hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 107

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 490/19, Beschluss v. 12.11.2019, HRRS 2020 Nr. 107


BGH 3 StR 490/19 - Beschluss vom 12. November 2019 (LG Hannover)

Kognitionspflicht des Gerichts (keine Bindung an die rechtliche Beurteilung im Eröffnungsbeschluss); Konkurrenzen im Betäubungsmittelrecht (Handeltreiben; Einfuhr; Besitz; Beihilfe; Tateinheit).

§ 264 StPO; § 29 BtMG; § 27 StGB; § 52 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das Tatgericht hat aufgrund seiner umfassenden Kognitionspflicht die angeklagten Taten so erschöpfend abzuurteilen, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellen, ohne an die dem Eröffnungsbeschluss und der unverändert zugelassenen Anklage zugrundeliegende rechtliche Beurteilung gebunden zu sein.

2. Beihilfe zur Einfuhr und zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge steht zu einem täterschaftlich begangenen Delikt des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit. Denn in diesem Fall ist der täterschaftliche Besitz kein unselbständiges Teilstück des Geschehens, das in der Einfuhr oder in dem Handeltreiben aufgeht.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 5. Juli 2019 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt zu einer Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Senat ändert in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch wie aus Ziffer 1 der Beschlussformel ersichtlich ab.

a) Das Landgericht hat auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Tat zutreffend auch als Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, vgl. UA S. 12).

Dem steht nicht entgegen, dass das Tatgeschehen in der Anklageschrift nicht unter diesem Gesichtspunkt gewürdigt und der Angeklagte insoweit nicht ebenfalls angeklagt worden war. Denn das Tatgericht hat aufgrund seiner umfassenden Kognitionspflicht die angeklagten Taten so erschöpfend abzuurteilen, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellen, ohne an die dem Eröffnungsbeschluss und der unverändert zugelassenen Anklage zugrundeliegende rechtliche Beurteilung gebunden zu sein (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2009 - 3 StR 280/09, juris Rn. 18).

b) Das Konkurrenzverhältnis betreffend ist das Landgericht allerdings offensichtlich davon ausgegangen, dass der Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gegenüber den abgeurteilten Delikten zurücktritt. Dies gilt im hiesigen Zusammenhang jedoch nur, wenn die Einfuhr von oder das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln täterschaftlich verwirklicht wurde (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2019 - 3 StR 448/18, juris Rn. 7). Hier leistete der Angeklagte hingegen lediglich Beihilfe zur Einfuhr und zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge, während er hinsichtlich der Besitztat als Täter handelte. Dann aber liegt Tateinheit vor. Denn in diesem Fall ist der täterschaftliche Besitz kein unselbständiges Teilstück des Geschehens, das in der Einfuhr oder in dem Handeltreiben aufgeht (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2009 - 3 StR 280/09, juris Rn. 20, 22).

c) Das Verschlechterungsverbot des § 358 StPO hindert die Verschärfung des Schuldspruchs nicht (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 8 f.; KK/Gericke, StPO, 8. Aufl., § 358 Rn. 18; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit s. BVerfG, Beschluss vom 1. März 2000 - 2 BvR 2049/99, juris Rn. 3).

d) Auch § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 107

Bearbeiter: Christian Becker