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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 221

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 591/17, Beschluss v. 19.12.2017, HRRS 2018 Nr. 221


BGH 3 StR 591/17 - Beschluss vom 19. Dezember 2017 (LG Bückeburg)

Hang zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln (körperliche oder psychische Abhängigkeit; intensive Neigung; Begehung von betäubungsmittelbedingten Straftaten; Substitutionstherapie).

§ 64 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Ein Hang i.S.d. § 64 S. 1 StGB liegt nicht nur im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit vor; vielmehr genügt bereits eine erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine psychische Abhängigkeit bestehen muss. Bei mehreren in der Vergangenheit aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangenen Straftaten und einer „Substitution“ mit einem Methadonpräparat liegt eine derartige Neigung ausgesprochen nahe.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 12. September 2017 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1. Die Entscheidung des Landgerichts, von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung im Ergebnis stand.

a) Nach den Urteilsfeststellungen konsumierte der Angeklagte seit 1996 verschiedene Drogen, ohne dass insoweit Näheres bekannt geworden ist. Er wurde bis zum Jahr 2006 mehrfach wegen Straftaten verurteilt, die er aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hatte. Zu einer letzten Verurteilung wegen Besitzes von Betäubungsmitteln kam es im Jahr 2010. Seit April 2015 wird er erfolgreich mit einem Methadonpräparat substituiert. Einen Hang des Angeklagten zum übermäßigen Konsum berauschender Mittel hat die Strafkammer mit der Begründung verneint, es hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Gesundheit oder die Lebens- oder Arbeitsfähigkeit des Angeklagten durch seinen Betäubungsmittelkonsum bereits erheblich beeinträchtigt seien oder dass er aufgrund einer Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheine. Nichts weise darauf hin, dass es bei dem Angeklagten im Alltag zu Einschränkungen des beruflichen oder sozialen Handlungsvermögens gekommen sei.

b) Diese Ausführungen stoßen auf rechtliche Bedenken, weil sie besorgen lassen, dass das Landgericht die Voraussetzungen eines Hanges gemäß § 64 Satz 1 StGB verkannt hat. Ein solcher liegt nicht nur - wovon die Strafkammer möglicherweise ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit vor; vielmehr genügt bereits eine erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine psychische Abhängigkeit bestehen muss (BGH, Beschlüsse vom 4. April 1995 - 4 StR 95/95, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; vom 13. Januar 2011 - 3 StR 429/10, juris Rn. 4). Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte in der Vergangenheit mehrfach aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit Straftaten begangen hat und seit April 2015 mit einem Methadonpräparat „substituiert“ wird, liegt es indes ausgesprochen nahe, dass er eine derartige Neigung hat.

Dies gefährdet aber nicht den Bestand der Entscheidung, von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, weil sich den Urteilsgründen entnehmen lässt, dass die Strafkammer den dafür erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang und der nunmehr abgeurteilten Tat mit hinreichender Begründung verneint hat. Danach beging der Angeklagte, der von staatlichen Transferleistungen lebte, den ihm zur Last fallenden Überfall auf einen Getränkemarkt „zur Verbesserung seiner allgemeinen wirtschaftlichen Lage“, die seit längerer Zeit schlecht war.

2. Der Einwand der Revision, dass sich dem Urteil nicht entnehmen lasse, „woher“ das Landgericht die „Überzeugung gewonnen“ habe, dass der Angeklagte durch die Tat 20.397,58 € erbeutet habe, geht fehl. Die Strafkammer hat im Rahmen der Beweiswürdigung ausdrücklich dargelegt, dass der Geschäftsführer des Getränkemarktes unter anderem die Höhe des erbeuteten Geldbetrages „nachvollziehbar dargelegt“ habe (UA S. 10).

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 221

Bearbeiter: Christian Becker