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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 112

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 277/19, Beschluss v. 13.11.2019, HRRS 2020 Nr. 112


BGH 3 StR 277/19 - Beschluss vom 13. November 2019 (LG Osnabrück)

Gesamtschuldnerische Haftung bei der Einziehung von Taterträgen.

§ 73 StGB; § 421 BGB

Leitsatz des Bearbeiters

Die Bestimmung der Quote, in Höhe derer ein Angeklagter als Gesamtschuldner im Rahmen der Einziehung von Taterträgen haftet, kann wegen der auf die Betroffenen begrenzten Rechtskraft weder dadurch beeinflusst werden, dass gegen weitere Tatbeteiligte in einem früheren Urteil keine Einziehung angeordnet wurde noch dadurch, dass weitere Tatbeteiligte bisher nicht verurteilt wurden; selbst der Umstand, dass diese nicht namentlich bekannt sind, hindert die Feststellung einer gesamtschuldnerischen Haftung nicht. Der Umfang der Gesamtschuldnerschaft ist vielmehr ohne Rückgriff auf frühere Urteile nach den Feststellungen in den Urteilsgründen zu bestimmen.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 5. März 2019

im Ausspruch über die Aufrechterhaltung des durch Strafbefehl des Amtsgerichts Bersenbrück vom 15. Oktober 2018 (Az. 6 Cs 597/18) verhängten Fahrverbots aufgehoben; dieser entfällt;

im Einziehungsausspruch dahin geändert, dass der Angeklagte hinsichtlich des eingezogenen Wertes des Erlangten in Höhe von 792,91 € als Gesamtschuldner haftet;

dahin ergänzt, dass die in Großbritannien erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 angerechnet wird.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit schwerem Raub unter Einbeziehung der Strafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Wochen verurteilt, die Aufrechterhaltung eines in der Vorverurteilung verhängten Fahrverbots angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf eine Verfahrensbeanstandung und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verfahrensrüge ist aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht zulässig erhoben und bliebe auch in der Sache ohne Erfolg.

2. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils hat - wie der Generalbundesanwalt ebenfalls zu Recht ausgeführt hat - zum Schuld- sowie zum Ausspruch über die Einzel- und die Gesamtstrafe einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben.

3. Die Entscheidung über die Aufrechterhaltung des durch Strafbefehl des Amtsgerichts Bersenbrück vom 15. Oktober 2018 (Az. 6 Cs 597/18) verhängten Fahrverbots kann hingegen keinen Bestand haben.

Ein in einer früheren Entscheidung verhängtes Fahrverbot ist als Nebenstrafe zwar nach § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB grundsätzlich aufrechtzuerhalten, wenn mit der Strafe aus der früheren Verurteilung eine Gesamtstrafe zu bilden ist. Dies gilt indes nicht, wenn die Nebenstrafe bereits vor der Einbeziehung etwa durch Zeitablauf oder sonstige Umstände gegenstandslos geworden ist und damit ihre tatsächliche Erledigung gefunden hat (vgl. LK/Rissing-van Saan, StGB, 12. Aufl., § 55 Rn. 55).

So verhält es sich hier: Nach dem bereits seit dem 13. November 2018 rechtskräftig gewordenen Strafbefehl des Amtsgerichts Bersenbrück wurde das einmonatige Fahrverbot spätestens mit dem Ablauf von einem Monat nach Eintritt der Rechtskraft des Strafbefehls wirksam. Damit war das Fahrverbot spätestens am 13. Dezember 2018 wirksam geworden und mithin im Zeitpunkt der Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl durch das hier angefochtene Urteil vom 5. März 2019 erledigt.

4. Die Einziehungsentscheidung bedarf mit Blick auf den Umfang der gesamtschuldnerischen Haftung des Angeklagten der Korrektur. Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt:

„Maßgeblich […] ist nämlich nicht der Umfang der Einziehung, wie er gegen die übrigen Tatbeteiligten in dem diese betreffenden Urteil bestimmt wurde. Zwar kann der Einziehungsbetrag hinsichtlich der bereits abgeurteilten Beteiligten in einem nicht gegen diese gerichteten Urteil nicht mehr abgeändert werden. Jedoch darf dem Angeklagten durch die abweichende Bestimmung der Einziehungsbeträge hinsichtlich der übrigen Tatbeteiligten nicht die Möglichkeit entzogen werden, von einer durch diese geleisteten Erfüllung der Forderung des Geschädigten in voller Höhe gemäß § 422 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 459g Abs. 4 StPO zu profitieren. Die Bestimmung der Quote, in Höhe derer der Angeklagte als Gesamtschuldner haftet, kann wegen der auf die Betroffenen begrenzten Rechtskraft weder dadurch beeinflusst werden, dass gegen weitere Tatbeteiligte in einem früheren Urteil keine Einziehung angeordnet wurde (vgl. Senat, NStZ-RR 2018, 335, 336-337) noch dadurch, dass weitere Tatbeteiligte bisher nicht verurteilt wurden; selbst der Umstand, dass diese nicht namentlich bekannt sind, hindert die Feststellung einer gesamtschuldnerischen Haftung nicht (vgl. Senat, Urteil vom 4. Oktober 2018, 3 StR 251/18, Rn. 29, juris; Senat, Beschluss vom 2. April 2019, 3 StR 24/19, Rn. 3, juris).

Der Umfang der Gesamtschuldnerschaft ist deshalb ohne Rückgriff auf frühere Urteile nach den Feststellungen in den Urteilsgründen zu bestimmen. Demnach besteht eine gesamtschuldnerische Haftung mit den Zeugen K. und S. in Höhe der gesamten Tatbeute im Wert von 792,91 €, da die Strafkammer sich davon überzeugt hat, dass sämtliche an der Beuteteilung Beteiligten zunächst gemeinsame tatsächliche Verfügungsgewalt besaßen (vgl. UA S. 40-41).“

Dem schließt sich der Senat an.

5. Darüber hinaus bedarf - wozu der Generalbundesanwalt ebenfalls zutreffend ausgeführt hat - der Urteilstenor der Ergänzung um die gemäß § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB erforderliche Bestimmung des Anrechnungsmaßstabs für die in Großbritannien vom 16. bis 24. Juli 2018 erlittene Auslieferungshaft. Der Senat bestimmt in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO den Anrechnungsmaßstab selbst und setzt diesen auf ein Verhältnis von 1:1 fest, weil der Angeklagte die Auslieferungshaft in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union erlitt und besondere Umstände, die einen anderen Maßstab geboten erscheinen lassen könnten, nicht ersichtlich sind (BGH, Beschluss vom 4. Juni 2003 - 5 StR 124/03, BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 3).

6. Angesichts des geringfügigen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 112

Bearbeiter: Christian Becker