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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1230

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 180/19, Urteil v. 19.09.2019, HRRS 2019 Nr. 1230


BGH 3 StR 180/19 - Urteil vom 19. September 2019 (LG Mainz)

Keine schwere Körperverletzung durch dauernde Entstellung bei Narbe am Bauch (Grad der Verunstaltung; Prägung des Gesamterscheinungsbildes); einheitliche Tat aufgrund natürlicher Handlungseinheit bei höchstpersönlichen Rechtsgütern (enger räumlicher zeitlicher Zusammenhang; willkürliche und gekünstelte Aufspaltung).

§ 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 52 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der Qualifikationstatbestand des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB im Einzelfall bei besonders großen oder markanten Narben oder bei einer Vielzahl von Narben in derselben Körperregion zu bejahen sein, wenn dabei ein Grad an Verunstaltung der äußeren Gesamterscheinung erreicht wird, bei dem die Beeinträchtigung in ihrem Gewicht den übrigen in § 226 StGB genannten Folgen in etwa nahe kommt. Anders als bei Narben im Gesicht, die das Gesamterscheinungsbild stärker prägen, liegt eine Bejahung der Qualifikation bei einer circa 25 cm langen Narbe im Bauch nicht ohne Weiteres nahe.

2. Unter dem Gesichtspunkt einer natürlichen Handlungseinheit liegt eine Tat im materiellrechtlichen Sinne vor, wenn mehrere, im Wesentlichen gleichartige Handlungen von einem einheitlichen Willen getragen werden und aufgrund ihres engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs so miteinander verbunden sind, dass sich das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches Geschehen darstellt.

3. Da höchstpersönliche Rechtsgüter jedoch einer additiven Betrachtungsweise grundsätzlich nicht zugänglich sind, können Handlungen, die sich nacheinander gegen höchstpersönliche Rechtsgüter mehrerer Personen richten, grundsätzlich weder durch ihre Aufeinanderfolge noch durch einen einheitlichen Plan oder Vorsatz zu einer natürlichen Handlungseinheit - und damit einer Tat im Rechtssinne - zusammengefasst werden. Ausnahmen kommen nur in Betracht, wenn die Aufspaltung des Tatgeschehens in Einzelhandlungen wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhanges, etwa bei Messerstichen oder Schüssen innerhalb weniger Sekunden, willkürlich und gekünstelt erschiene.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mainz vom 17. Oktober 2018

im Fall II.2. der Urteilsgründe im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung, schuldig ist,

aufgehoben

im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II.2. der Urteilsgründe sowie

im Gesamtstrafenausspruch; jedoch bleiben die dazu getroffenen Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen sowie wegen Unterschlagung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen; zudem hat es den Angeklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld an die Adhäsionskläger verurteilt. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts überließen der Angeklagte und seine Lebensgefährtin den Nebenklägern, den Zwillingsbrüdern D. und K. K., einige Wochen vor dem Tatgeschehen gegen Entgelt das Gästezimmer ihrer Wohnung zur alleinigen Nutzung. Nach vorangegangenem Alkoholkonsum aller Beteiligten geriet der Angeklagte - auf den eine maximale BAK von 1,52 ‰ einwirkte - am späten Abend mit den Nebenklägern in Streit und drohte an, sie hinauszuwerfen. Diese wollten sich wegen der entrichteten Miete nicht entfernen und waren verärgert darüber, dass der Angeklagte sich in ihre Angelegenheiten einmischte und ihr Zimmer ungefragt betreten hatte. Der Angeklagte und seine Lebensgefährtin riefen die Polizei herbei und erklärten den Beamten - teils wahrheitswidrig und unter Verschweigen der entgeltlichen Überlassung der Räumlichkeit -, dass Gäste in ihrer Wohnung randalierten und diese nicht verlassen wollten. Die Nebenkläger verhielten sich bei Eintreffen der Polizeibeamten aggressiv; K. K. sagte zu dem Angeklagten, er werde ihn „zerquetschen“, und unterstrich dies mit einer reibenden Geste seiner Finger. Da die Nebenkläger aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten ihre Berechtigung zum Aufenthalt nicht darstellen konnten, drängten die Beamten sie aus der Wohnung und stellten sodann ihre zusammengerafften persönlichen Gegenstände im Flur ab. Dabei blieben einige Sachen in der Wohnung zurück, unter anderem die im Kleiderschrank abgelegte Gürteltasche des D. K., in der sich sein Portemonnaie mit 1.100 € Arbeitslohn befand. Nachdem die Polizeibeamten sich entfernt hatten, kamen die Nebenkläger zur Wohnung zurück und verlangten über die Gegensprechanlage die Herausgabe des Geldes und ihrer Sachen. Der Angeklagte verweigerte diese und erklärte den Nebenklägern, er werde sie umbringen, wenn sie jetzt heraufkämen; sie könnten ihre Sachen in zwei bis drei Tagen vor der Wohnung abholen. Die wiederum herbeigerufenen Polizeibeamten erteilten den Nebenklägern erneut einen Platzverweis.

a) Fall II.1. der Urteilsgründe

Der Angeklagte beschloss nun, das Geld des Nebenklägers D. K. an sich zu bringen. Er fand im Kleiderschrank des Gästezimmers das Portemonnaie in der Gürteltasche, nahm das Scheingeld (1.100 €) heraus und steckte es in die Tasche seiner Jogginghose, um es für sich zu behalten.

b) Fall II.2. der Urteilsgründe

Etwa eine Stunde später kamen die Nebenkläger erneut zurück und forderten an der Wohnungstür lautstark die Herausgabe ihres Geldes und ihrer restlichen Sachen. Der Angeklagte bewaffnete sich derweil mit einem Küchenmesser mit einer Klinge von ca. 20 cm Länge und 4 cm Breite. K. K. trat die Wohnungstür ein und die Nebenkläger stürmten in die Wohnung, um ihre Sachen notfalls mit Gewalt zu holen oder den Angeklagten zu bestrafen. Dieser befand sich in dem unbeleuchteten Gästezimmer hinter der offenen Tür des Kleiderschranks, aus dem er die Geldbörse genommen hatte, in der Hocke und erwog und billigte einen tödlichen Einsatz des Messers gegen die Nebenkläger. D. K. betrat allein das Gästezimmer und ging zum Kleiderschrank, wo er sein Geld wähnte; dabei nahm er den Angeklagten nicht wahr. Dieser richtete sich auf und stach dem - wie er erkannte: unbewaffneten - D. K. unter Ausnutzung des Überraschungsmoments das Messer „planvoll und zielgerichtet“ in den Bauch, um sein Hausrecht zu verteidigen und einem körperlichen Angriff des Nebenklägers zuvorzukommen; dabei nahm er dessen Tod billigend in Kauf. Der Angeklagte schob den dadurch lebensgefährlich Verletzten, der keinen Widerstand leistete, in Richtung Flur, wo er zu Boden ging.

In dem Glauben, den Nebenkläger tödlich verletzt zu haben, lief er anschließend durch den Flur zu K. K. ins Wohnzimmer. Auf dessen Frage, was mit seinem Bruder geschehen sei, erwiderte der Angeklagte, sein Bruder sei schon tot, jetzt sei er „dran“. Sodann stach er mit (bedingtem) Tötungsvorsatz mehrfach in Richtung des Bauches und Oberkörpers des K. K. und fügte ihm potentiell lebensgefährliche Stich- und Schnittverletzungen im Bauch- und Brustbereich sowie am Oberarm zu. D. K. raffte sich wieder auf, um seinem Bruder zu helfen; er umfasste den Angeklagten von hinten, wobei er in das Messer griff und sich die rechte Hand erheblich verletzte. Gemeinsam mit dem hinzugeeilten Zeugen Y. gelang es den Nebenklägern, dem Angeklagten das Messer zu entwinden. Dieser erkannte, dass er keine Möglichkeit mehr hatte, seine Tat fortzusetzen.

D. K. konnte durch eine Notoperation gerettet werden. Am Bauch hat er eine 25 cm lange Narbe zurückbehalten und durch Verwachsungen im Bauchraum neigt er zu Bauchschmerzen; es besteht das fortdauernde Risiko eines Darmverschlusses. Infolge der durch den Griff in das Messer erlittenen Verletzungen kann er drei Finger seiner rechten Hand nicht mehr strecken; sie sind „krallenförmig“ verbogen. K. K. hat nach komplikationsloser Wundheilung durch die Stichverletzungen und deren operative Versorgung Narben, Gefühlsstörungen in den betreffenden Regionen und eine Neigung zu Schmerzen im Bereich der Bauchverletzung zurückbehalten.

2. Das Landgericht hat in dem Geschehen eine Unterschlagung (Fall II.1. der Urteilsgründe) und einen dazu in Tatmehrheit stehenden Totschlagsversuch in zwei tateinheitlichen Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fall II.2. der Urteilsgründe) erblickt. Hinsichtlich der Angriffe auf Leib und Leben der Nebenkläger ist es davon ausgegangen, dass der Angeklagte sich wegen eines gegenwärtigen Angriffs auf sein Hausrecht und eines möglicherweise bevorstehenden gewalttätigen Angriffs in einer Notwehrlage befunden habe; seine Handlungen hat es indes als nicht erforderlich im Sinne des § 32 StGB und damit als nicht gerechtfertigt angesehen; zudem habe er den Angriff der Nebenkläger durch sein Vorverhalten provoziert. Das Schwurgericht hat sich nicht vom Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals Heimtücke zu überzeugen vermocht; auch hat es keine Habgier oder die Absicht zur Verdeckung der Unterschlagung oder des Angriffs gegen D. K. feststellen können.

II.

1. Mit ihrer - wie die Auslegung ergibt: unbeschränkt eingelegten - Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft insbesondere gegen die Verneinung von Mordmerkmalen und die fehlende Erörterung zu § 226 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB.

2. Das Urteil hält im Fall II.2. der Urteilsgründe rechtlicher Prüfung nicht stand, soweit das Landgericht die Angriffe auf die beiden Nebenkläger als ein tateinheitliches Geschehen bewertet hat. Insoweit gilt:

a) Unter dem Gesichtspunkt einer natürlichen Handlungseinheit liegt eine Tat im materiellrechtlichen Sinne vor, wenn mehrere, im Wesentlichen gleichartige Handlungen von einem einheitlichen Willen getragen werden und aufgrund ihres engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs so miteinander verbunden sind, dass sich das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches Geschehen darstellt (st. Rspr.; siehe etwa BGH, Urteil vom 19. November 2009 - 3 StR 87/09, juris Rn. 16; Beschluss vom 4. September 1990 - 1 StR 301/90, BGHR StGB § 52 Abs. 1 Entschluss, einheitlicher 1; jeweils mwN). Richten sich die Handlungen des Täters jedoch gegen höchstpersönliche Rechtsgüter der Opfer, kommt die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit nur ausnahmsweise in Betracht, da höchstpersönliche Rechtsgüter einer additiven Betrachtungsweise grundsätzlich nicht zugänglich sind. Deshalb können Handlungen, die sich nacheinander gegen höchstpersönliche Rechtsgüter mehrerer Personen richten, grundsätzlich weder durch ihre Aufeinanderfolge noch durch einen einheitlichen Plan oder Vorsatz zu einer natürlichen Handlungseinheit und damit einer Tat im Rechtssinne zusammengefasst werden. Ausnahmen kommen nur in Betracht, wenn die Aufspaltung des Tatgeschehens in Einzelhandlungen wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhanges, etwa bei Messerstichen oder Schüssen innerhalb weniger Sekunden, willkürlich und gekünstelt erschiene (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2004 - 4 StR 268/04, NStZ 2005, 262, 263; Beschluss vom 24. März 1998 - 4 StR 663/97, NStZ-RR 1998, 233; LK/Rissing-van Saan, StGB, 12. Aufl., Vor § 52 Rn. 14 mwN).

Nach diesen Maßstäben können die Handlungen des Angeklagten gegen die Nebenkläger D. und K. K. nicht zu einer einheitlichen Tat zusammengefasst werden. Das Tätigwerden des Angeklagten beruhte zwar auf einem vor Beginn der ersten Tat gefassten, insoweit einheitlichen Entschluss. Zwischen dem ersten, gegen D. K. geführten Angriff im Gästezimmer und dem anschließenden Vorgehen gegen K. K. lag indes nicht nur eine gewisse räumliche und zeitliche Zäsur, sondern auch eine wesentliche Änderung der Situation. Während der Angeklagte im ersten Handlungsabschnitt gleichsam bis zum letzten Moment vor dem Angriff hinter der Schranktür in der Hocke verharrte und den im Dunkeln auf ihn zukommenden D. K. überraschend niederstach (und vermeintlich tötete), lief er sodann zunächst über den Flur in das Wohnzimmer zu K. K., dem er gegenübertrat und eröffnete, dass er dessen Bruder getötet habe und er nun „dran“ sei; erst danach stach er auf K. K. ein. Ein außergewöhnlich enger Zusammenhang, der die Aufspaltung des Tatgeschehens willkürlich und gekünstelt erscheinen ließe, ist damit nicht festgestellt.

b) Soweit der Angeklagte im zweiten Handlungsabschnitt die Handverletzungen des D. K. verursachte, handelte er ohne Körperverletzungsvorsatz. Denn in dem Moment, als der Nebenkläger seinem Bruder im Wohnzimmer zur Hilfe kam und - vom Angeklagten zunächst unbemerkt - von hinten in das Messer griff, ging er davon aus, D. K. bereits getötet zu haben.

Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich, dass er allerdings hätte erkennen können, dass sein Angriff auf K. K. und das Hantieren mit dem großen Messer Anlass zum Eingreifen eines Retters bot, D. K. lediglich schwer verletzt war und sich angesichts der Ankündigung des Angeklagten zur Hilfeleistung für seinen Bruder aufraffen würde; ebenso, dass die Gefahr einer entsprechenden Verletzung durch den Versuch, die Stiche abzuwenden, nahelag. Mithin sind insoweit die Voraussetzungen einer (tateinheitlichen) fahrlässigen Körperverletzung erfüllt.

c) Der Senat ändert den Schuldspruch zu II.2. der Urteilsgründe entsprechend ab. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte bei entsprechendem Hinweis nicht anders als geschehen hätte verteidigen können, zumal sich die Zäsur des Geschehens bereits aus seiner Schilderung in der teilgeständigen Einlassung ergibt.

3. Soweit das Landgericht im Fall II.2. der Urteilsgründe Mordmerkmale verneint hat, weist das Urteil keine durchgreifenden Rechtsfehler auf.

Das Merkmal der Heimtücke hat das Landgericht deshalb als nicht erfüllt angesehen, weil der Angeklagte subjektiv nicht damit habe rechnen müssen, dass die Nebenkläger arg- und wehrlos waren; jedenfalls habe es ihm am Ausnutzungsbewusstsein gefehlt. Angesichts der festgestellten Situation, die durch das rechtswidrige Eindringen der Nebenkläger in die Wohnung des Angeklagten und deren Ankündigung von Gewalt geprägt war, ist die Würdigung des Landgerichts, das unter Abwägung der wesentlichen Umstände der Einlassung des Angeklagten in diesem Punkt gefolgt ist und den angst- und erregungsbedingten Verteidigungswillen des Angeklagten als bewusstseinsdominant angenommen hat, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dass der Nebenkläger D. K. von der Gegenwehr des Angeklagten objektiv überrascht war, besagt noch nicht, dass der Angeklagte in sein Bewusstsein aufgenommen hatte, dieser Nebenkläger sei arglos; insoweit sind die Feststellungen entgegen der Revisionsbegründung nicht widersprüchlich. Auch die Verneinung der Mordmerkmale Habgier und Verdeckungsabsicht, die das Landgericht - ausreichend belegt - in dem Motivbündel des Angeklagten als nicht handlungsleitend angesehen und folglich abgelehnt hat, weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf, zumal die Unterschlagung bereits beendet war.

Im Rahmen der Prüfung der Mordmerkmale hat es keiner Auseinandersetzung mit der nach Ansicht des Generalbundesanwalts in Betracht kommenden Rechtfertigung der Nebenkläger gemäß § 859 Abs. 2 BGB bedurft. Die theoretische und eher fernliegende Möglichkeit, dass der Angeklagte im Rahmen des dynamischen Geschehens eine solche Rechtfertigung der Nebenkläger reflektierte und entsprechenden Vorstellungen ein prägender Einfluss auf seine Motivation zukam, hat die Strafkammer nicht ausdrücklich verneinen müssen.

4. Soweit sich das Landgericht im Fall II.2. der Urteilsgründe nicht mit dem Straftatbestand der schweren Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB auseinandergesetzt hat, gefährdet dies den Bestand des Urteils nicht.

a) Die - gegebenenfalls der Tatbestandsvariante des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB unterfallenden - Verletzungen des Zeigefingers, des Ringfingers und des kleinen Fingers der rechten Hand des D. K. mit der Folge, dass er die Finger nicht mehr strecken kann und diese „krallenförmig“ gebogen sind, beruhen nicht auf dem Angriff im ersten Abschnitt des Geschehens im Gästezimmer und wurden nicht durch eine vorsätzliche Körperverletzung des Angeklagten verursacht.

b) Soweit die Revision beanstandet, das Landgericht habe sich nicht näher damit auseinandergesetzt, ob der Angeklagte durch die Verursachung der Narbe von ca. 25 cm Länge am Bauch des D. K. die Tatbestandsvariante des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllte, gilt:

Zwar kann der Qualifikationstatbestand im Einzelfall bei besonders großen oder markanten Narben oder bei einer Vielzahl von Narben in derselben Körperregion zu bejahen sein, wenn dabei ein Grad an Verunstaltung der äußeren Gesamterscheinung erreicht wird, bei dem die Beeinträchtigung in ihrem Gewicht den übrigen in § 226 StGB genannten Folgen in etwa nahe kommt (vgl. BGH, Urteil vom 20. April 2011 - 2 StR 29/11, juris Rn. 5; Beschluss vom 2. Mai 2007 - 3 StR 126/07, juris Rn. 2). Anders als bei Narben im Gesicht, die das Gesamterscheinungsbild stärker prägen, hat der Senat dies etwa im Fall von zahlreichen Narben an den Unterschenkeln und in der rechten Kniekehle, deren größte 20 cm lang und teils verbreitert ist, verneint (BGH, Beschluss vom 11. Juli 2006 - 3 StR 183/06, juris Rn. 2 f.).

Für die vorliegende Fallgestaltung folgt daraus, dass es angesichts der getroffenen Feststellungen zur Beschaffenheit und Lage der Narbe und ihrer Berücksichtigung bei der Erörterung der Beeinträchtigungen des Nebenklägers im Rahmen der Adhäsionsentscheidung keiner weiteren Ausführungen dazu bedarf, warum das Landgericht eine für die Erfüllung des Qualifikationstatbestandes ausreichende Entstellung nicht angenommen hat.

5. Auch im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen den Angeklagten begünstigenden oder belastenden (§ 301 StPO) Rechtsfehler ergeben.

III. Die Änderung des Schuldspruchs im Fall II.2. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der verhängten Einzelstrafe und des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Die zugehörigen Feststellungen sind von den Wertungsfehlern nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); ergänzende Feststellungen, die dazu nicht im Widerspruch stehen, sind möglich.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1230

Externe Fundstellen: NJW 2020, 1751

Bearbeiter: Christian Becker