungen wurde untersagt, da infolge des Brandes ein zweiter Rettungsweg fehlte. Die Folgen waren für den Angeklagten spätestens beim Verlassen der Brandstelle vorhersehbar und bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt vermeidbar.

Der Angeklagte kehrte wieder in die Wohnung zurück und entschloss sich am 10. Oktober 2020 in Suizidabsicht, das Haus in Brand zu setzen. Dazu entzündete er im Badezimmer verschiedene Textilien. Dadurch gerieten die hölzerne Badezimmertür und Türzargen in Brand. Das Badezimmerfenster und elektrische Installationen wurden zerstört sowie Decken und Wände derart durch Ruß- und Raucheintrag beschädigt, dass sie nebst Dämmung durch die Feuerwehr entfernt werden mussten. Die sanitären Anlagen und eine Waschmaschine wurden komplett unbrauchbar. Die Wohnung war erneut nicht nur vorübergehend unbewohnbar; es waren umfassende Sanierungsarbeiten erforderlich.

Nachdem Polizeibeamte an dem Haus angekommen waren, schlug der Angeklagte mit einer Metallstange in deren Richtung, nahm einen von ihnen in den Schwitzkasten und spuckte.

Der Angeklagte war bei allen Taten aufgrund einer krankhaften seelischen Störung lediglich eingeschränkt in der Lage, entsprechend dem erkannten Unrecht seiner Tat zu handeln. In Bezug auf den zweiten Tattag hat die Strafkammer es für möglich gehalten, dass die Steuerungsfähigkeit aufgehoben gewesen sei.

2. Das Rechtsmittel ist im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Näherer Ausführungen bedarf allein, dass das Landgericht zutreffend angenommen hat, der Tatbestand der schweren Brandstiftung nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB sei durch das zweite Brandgeschehen ungeachtet der bereits zuvor eingetretenen Brandschäden verwirklicht worden. Ein Gebäude, das der Wohnung von Menschen dient, kann durch eine Brandlegung auch dann teilweise zerstört werden, wenn die betroffene Wohnung bereits wegen einer vorangegangenen Brandstiftung nicht nutzbar war.

a) Ein teilweises Zerstören liegt bei einer Brandstiftung in einem Mehrfamilienhaus grundsätzlich vor, wenn ein zum selbständigen Gebrauch bestimmter Teil des Wohngebäudes durch die Brandlegung für Wohnzwecke unbrauchbar geworden ist (s. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2002 - 4 StR 165/02, BGHSt 48, 14, 20; Beschlüsse vom 18. November 2020 - 4 StR 35/20, NJW 2021, 1107 Rn. 10; vom 21. Januar 2020 - 3 StR 392/19, StV 2020, 597 Rn. 7 f.). Ob ein solcher Zerstörungserfolg eingetreten ist, muss das Tatgericht nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der konkreten Nutzungszwecke beurteilen (BGH, Beschluss vom 14. November 2019 - 3 StR 408/19, BGHR StGB § 306a Abs. 1 Nr. 1 Teilweises Zerstören 1 Rn. 9).

b) Dass eine Wohnung nach diesen Maßstäben bereits unbrauchbar gewesen ist, steht ihrer weiteren Zerstörung und mithin derjenigen des gesamten Gebäudes nicht entgegen.

Der Gesetzgeber hatte mit der Tatbestandserweiterung des § 306 Abs. 1 StGB durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG, BGBl. I 1998 S. 164) und dem damit verfolgten Anliegen, erheblichen Menschengefährdungen und hohen Sachschäden ebenso zu begegnen wie bei Brandstiftungen ?herkömmlicher Art? (s. BT-Drucks. 13/8587 S. 26), brandbedingte Einwirkungen auf die Sachsubstanz des Wohnobjekts im Blick, nicht dagegen allein ein Hervorrufen der Unbenutzbarkeit (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 2018 - 3 StR 13/18, NJW 2019, 90 Rn. 26). Die Unbrauchbarkeit einer Untereinheit ist vielmehr für die Frage von Belang, ob die Beeinträchtigungen von solchem Gewicht sind, dass ein teilweises Zerstören des Gebäudes vorliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2011 - 4 StR 344/11, BGHSt 57, 50 Rn. 7; Urteil vom 17. November 2010 - 2 StR 399/10, BGHSt 56, 94 Rn. 9). Dabei braucht die Nutzungsbeschränkung nicht von Dauer zu sein. Obschon der betroffene Zeitraum beträchtlich sein muss und wenige Stunden oder ein Tag nicht ausreichen, können nach den Umständen des Einzelfalls zwei Tage genügen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2020 - 3 StR 392/19, StV 2020, 597 Rn. 8 f.).

Danach kann eine aufgrund von Brandschäden länger nicht brauchbare Wohnung abermals durch Brandlegung zerstört werden. Eine weitere Beeinträchtigung der Sachsubstanz kommt - je nach dem Umfang der Vorschädigung - noch in Betracht. Ob sie von solchem Gewicht ist, dass sie eigenständig als teilweise Zerstörung des Gebäudes zu werten ist, ist anhand der allgemeinen Maßstäbe zu klären.

Für eine solche Möglichkeit der wiederholten Brandlegung in Bezug auf dasselbe Objekt spricht insbesondere, dass regelmäßig nicht allein die Unbenutzbarkeit von Gebäudebestandteilen noch erweitert wird, sondern mit der erneuten Brandlegung auch erhebliche Personen- und Sachgefährdungen einhergehen. Unabhängig davon, ob eine Wohnung bereits zuvor unbrauchbar war, drohen allgemein Gefahren für sonstige Hausbewohner oder Rettungskräfte. Da zudem für die Beurteilung der Unbrauchbarkeit ein an einem ?verständigen Wohnungsinhaber? ausgerichteter objektiver Maßstab heranzuziehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. September 2017 - 5 StR 222/17, NJW 2018, 246 Rn. 12 mwN), können überdies - wie etwa die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zeigen - diesen Maßstab nicht beachtende, in der zerstörten Wohnung lebende Menschen gefährdet sein. Der Tatbestand des § 306a Abs. 1 StGB erfasst gerade abstrakte Gefahren für Leib und Leben von Menschen, die sich aus der teilweisen Zerstörung von Wohngebäuden durch Brandlegung wegen des damit verbundenen generellen hohen Gefährdungspotentials ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2010 - 2 StR 399/10, BGHSt 56, 94 Rn. 10).

Insgesamt ist vor diesem Hintergrund weder nach dem Wortlaut der Norm noch nach dem Gesetzeszweck eine enge Auslegung geboten, nach der eine bereits durch Brandlegung unbrauchbare Wohnung als taugliches Tatobjekt generell ausscheidet.

c) Demgemäß tragen die Urteilsgründe die rechtliche Bewertung, dass der Angeklagte durch die zweite Brandlegung das Wohngebäude durch Brandlegung weiter zerstörte. Der Brand führte zur Unbrauchbarkeit verschiedener zuvor noch nicht betroffener Wohnungsbestandteile und machte zusätzliche Sanierungsarbeiten erforderlich, welche die Nutzbarkeit weitergehend einschränkten. Daher kann hier dahinstehen, ob im Übrigen in Bezug auf den nicht näher konkretisierten Brand einer Zimmertür eine Inbrandsetzung des Gebäudes anzunehmen ist (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 9. Februar 1988 - 4 StR 9/88, BGHR StGB § 63 Tat 1 mwN).

3. Allerdings ist der Schuldspruch klarzustellen. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, zerstörte der Angeklagte durch die erste Tat ein Tatobjekt im Sinne des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Dies ist auch bei einer fahrlässigen Tatbegehung nach § 306d Abs. 1 StGB im Tenor zum Ausdruck zu bringen (vgl. allgemein Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 260 Rn. 23; zum Konkurrenzverhältnis zwischen [?einfacher?] Brandstiftung und schwerer Brandstiftung BGH, Beschluss vom 21. November 2000 - 1 StR 438/00, BGHR StGB § 306 Abs. 1 Konkurrenzen 1).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1082

Externe Fundstellen: NJW 2021, 3205; NStZ 2022, 168; StV 2022, 442

Bearbeiter: Christian Becker