hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 423

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 386/18, Beschluss v. 13.12.2018, HRRS 2019 Nr. 423


BGH 3 StR 386/18 - Beschluss vom 13. Dezember 2018 (LG Stade)

Strafschärfende Berücksichtigung von Voreintragungen im Erziehungsregister (Absehen von der Verfolgung; Einstellung gegen Erbringung von Arbeitsleistungen; keine Feststellung der Schuld; Warnwirkung); unzureichende Gefährlichkeitsprognose bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

§ 60 BZRG; § 45 JGG; § 47 JGG; § 64 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Bei Voreintragungen im Erziehungsregister (vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 BZRG) nach § 45 JGG (Absehen von Verfolgung) und § 47 JGG (Einstellung gegen Erbringung von Arbeitsleistungen) handelt es sich weder um Vorstrafen noch um jugendgerichtliche Vorahndungen, da mit keiner der beiden Verfahrensweisen die Feststellung der Schuld verbunden ist. In solchen Fällen darf strafschärfend allenfalls berücksichtigt werden, dass der Angeklagte bei Tatbegehung durch frühere eingestellte Verfahren gewarnt war.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 14. Februar 2018 aufgehoben

im Strafausspruch; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten,

mit den zugehörigen Feststellungen im Maßregelausspruch.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen überfielen der Angeklagte und drei Mitangeklagte in Ausführung eines gemeinsam gefassten Tatplans am Abend des 10. Dezember 2016 eine Wohngemeinschaft und entwendeten aus der Wohnung unter konkludenter Drohung mit einem zum Zweck der Einschüchterung bewusst offen getragenen Totschläger sowie unter Vorhalt einer ungeladenen Gaspistole - vorgefasster Absicht entsprechend - Marihuana, Bargeld und Wertgegenstände im Gesamtwert von 2.500 €.

2. Der Schuldspruch hält aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.

3. Die Bemessung der Freiheitsstrafe erweist sich hingegen als rechtsfehlerhaft.

a) Die Strafkammer hat im Rahmen der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten „dessen Vorstrafen“ berücksichtigt, wenngleich mit minderem Gewicht, weil „die letzte Tat bereits im Jahr 2010 begangen wurde“ (UA S. 35). Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn der Angeklagte ist nicht vorbestraft.

Ausweislich der Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen hatte die Staatsanwaltschaft im Jahr 2008 von der Verfolgung eines Diebstahls abgesehen (§ 45 JGG) und das Amtsgericht im Jahr 2010 ein Verfahren wegen eines weiteren Diebstahls gegen Erbringung von Arbeitsleistungen eingestellt (§ 47 JGG). Bei diesen beiden Voreintragungen im Erziehungsregister (vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 BZRG) handelt es sich weder um Vorstrafen noch um jugendgerichtliche Vorahndungen. Mit der jeweiligen Verfahrensweise war keine Feststellung der Schuld verbunden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 6. September 2004 - 2 BvR 1280/04, juris Rn. 2; vom 8. März 2017 - 2 BvR 2282/16, NJW 2017, 1539 Rn. 14).

Dem Tatgericht ist es zwar nicht prinzipiell verwehrt, strafschärfend zu werten, dass der Angeklagte bei Tatbegehung durch frühere eingestellte Verfahren gewarnt war (s. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1972 - 2 StR 499/72, BGHSt 25, 64, 65; Beschluss vom 11. November 2004 - 5 StR 472/04, juris Rn. 4; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 46 Rn. 40). Eine bloße Berücksichtigung einer solchen Warnwirkung lässt sich dem Urteil aber gerade nicht entnehmen (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. Februar 1987 - 1 StR 698/86, NJW 1987, 2243, 2244; insgesamt skeptisch BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 4 StR 125/06, NStZ 2006, 620).

b) Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht das Urteil im Strafausspruch (§ 337 Abs. 1 StPO). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte, wenn sie nicht rechtsfehlerhaft zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hätte, er wäre vorbestraft. Der Strafausspruch unterliegt daher der Aufhebung. Indes bleiben die zugehörigen Feststellungen von dem Wertungsfehler unberührt, sodass sie bestehen bleiben können (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).

4. Auch die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hat keinen Bestand.

Die Gefahr, der Angeklagte werde infolge seines Hangs erhebliche rechtswidrige Taten begehen (§ 64 Satz 1 StGB), findet in den tatsächlichen Feststellungen keine Grundlage. In den Urteilsgründen ist hierzu lediglich ausgeführt, diese Gefahr folge aus seiner „besonderen Persönlichkeitsstruktur und seiner nach wie vor vorhandenen Geldnot“ (UA S. 39). Zur Persönlichkeitsstruktur ist nur die Diagnose des Sachverständigen wiedergegeben, beim Angeklagten liege eine „Persönlichkeitsakzentuierung mit narzisstischen und emotional instabil impulsiven Anteilen“ vor (UA S. 38). Zur Geldnot findet sich allein die Mitteilung, der Angeklagte habe im Zeitraum von Oktober 2016 bis Mitte 2017 beim Glücksspiel seinen gesamten Lohn verspielt (s. UA S. 10).

Diese äußerst knappen Ausführungen genügen nicht den an die Darlegung der Gefahrenprognose von Rechts wegen zu stellenden Anforderungen. Sie belegen nicht die Wahrscheinlichkeit, dass der - nicht vorbestrafte - Angeklagte hangbedingt erneut straffällig werden wird. Weder seine Gefährlichkeit noch der symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang zu Rauschmitteln und wahrscheinlichen künftigen Taten ist nachvollziehbar dargelegt (zu den Voraussetzungen vgl. nur MüKoStGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 64 Rn. 52 f., 55 ff. mwN).

Zwar hat der Sachverständige, dem sich die Strafkammer angeschlossen hat, beim Angeklagten ein Abhängigkeitssyndrom von Cannabis (ICD-10 F12.20) sowie einen schädlichen Gebrauch von Kokain und Alkohol (ICD-10 F19.10) diagnostiziert (s. UA S. 38). Auch dies begründet jedoch noch nicht dessen Gefährlichkeit. Ein Erfahrungssatz des Inhalts, dass bei einem Drogenabhängigen generell die Gefahr neuer erheblicher Straftaten besteht, existiert nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2011 - 2 StR 645/10, StV 2013, 149).

Eine schwere Gewalttat, die für sich allein die Gefährlichkeit indizieren könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2014 - 5 StR 509/14, juris Rn. 2 mwN), ist hier nicht gegeben. Das gilt umso mehr, als nicht festgestellt ist, dass der Angeklagte bei Tatbegehung drogenbedingt enthemmt gewesen wäre.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 423

Externe Fundstellen: NStZ 2019, 400

Bearbeiter: Christian Becker