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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1075

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 252/19, Beschluss v. 07.08.2019, HRRS 2019 Nr. 1075


BGH 3 StR 252/19 - Beschluss vom 7. August 2019 (LG Wuppertal)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang; Neigung zum Konsum von Rauschmitteln; soziale Gefährdung; Beeinträchtigung von Gesundheit, Arbeit- und Leistungsfähigkeit; Beschaffungskriminalität).

§ 64 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB genügt eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Das kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden, sondern insbesondere auch bei Beschaffungskriminalität.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 19. Februar 2019

im Schuldspruch dahin neu gefasst, dass der Angeklagte der Beihilfe zum bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln schuldig ist,

mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

im Strafausspruch,

soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Verwendung eines gefährlichen Gegenstands“ unter Einbeziehung eines anderen Urteils zu der Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Senat hat den Schuldspruch zur Klarstellung neu gefasst (vgl. zur Tenorierung BGH, Beschluss vom 3. Februar 2015 - 3 StR 632/14, juris Rn. 3; Urteil vom 19. Januar 2017 - 4 StR 334/16, juris).

2. Der Rechtsfolgenausspruch hat keinen Bestand, da die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB, § 7 Abs. 1, § 105 Abs. 1 JGG mit einer nicht tragfähigen Begründung abgelehnt hat und dies gemäß § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG die Aufhebung des - für sich gesehen rechtsfehlerfreien - Strafausspruchs nach sich zieht.

a) Den Urteilsfeststellungen zufolge rauchte der Angeklagte „gegen Einsamkeit und um sich besser zu fühlen“ Marihuana, zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung rund drei Gramm über die Woche verteilt. Die Straftat beging er, da er aufgrund seines stetigen Geldmangels das von ihm gekaufte Marihuana nicht mehr bezahlen konnte und Geld sowie Marihuana erlangen wollte. Hierfür gab er sogar die Nutzungsmöglichkeit seiner Wohnung auf. Das Amtsgericht Wuppertal hatte ihm im Zusammenhang mit dem einbezogenen Urteil vom 28. Februar 2018 die Bewährungsauflage erteilt, innerhalb von sechs Monaten sechs Termine bei der Drogenberatung nachzuweisen. Dem kam er nicht nach.

Ausweislich der Beweiswürdigung hat er zudem angegeben, ein „Rauchproblem“ zu haben.

b) Das - sachverständig nicht beratene - Landgericht hat von einer Unterbringung mit der Erwägung abgesehen, dass bei dem Angeklagten ein Hang, Cannabis im Übermaß zu konsumieren, nicht festzustellen sei. Es bestünden Zweifel, bei dem noch recht jungen Angeklagten von einer eingewurzelten Neigung zum Rauschmittelkonsum im Übermaß auszugehen. Die Strafkammer sei überzeugt, dass er seinen Konsum nach Verfügbarkeit habe steuern können. Zudem seien seine Leistungsfähigkeit und Gesundheit nicht beeinträchtigt gewesen.

c) Diese Begründung trägt das Absehen von der Maßregel nicht.

Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB genügt nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 2019 - 3 StR 549/18, NStZ-RR 2019, 159, 160; vom 27. November 2018 - 3 StR 299/18, NStZ 2019, 265, 266 jeweils mwN). Das kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden, sondern insbesondere auch bei Beschaffungskriminalität (s. etwa BGH, Beschluss vom 2. April 2015 - 3 StR 103/15, juris Rn. 5 mwN).

Daher sprechen die fortbestehende Leistungsfähigkeit und Gesundheit nicht maßgeblich gegen einen Hang.

Die weitere Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe seinen Konsum nach Verfügbarkeit steuern können, ist nicht belegt. Insbesondere fehlt eine Erörterung des entgegenstehenden Gesichtspunktes, dass der Geldmangel ihn gerade nicht zur Abstinenz führte, sondern dazu, zur Fortsetzung des Konsums die Tat zu begehen. Bei der Bemessung der Rechtsfolgen nimmt die Strafkammer selbst an, dass neben den Schulden des Angeklagten der fortdauernde Konsum von Marihuana erwarten lasse, er werde ohne längere Gesamterziehung weitere Straftaten begehen.

Schließlich werden die Zweifel der Strafkammer daran, ob bei dem „noch recht jungen Angeklagten von einer eingewurzelten, intensiven Neigung zum Rauschmittelkonsum im Übermaß auszugehen“ sei, nicht weiter ausgeführt. Allein das Alter des bei der Tat 18-jährigen Angeklagten hindert die Annahme eines Hanges nicht von vornherein.

Angesichts der zum Betäubungsmittelkonsum getroffenen Feststellungen reichen die vom Landgericht angeführten Gründe danach insgesamt nicht aus, um einen Hang im Sinne des § 64 StGB abzulehnen.

Da die weiteren Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht von vornherein zu verneinen sind, ist die Unterbringung - mit Hilfe eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) - erneut durch das Tatgericht zu prüfen. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht dem nicht entgegen (s. § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; zum Zusammenhang von Jugendstrafe und Maßregel BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1997 - 4 StR 581/97, NStZ-RR 1998, 188, 189).

d) Mit Blick auf § 5 Abs. 3 JGG ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt von einer Ahndung durch eine Jugendstrafe abgesehen hätte. Folglich ist auch der Strafausspruch aufzuheben.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1075

Bearbeiter: Christian Becker