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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1082

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 325/19, Beschluss v. 21.08.2019, HRRS 2019 Nr. 1082


BGH 3 StR 325/19 - Beschluss vom 21. August 2019 (LG Hannover)

Keine Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus allein aufgrund festgestellter verminderter Einsichtsfähigkeit.

§ 63 StGB; § 21 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Unrechtseinsicht zur Folge hat. Ein Täter, der trotz verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in das Unrecht der Tat besitzt, ist, sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt ist, voll schuldfähig. Die Feststellung einer verminderten Einsichtsfähigkeit allein kann deshalb eine Unterbringung nach § 63 StGB nicht rechtfertigen. Nimmt das Tatgericht eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit des Täters an, so muss es vielmehr darüber befinden, ob diese das Fehlen der Unrechtseinsicht bei der Tat zur Folge hatte oder nicht.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 8. April 2019 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Vollstreckung dieser Maßnahme zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Beschuldigten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts beging der Beschuldigte im Zeitraum vom 20. August 2017 bis zum 1. September 2017 fünf - teils versuchte, teils gefährliche, teils in Tateinheit mit Begleitdelikten (§ 114 Abs. 1, § 241 StGB) stehende - Körperverletzungen.

Zur Schuldfähigkeit des Beschuldigten hat das Landgericht ausgeführt, dass er an einem akuten Schub einer manischen Episode mit psychotischen Symptomen als Ausprägung einer bipolaren affektiven Störung gelitten habe. Zu den jeweiligen Tatzeitpunkten sei seine Einsichtsfähigkeit krankheitsbedingt nicht ausschließbar aufgehoben, jedenfalls aber erheblich vermindert gewesen.

II.

1. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn das Landgericht hat zum subjektiven Tatgeschehen keine hinreichenden Feststellungen getroffen und damit die Voraussetzungen der §§ 20, 21, 63 StGB nicht belegt.

Dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend hat die Strafkammer angenommen, dass die manische Episode als Ausprägung der bipolaren Störung ursächlich für die Tatbegehungen gewesen sei. Aufgrund der psychotisch bedingten Krankheitssymptome sei die Fähigkeit des Beschuldigten, das Unrecht seiner Taten einzusehen, sicher erheblich vermindert und nicht ausschließbar aufgehoben gewesen. Er habe die Taten deshalb „im Zustand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen“ (UA S. 12).

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine verminderte Einsichtsfähigkeit strafrechtlich jedoch erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Unrechtseinsicht zur Folge hat. Ein Täter, der trotz verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in das Unrecht der Tat besitzt, ist, sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt ist, voll schuldfähig. Die Feststellung einer verminderten Einsichtsfähigkeit allein kann deshalb eine Unterbringung nach § 63 StGB nicht rechtfertigen. Nimmt das Tatgericht eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit des Täters an, so muss es darüber befinden, ob diese das Fehlen der Unrechtseinsicht bei der Tat zur Folge hatte oder nicht (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 25. Juli 2012 - 1 StR 332/12, juris; vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246 f.; vom 30. Juni 2015 - 3 StR 181/15, NStZ-RR 2015, 273 f.; vom 9. Januar 2019 - 5 StR 466/18, juris, jeweils mwN).

Vorliegend lässt sich den Urteilsgründen jedoch nicht einmal sicher entnehmen, dass die durch den Sachverständigen diagnostizierte psychische Erkrankung bei der Tat überhaupt relevante Auswirkungen auf die Unrechtseinsicht des Beschuldigten besaß. Feststellungen zu seinen inneren Vorgängen hat das Tatgericht nicht getroffen. Der Beschuldigte hat sich bezüglich der Mehrzahl der Taten dahin eingelassen, dass er sich nicht mehr erinnere. Den ersten Fall hat er eingeräumt und ausgeführt, er wisse nicht, warum er dies getan habe. Damit ist ein subjektives Geschehen, innerhalb dessen der Beschuldigte sein Verhalten wahnhaft als erlaubt oder gerechtfertigt einstufte und deshalb ohne Unrechtseinsicht handelte, nicht belegt. Der Umstand, dass der Sachverständige sich das irrationale Verhalten des Beschuldigten bei seinen Taten nicht anders als mit einer psychotischen Realitätsverzerrung hat erklären können (UA S. 10), reicht in diesem Zusammenhang als Beleg nicht aus.

Im Übrigen legen die vom Landgericht festgestellten unvermittelten Gewaltausbrüche des Beschuldigten (auch) die Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit nahe. Mit der Frage einer Verminderung oder Aufhebung der Steuerungsfähigkeit hat sich die Strafkammer aber nicht befasst. Eine eigenständige Beurteilung ist dem Revisionsgericht insoweit verwehrt.

3. Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben. Neue Feststellungen sind möglich, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1082

Bearbeiter: Christian Becker