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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 312

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 424/20, Beschluss v. 23.02.2021, HRRS 2021 Nr. 312


BGH 3 StR 424/20 - Beschluss vom 23. Februar 2021 (LG Koblenz)

Bandenmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Unterscheidung von Bandenmitgliedschaft und Beteiligung an einer Bandentat; Mittäterschaft; Zurechnung).

§ 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 25 Abs. 2 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Die Bandenmitgliedschaft einerseits und die Beteiligung an einer Bandentat andererseits sind unabhängig voneinander zu beurteilen. Liegt eine Bande vor, bedeutet das nicht, dass jede von einem Bandenmitglied aufgrund der Bandenabrede begangene Tat den anderen Bandenmitgliedern ohne weiteres über § 25 Abs. 2 StGB als gemeinschaftlich begangene Straftat zugerechnet werden kann. Vielmehr ist für jede einzelne Straftat nach den allgemeinen Kriterien der Täterschaft und Teilnahme festzustellen, ob das einzelne Bandenmitglied sich an der Tat als Täter oder Teilnehmer oder ggf. gar nicht beteiligt hat.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten N. wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 22. Juni 2020 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit es

den Angeklagten N. und den Mitangeklagten A. betrifft, im Fall II.8 der Urteilsgründe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe;

den Mitangeklagten Z. betrifft, im Strafausspruch.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten N. wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in drei Fällen, Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahren in 27 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren, den Mitangeklagten A. wegen bewaffneten Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln unter Einbeziehung einer Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 12. Juni 2019 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten sowie den Mitangeklagten Z. wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Überdies hat es die Unterbringung der Mitangeklagten A. und Z. in einer Entziehungsanstalt angeordnet und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die von dem Angeklagten N. auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat - gemäß § 357 StPO auch zugunsten der Mitangeklagten A. und Z. - den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Der Erörterung bedarf lediglich die Verurteilung des Angeklagten N. im Fall II.8 der Urteilsgründe wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG).

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts entschloss sich der zwischenzeitlich rechtskräftig Verurteilte B. spätestens im Jahr 2018, im großen Umfang Betäubungsmittel im Stadtgebiet von A. zu verkaufen, um seine allgemeine Lebensführung und seinen Drogenkonsum finanzieren zu können. Diesem Vorhaben schlossen sich zunächst der Angeklagte N. und der Mitangeklagte A., spätestens am 15. Januar 2019 auch der Mitangeklagte Z. an. B. beschaffte für die Gruppierung Betäubungsmittel in Form von Marihuana, Haschisch, Amphetamin sowie Ecstasy-Tabletten und lagerte diese in seinem unmittelbaren Zugriffsbereich in seiner jeweiligen Wohnung. Die zum Weiterverkauf bestimmten Drogenmengen verteilte er insbesondere an den Angeklagten N. und den Mitangeklagten A., die diese sodann im Stadtgebiet von A. veräußerten. Auch der Mitangeklagte Z. erhielt von B. einen Drogenbestand zum selbständigen Weiterverkauf und leistete Unterstützungsleistungen im Interesse der Gruppierung etwa durch eigene Straßenverkäufe. Sämtliche Verkaufserlöse wurden durch die Beteiligten an B. abgeführt, der seinerseits an den Angeklagten N. und die Mitangeklagten Geldbeträge in nicht feststellbarer Höhe auskehrte.

Im Rahmen des polizeilichen Zugriffs am 4. Juli 2019 wurden in der Wohnung des Angeklagten N. 2,6 Gramm Marihuana und 18 Ecstasy-Tabletten sichergestellt. Überdies hatte er vor seiner Festnahme eine Papiertüte mit 23 Ecstasy-Tabletten und insgesamt 41,47 Gramm Marihuana auf einer Sitzbank abgelegt. Der Mitangeklagte A. führte bei seiner Festnahme insgesamt 10,5 Gramm Marihuana, 0,9 Gramm Amphetamin und 0,5 Gramm Haschisch mit sich. Er war ferner im Besitz eines Klappmessers, das er bei sich trug, um es als Verteidigungsmittel im Rahmen seiner Betäubungsmittelgeschäfte einsetzen zu können. B. und der Mitangeklagte Z. bewohnten zum Zeitpunkt der Durchsuchung gemeinsam eine Wohnung. In dem Zimmer des Z. wurden anlässlich der polizeilichen Maßnahme Marihuana und Haschisch mit einer Gesamtwirkstoffmenge von 10,3 Gramm THC aufgefunden; in den durch B. genutzten Räumlichkeiten wurden Betäubungsmittel in größeren Mengen sichergestellt, die zum Verkauf innerhalb der Gruppierung bestimmt waren.

Das Landgericht hat dem Angeklagten N. sowie den Mitangeklagten A. und Z. - neben den bei ihnen sichergestellten Betäubungsmitteln - auch die bei B. aufgefundenen Drogenmengen - abzüglich eines 10 %igen Eigenkonsumsanteils - zugerechnet und sie deshalb wegen (bewaffneten) Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt.

2. Die Verurteilung des Angeklagten N. wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Fall II.8 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die bei dem Angeklagten N. sichergestellten Betäubungsmittel rechtfertigen mangels näherer Feststellungen zum jeweiligen Wirkstoffgehalt nicht die Annahme einer nicht geringen Menge. Die Zurechnung der bei B. aufgefundenen Betäubungsmittel erweist sich als rechtsfehlerhaft.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Bandenmitgliedschaft einerseits und die Beteiligung an einer Bandentat andererseits unabhängig voneinander zu berurteilen. Liegt eine Bande vor, bedeutet das nicht, dass jede von einem Bandenmitglied aufgrund der Bandenabrede begangene Tat den anderen Bandenmitgliedern ohne weiteres über § 25 Abs. 2 StGB als gemeinschaftlich begangene Straftat zugerechnet werden kann. Vielmehr ist für jede einzelne Straftat nach den allgemeinen Kriterien der Täterschaft und Teilnahme festzustellen, ob das einzelne Bandenmitglied sich an der Tat als Täter oder Teilnehmer oder ggf. gar nicht beteiligt hat (BGH, Beschluss vom 13. Mai 2003 - 3 StR 128/03, NStZ-RR 2003, 265, 267; Urteile vom 26. April 2012 - 4 StR 665/11, StV 2012, 669 Rn. 17; vom 10. August 2016 - 2 StR 22/16, NStZ-RR 2016, 375, 376; jeweils mwN).

b) Gemessen an diesen Maßstäben hält die Zurechnung der von B. zum Weiterverkauf innerhalb der Gruppierung gehaltenen Betäubungsmittelvorräte rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Denn für Einkauf und Bunkerhaltung war ausschließlich B. verantwortlich. Aus den bisherigen Feststellungen ergibt sich nicht, dass die weiteren Bandenmitglieder auf die bei ihm gelagerten Drogen ohne seine Mitwirkung Zugriff gehabt hätten. Vielmehr entschied B., wieviel durch wen von den Betäubungsmitteln weiterverkauft werden sollte. Allein der Umstand, dass die Bestandshaltung auch im Interesse der übrigen Bandenmitglieder lag, rechtfertigt eine Zurechnung an diese nicht (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 375/03, NStZ-RR 2004, 146, 148; Beschluss vom 7. Juni 2005 - 3 StR 150/05, BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 23; ferner: BGH, Urteil vom 30. Januar 2001 - 1 StR 423/00, NJW 2001, 1289; Beschluss vom 7. Mai 2008 - 5 StR 634/07, juris Rn. 4 f.).

c) Die teilweise Aufhebung des Schuldspruchs entzieht der insoweit gegen den Angeklagten N. verhängten Einzelstrafe und der Gesamtstrafe ihre Grundlage und ist gemäß § 357 StPO auf den Mitangeklagten A. zu erstrecken. Denn der dargelegte Rechtsfehler betrifft ihn gleichermaßen.

d) Hinsichtlich des Mitangeklagten Z. trägt - auch unter Berücksichtigung des durch die Strafkammer angenommenen Eigenkonsumsanteils von 10 % - bereits die bei diesem aufgefundene Betäubungsmittelmenge (10,3 Gramm THC) die Verurteilung wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG). Jedoch wirkt sich der durch die Revision des Angeklagten N. aufgedeckte Rechtsfehler auf den Strafausspruch aus, weil die bei B. sichergestellten Drogen dabei zu Lasten des Mitangeklagten Z. gewürdigt worden sind. Das Urteil war daher auch insoweit aufzuheben (§ 357 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 312

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 141; StV 2021, 450

Bearbeiter: Christian Becker