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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 223

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 376/19, Beschluss v. 17.12.2019, HRRS 2020 Nr. 223


BGH 3 StR 376/19 - Beschluss vom 17. Dezember 2019 (LG Bamberg)

Zuständigkeit der Jugendkammern für Berufungen in Jugendsachen; keine Prüfung der Zuständigkeit von Amts wegen im Revisionsverfahren.

§ 41 Abs. 2 S. 1 JGG; § 338 Nr. 4 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Berufungen in Jugendsachen sind nach § 41 Abs. 2 Satz 1 JGG der Jugendkammer übertragen. Aus § 103 Abs. 2 Satz 2 JGG ergibt sich nichts anderes, weil diese Vorschrift lediglich ein Instrumentarium für die Lösung von Kompetenzkonflikten bereitstellen sollte, die auf der Ebene der erstinstanzlichen Strafkammern des Landgerichts auftreten. Eine analoge Anwendung auf das Berufungsverfahren kommt nicht in Betracht, weil dadurch die gesetzgeberische Grundentscheidung, Berufungen in Jugendsachen der Jugendkammer zuzuweisen, unterlaufen würde.

2. Die Zuständigkeit der Jugendgerichte ist deshalb im Revisionsverfahren nicht von Amts wegen zu prüfen, sondern nur auf eine Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 4 StPO zu berücksichtigen. Zwar betrachtete die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Verhältnis zwischen den Erwachsenengerichten und den Jugendgerichten zunächst als Frage der sachlichen Zuständigkeit; später hat sich jedoch die Ansicht durchgesetzt, dass die Jugendgerichte keine andersartige sachliche Zuständigkeit haben als die allgemeinen Strafgerichte, ihnen vielmehr nur innerhalb derselben Gerichtszuständigkeit ein besonderer sachlicher Geschäftsbereich zugewiesen ist.

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 14. Dezember 2018 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1. Wie der Generalbundesanwalt zu Recht ausgeführt hat, war die Verbindung der beiden bei der (großen) Jugendkammer des Landgerichts anhängigen Berufungsverfahren mit dem erstinstanzlichen Verfahren vor der Staatsschutzkammer rechtsfehlerhaft: Berufungen in Jugendsachen sind nach § 41 Abs. 2 Satz 1 JGG der Jugendkammer übertragen. Aus § 103 Abs. 2 Satz 2 JGG ergibt sich nichts anderes, weil diese durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 (BGBl. 1978 I, S. 1645) in das Jugendgerichtsgesetz eingefügte Vorschrift lediglich ein Instrumentarium für die Lösung von Kompetenzkonflikten bereitstellen sollte, die auf der Ebene der erstinstanzlichen Strafkammern des Landgerichts auftreten (vgl. Rieß, JR 1980, 79). Eine analoge Anwendung auf das Berufungsverfahren kommt nicht in Betracht, weil dadurch die gesetzgeberische Grundentscheidung, Berufungen in Jugendsachen der Jugendkammer zuzuweisen, unterlaufen würde (Meyer-Goßner, NStZ 1989, 297, 300, 303). Die Staatsschutzkammer des Landgerichts hätte damit die Verfahren betreffend die Fälle 4.1, 4.2 und 6 der Urteilsgründe nicht von der Jugendkammer übernehmen dürfen.

Die diesbezügliche Unzuständigkeit der Staatsschutzkammer ist indes im Revisionsverfahren nicht von Amts wegen, sondern nur auf eine Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 4 StPO zu berücksichtigen. Zwar betrachtete die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Verhältnis zwischen den Erwachsenengerichten und den Jugendgerichten zunächst als Frage der sachlichen Zuständigkeit; später hat sich jedoch die Ansicht durchgesetzt, dass die Jugendgerichte keine andersartige sachliche Zuständigkeit haben als die allgemeinen Strafgerichte, ihnen vielmehr nur innerhalb derselben Gerichtszuständigkeit ein besonderer sachlicher Geschäftsbereich zugewiesen ist. Die Zuständigkeit der Jugendgerichte ist deshalb im Revisionsverfahren nicht von Amts wegen zu prüfen (st. Rspr. seit BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1962 - GSSt 1/62, BGHSt 18, 79). Daran hat sich für die revisionsrechtliche Prüfung auch durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 nichts geändert (BGH, Beschluss vom 3. Mai 1991 - 3 StR 483/90, NStZ 1991, 503; vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 30. Januar 2013 - 4 StR 380/12; NStZ 2013, 290, 291). Eine entsprechende Verfahrensrüge haben die Angeklagten indes nicht erhoben.

2. Zum Fall 6 der Urteilsgründe gilt im Übrigen Folgendes:

Die Strafkammer hat nicht geprüft, ob der nach Art. 20 Abs. 1 Nr. 2 BayVersG strafbewehrte Verstoß gegen Art. 8 Abs. 2 Nr. 1 BayVersG, der hier darin bestand, dass die Angeklagten und ihre Mittäter durch ihr Auftreten konkludent die Vornahme von Gewalttätigkeiten jedenfalls androhten, um dadurch eine öffentliche Versammlung erheblich zu stören, auch den Tatbestand der Nötigung nach § 240 StGB erfüllt. Mit Blick auf die unterschiedlichen Rechtsgüter - Versammlungsfreiheit einerseits, Freiheit der Willensentschließung und -betätigung andererseits - könnten die Tatbestände in Tateinheit zueinander stehen. Durch die gegebenenfalls unterbliebene Verurteilung auch wegen - mit höherer Strafe bedrohter - Nötigung sind die Angeklagten jedoch nicht beschwert.

Das Landgericht hat sich in den Urteilsgründen nicht damit auseinandergesetzt, ob die gegen die Angeklagten verhängten kurzen Freiheitsstrafen von vier Monaten (Angeklagter G.) bzw. drei Monaten (Angeklagter H. -K.) im Sinne von § 47 Abs. 1 StGB unerlässlich waren. Das Urteil beruht darauf jedoch nicht, weil mit Blick auf die besonderen Umstände der Tat, insbesondere ihre Einbettung in den Gesamtzusammenhang der den Angeklagten insgesamt zur Last gelegten Straftaten, auszuschließen ist, dass die Strafkammer insoweit auf Geldstrafen erkannt hätte.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 223

Bearbeiter: Christian Becker