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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 587

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 274/17, Urteil v. 08.02.2018, HRRS 2018 Nr. 587


BGH 3 StR 274/17 - Urteil vom 8. Februar 2018 (LG Düsseldorf)

Beginn der Revisionsbegründungsfrist durch Zustellung des Urteils (Voraussetzungen der Zustellung; bloße formlose Übersendung einer Urteilsabschrift an die Staatsanwaltschaft); Voraussetzungen der Unzulässigkeit einer mit der allgemeinen Sachrüge begründeten Revision (fehlende Erkennbarkeit des konkreten Anfechtungsumfangs); sachlich-rechtlicher Mangel durch Nichterörterung einer Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung.

§ 36 StPO; § 37 StPO; § 41 StPO; § 344 StPO; § 345 Abs. 1 StPO; § 66 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Revisionsbegründungsfrist gemäß § 345 Abs. 1 StPO beginnt in Fällen, in denen bei Ablauf der Revisionseinlegungsfrist das Urteil noch nicht zugestellt ist, nach § 345 Abs. 1 S. 2 StPO mit der Zustellung des Urteils. Zustellungen an die Staatsanwaltschaft bedürfen dabei - wie jede Zustellung - einer Anordnung des Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 S. 1 StPO) und werden von der Geschäftsstelle (§ 36 Abs. 1 S. 2 StPO) entweder nach § 37 Abs. 1 StPO in Verbindung mit den entsprechenden Regelungen der ZPO oder nach § 41 StPO bewirkt. Das formlose Übersenden einer Urteilsabschrift ohne Akten genügt nicht.

2. Eine Revision der Staatsanwaltschaft, die innerhalb der Revisionsbegründungsfrist nur mit der allgemeinen Sachrüge begründet wird, kann unzulässig sein, wenn sich daraus der konkrete Umfang der Anfechtung nicht zweifelsfrei ergibt; das kommt etwa in Betracht, wenn das Urteil mehrere Angeklagte und/oder mehrere Taten betrifft, wenn ein teilweise verurteilendes, teilweise freisprechendes Erkenntnis sowohl zu Lasten als auch zu Gunsten der Angeklagten angefochten sein kann, oder wenn aus anderen Gründen der Anfechtungsumfang unklar bleibt.

3. Auch wenn die Staatsanwaltschaft die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung in der Hauptverhandlung nicht beantragt, stellt es einen sachlich-rechtlichen Mangel dar, wenn das Tatgericht die Sicherungsverwahrung nicht prüft, obwohl deren formelle Voraussetzungen gegeben sind und die Feststellungen die Annahme nahelegen, dass der Täter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist.

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 17. November 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist.

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil in den Aussprüchen über das Absehen von der Verfallsanordnung gemäß § 111i Abs. 2 StPO aF aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zur Höhe des Erlangten aufrecht erhalten.

Im Umfang der jeweiligen Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die betreffend den Angeklagten A. weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft sowie die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt: Den Angeklagten A. unter Freispruch im Übrigen wegen schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in Tateinheit mit Zuhälterei in drei Fällen, versuchten schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in zwei Fällen, Zuhälterei, gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, Betruges in zwei Fällen, Anstiftung zur Körperverletzung in zwei Fällen sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren, den Angeklagten B. wegen schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in Tateinheit mit Zuhälterei in drei Fällen, versuchten schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in zwei Fällen, Zuhälterei, gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen, Betruges in drei Fällen sowie versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren. Weiter hat es festgestellt, dass einer Verfallsanordnung Ansprüche Verletzter entgegenstehen und zwar betreffend beide Angeklagten als Gesamtschuldner haftend in Höhe von 275.224 € und darüber hinaus betreffend den Angeklagten A. allein in Höhe von 382.108,80 €.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren Revisionen, die auf die Nichtanordnung der Unterbringung der Angeklagten in der Sicherungsverwahrung und betreffend den Angeklagten A. weiter auch auf den Strafausspruch beschränkt sind. Die Angeklagten wenden sich jeweils mit der in allgemeiner Form erhobenen Sachrüge sowie mit Verfahrensbeanstandungen gegen ihre Verurteilungen.

2 Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft haben Erfolg, soweit sie sich gegen die unterbliebene Anordnung der Sicherungsverwahrung wenden. Die weitergehende den Angeklagten A. betreffende Revision sowie die Rechtsmittel der Angeklagten erweisen sich hingegen als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

A. Nach den Feststellungen des Landgerichts taten sich die Angeklagten, die zu dieser Zeit bereits seit einigen Jahren befreundet waren, im Jahr 2011 oder Anfang des Jahres 2012 zusammen, um durch die wirtschaftliche Ausnutzung ahnungsloser Frauen möglichst hohe eigene Einkünfte zu generieren. Der Angeklagte B. sollte dabei die Rolle des „Loverboys“ übernehmen, den Kontakt zu attraktiven jungen Frauen herstellen und sich als an materiellen Dingen nicht interessierten Mann gerieren. Um die Frauen zum Eingehen einer Beziehung zu bringen, spiegelte er ihnen das Interesse an einer langfristigen Beziehung und späteren Familiengründung vor. Der Angeklagte A. sollte die Rolle des geheimnisvollen und eventuell auch nicht ungefährlichen Freundes des Angeklagten B. übernehmen, der ihm eng verbunden war. Nach Aufnahme der Beziehung zu dem Angeklagten B. sollten die Frauen von ihren Familien, Freunden und Bekannten isoliert werden, um ihre sozialen Kontakte weitgehend auf die Angeklagten zu beschränken. Danach sollten alle erdenklichen Möglichkeiten genutzt werden, um die Frauen wirtschaftlich auszunutzen, wobei sie jedenfalls zur Aufnahme der Prostitutionstätigkeit gebracht werden sollten. Dabei wollten die Angeklagten sie engmaschig überwachen; die Frauen sollten ihre gesamten Einnahmen abgeben. Auch wenn das Versprechen der späteren Familiengründung mit dem Angeklagten B. als Motivation für die Prostitutionstätigkeit diente, sollten die Frauen darüber hinaus - bei aus Sicht der Angeklagten unzureichender Arbeitsleistung - durch körperliche Übergriffe oder deren Androhung und verbale Herabwürdigungen unter Druck gesetzt und so zu größeren Anstrengungen bewegt werden. Gegebenenfalls sollten sie auch zur Aufnahme von Darlehen gebracht werden, deren Valuta von den Angeklagten vereinnahmt wurden; dadurch konnte - wegen der Verpflichtung zur Darlehensrück- bzw. Ratenzahlung, der sich die Frauen allein ausgesetzt sahen - wiederum Druck auf sie aufgebaut werden, der jedenfalls zum Teil auch dazu genutzt wurde, sie überhaupt zur Aufnahme der Prostitutionstätigkeit zu bringen. In den folgenden Jahren setzten die Angeklagten ihren Plan zum Nachteil von vier einheimischen Frauen bürgerlicher Herkunft, den Nebenklägerinnen, um. Drei von ihnen leiden immer noch psychisch unter dem Tatgeschehen und sind infolge der Straftaten zudem finanziell ruiniert.

Das Landgericht hat wegen der verfahrensgegenständlichen Taten des (versuchten) schweren Menschenhandels gegen den Angeklagten A. fünf Einzelfreiheitsstrafen zwischen drei Jahren und sieben Jahren und sechs Monaten bzw. gegen den Angeklagten B. zwischen einem Jahr und sechs Monaten und fünf Jahren und sechs Monaten verhängt. Wegen der Taten der Zuhälterei und der Körperverletzungsdelikte zum Nachteil der Frauen hat es gegen den Angeklagten A. unter anderem Freiheitsstrafen von zwei Jahren und neun Monaten, zweimal einem Jahr und sechs Monaten sowie einem Jahr und zwei Monaten verhängt und gegen den Angeklagten B. solche von zwei Jahren, zweimal einem Jahr und sechs Monaten, einem Jahr und vier Monaten sowie zweimal einem Jahr. Bei der Prüfung einer etwaigen Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit der Angeklagten hat die sachverständig beratene Strafkammer ausgeführt, bei dem Angeklagten B. lägen dissoziale Verhaltenszüge und emotional instabile Züge vor, die den Grad einer Persönlichkeitsstörung jedoch nicht erreichten. Den Lebenslauf des Angeklagten A. zeichne ein dissoziales Verhalten und eine Einbindung in ein kriminelles Milieu aus, in dem er seine narzisstischen Persönlichkeitszüge habe ausleben können; er habe letztlich einen kriminellen Lebensentwurf.

B. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft

I. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind zulässig erhoben.

Dem steht nicht entgegen, dass die Staatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 2. März 2017 zur Begründung der am 21. November 2016 eingelegten Revisionen „zunächst“ nur allgemein die Verletzung sachlichen Rechts gerügt und eine weitergehende Begründung und konkrete Revisionsanträge erst mit Schriftsatz vom 5. Mai 2017 abgegeben hatte. Zwar kann eine Revision der Staatsanwaltschaft, die innerhalb der Revisionsbegründungsfrist nur mit der allgemeinen Sachrüge begründet wird, unzulässig sein, wenn sich daraus der konkrete Umfang der Anfechtung nicht zweifelsfrei ergibt; das kommt etwa in Betracht, wenn das Urteil mehrere Angeklagte und/oder mehrere Taten betrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2002 - 5 StR 336/02, NJW 2003, 839), wenn ein teilweise verurteilendes, teilweise freisprechendes Erkenntnis sowohl zu Lasten als auch zu Gunsten der Angeklagten angefochten sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2009 - 2 StR 324/09, NStZ-RR 2010, 288), oder wenn aus anderen Gründen der Anfechtungsumfang unklar bleibt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2015 - 3 StR 163/15, wistra 2016, 164 f.). So verhält es sich hier indes nicht. Im Einzelnen:

Im Zeitpunkt der Erhebung der allgemeinen Sachrüge mit Schriftsatz vom 2. März 2017 war der Staatsanwaltschaft das Urteil des Landgerichts Düsseldorf gemäß der Verfügung des Vorsitzenden Richters der Strafkammer vom 1. Februar 2017 noch nicht zugestellt, sondern lediglich eine Urteilsabschrift formlos übersandt worden. Ausweislich der Verfügung des zuständigen Staatsanwalts vom 2. März 2017 gab er die Revisionsbegründung mit Erhebung der allgemeinen Sachrüge nur aus Gründen äußerster Vorsicht ab.

Tatsächlich ordnete der Vorsitzende der Strafkammer erst mit Verfügung vom 30. März 2017 die Zustellung des Urteils gemäß § 41 StPO an, die am 10. April 2017 bewirkt wurde. Angesichts dessen war die Revisionsbegründungsfrist gemäß § 345 Abs. 1 StPO am 5. Mai 2017, als die Staatsanwaltschaft den Anfechtungsumfang ihrer Rechtsmittel konkretisierte, noch nicht verstrichen. Denn durch die formlose Übersendung der Urteilsabschrift wurde die Frist nach § 345 Abs. 1 StPO nicht in Lauf gesetzt: Die Frist beginnt in Fällen wie dem vorliegenden, in denen bei Ablauf der Revisionseinlegungsfrist das Urteil noch nicht zugestellt ist, nach § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO mit der Zustellung des Urteils; Zustellungen an die Staatsanwaltschaft bedürfen - wie jede Zustellung - einer Anordnung des Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO) und werden von der Geschäftsstelle (§ 36 Abs. 1 Satz 2 StPO) - da bei Urteilen kein Fall von § 36 Abs. 2 StPO vorliegt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 36 Rn. 10, 12) - entweder nach § 37 Abs. 1 StPO in Verbindung mit den entsprechenden Regelungen der Zivilprozessordnung oder nach § 41 StPO bewirkt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2016 - 4 StR 253/16, BGHR StPO § 36 Abs. 1 Anordnung 1). Die Zustellung des Urteils (nach § 41 Satz 1 StPO durch Vorlegung der Urschrift des zuzustellenden Schriftstücks) ordnete der Vorsitzende der Strafkammer indes - trotz der insoweit missverständlichen Formulierung, dass das Urteil „nochmals gemäß § 41 StPO zugestellt werden“ sollte - erstmals und ausschließlich am 30. März 2017 an. Das diese Anordnung umsetzende Schreiben der Geschäftsstelle des Landgerichts vom 6. April 2017 ging zusammen mit den Akten, in denen sich die Urschrift des Urteils befand, am 10. April 2017 bei der Staatsanwaltschaft ein, so dass die einmonatige Revisionsbegründungsfrist erst dann zu laufen begann.

Die von dem Verteidiger des Angeklagten A. in der Hauptverhandlung zur Begründung seiner Gegenauffassung zitierte Rechtsprechung betrifft die vorliegende Fallkonstellation nicht. Jenen Entscheidungen lag zugrunde, dass der Vorsitzende in der Zustellungsverfügung die Vorschrift des § 41 StPO zwar nicht ausdrücklich erwähnt hatte, die Zustellung aber anordnete und der Zustellungswille für die Staatsanwaltschaft erkennbar war (vgl. BayObLG, Beschluss vom 7. September 1995 - 2 ObOWi 600/95, BayObLGSt 1995, 154, 156; OLG Hamm, Beschluss vom 22. Mai 1981 - 6 Ss 802/81, JMBl. NW 1982, 21 f.). Hier wurde der Staatsanwaltschaft aber - wie dargelegt - nur eine Urteilsabschrift ohne Akten formlos übersandt; angesichts dessen kann keine Rede davon sein, dass aus der Übersendungsverfügung in Verbindung mit der aus den Akten zu ersehenden Verfahrenslage für die empfangende Staatsanwaltschaft erkennbar war, dass die Übersendung der Abschrift die - so in der StPO nicht vorgesehene - Zustellung des Urteils an sie bezweckte (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 6. Juli 2016 - 4 StR 253/16, BGHR StPO § 36 Abs. 1 Anordnung 1).

Wurde das Urteil der Staatsanwaltschaft damit erst am 10. April 2017 ordnungsgemäß zugestellt, lag die den Anfechtungsumfang konkretisierende Revisionsbegründungsschrift vom 5. Mai 2017 innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO.

II. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind auch überwiegend begründet.

1. a) Die Revision der Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten A. ist ausweislich der Revisionsbegründung rechtswirksam auf den Strafausspruch und die Nichtanordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschränkt.

b) Das nur hinsichtlich des unterbliebenen Maßregelausspruchs vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat auch nur in diesem Umfang Erfolg.

aa) Soweit sich die Staatsanwaltschaft gegen den Strafausspruch betreffend den Angeklagten A. wendet, ist ihre Revision entsprechend den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

bb) Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung hält jedoch revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

Die Urteilsgründe verhalten sich zu der Möglichkeit der Anordnung dieser Maßregel nicht, so dass nicht erkennbar ist, ob das Landgericht deren Voraussetzungen geprüft hat. Dies erweist sich hier - ungeachtet des Umstands, dass die Staatsanwaltschaft die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung in der Hauptverhandlung nicht beantragt hatte und deshalb eine verfahrensrechtliche Pflicht zur Erörterung nach § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO nicht bestand - als rechtsfehlerhaft. Es stellt einen sachlich-rechtlichen Mangel dar, wenn das Tatgericht die Sicherungsverwahrung nicht prüft, obwohl deren formelle Voraussetzungen gegeben sind und die Feststellungen die Annahme nahelegen, dass der Täter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist (BGH, Urteile vom 20. Oktober 2010 - 2 StR 404/10, juris Rn. 7; vom 9. Juni 1999 - 3 StR 89/99, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Begründung 1). So verhält es sich hier:

Die formellen Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB liegen ausweislich der insoweit verhängten Einzelstrafen schon allein wegen der fünf Fälle des (versuchten) Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung vor. Darüber hinaus drängten die Feststellungen mit Blick auf den mehrfach bereits zu Freiheitsstrafen verurteilten Angeklagten A., der auch schon - wenn auch länger zurückliegend - Haft verbüßte, zur Erörterung, ob dieser infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich war (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB). Dies folgt hier schon daraus, dass der Angeklagte nach den Ausführungen beider Sachverständiger einen kriminellen Lebensentwurf verfolgt bzw. sich dissozial in einem von ihm gewählten kriminellen Milieu bewegt, in dem er seine narzisstischen Persönlichkeitszüge auslebt. Dabei beging er über mehr als drei Jahre erhebliche Straftaten zum Nachteil der Nebenklägerinnen, die in den Katalog des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB fallen. Es liegt nicht fern, dass von ihm auch in Zukunft solche Taten zu erwarten wären; jedenfalls hätte dies vom Landgericht erörtert werden müssen.

2. a) Das Rechtsmittel betreffend den Angeklagten B. ist rechtswirksam auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Zwar heißt es in dem abschließenden Antrag der beide Angeklagten betreffenden Revisionsbegründung, dass die Aufhebung - auch - des Strafausspruchs beantragt werde. Im Text der Revisionsrechtfertigung hat die Staatsanwaltschaft Mängel der Strafzumessung indes allein betreffend den Angeklagten A. gerügt. Folglich widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründungsschrift. Dies führt nach ständiger Rechtsprechung dazu, dass das Angriffsziel durch Auslegung zu ermitteln ist (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 30. November 2017 - 3 StR 385/17, NStZ-RR 2018, 86 mwN), die hier ergibt, dass die Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten B. allein die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beanstandet.

b) Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg, denn in der Nichterörterung der Möglichkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung liegt ebenfalls ein sachlich-rechtlicher Mangel:

Auch betreffend den Angeklagten B. liegen die formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 2 StGB vor; auch bei ihm drängten die Feststellungen zur Prüfung des Vorliegens eines Hanges im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB. Zwar ist bei diesem Angeklagten durch die ihn begutachtenden Sachverständigen keine vergleichbare Einbindung in ein kriminelles Milieu wie bei dem Angeklagten A. festgestellt worden; seine Vorstrafen sind nicht so erheblich und er wurde noch nicht zu Freiheitsstrafen verurteilt. Es ist weiter nicht zu verkennen, dass die materiellrechtliche Pflicht zur Prüfung der Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in allen Fällen bestehen kann, in denen die formellen Voraussetzungen etwa nach § 66 Abs. 2 StGB gegeben sind; vielmehr ist daneben in jedem Einzelfall die Feststellung von Umständen erforderlich, die eine hangbedingte Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit jedenfalls naheliegend erscheinen lassen.

Hier ergab sich das Erfordernis zur Erörterung eines Hangs und einer daraus möglicherweise für die Allgemeinheit resultierenden Gefährlichkeit des Angeklagten aus dem Tatbild der zur Verurteilung gelangten Taten. Diese zeichneten sich dadurch aus, dass beide Angeklagten ihren Plan zur Ausbeutung ihrer Opfer immer weiter perfektionierten und den Druck auf sie stetig erhöhten, die dadurch bedingten - nachvollziehbaren - Ausfälle und Erschöpfungszustände der Frauen mit Gewalt beantworteten und durch die Schaffung pseudoreligiöser Konstrukte deren Abhängigkeit vertieften bzw. zu vertiefen suchten. Der Angeklagte B. beging so über einen langen Zeitraum erhebliche Anlasstaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB, deren Intensität stetig zunahm; allein dies hätte die Strafkammer auch hinsichtlich dieses Angeklagten zu einer Gesamtwürdigung seiner Person und seiner Taten veranlassen müssen, um die Frage des Vorliegens eines Hangs zu erheblichen Straftaten und seiner Gefährlichkeit für die Allgemeinheit auf zuverlässiger Tatsachengrundlage zu beantworten.

C. Die Revisionen der Angeklagten haben nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, im Übrigen erweisen sie sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I. Die Verfahrensbeanstandungen greifen aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts nicht durch. Ergänzend dazu gilt Folgendes:

1. Die von dem Angeklagten A. erhobene Rüge der Verletzung von § 243 Abs. 4 StPO bzw. eines Verstoßes gegen die gerichtliche Fürsorgepflicht und die Regeln eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 und 3 Buchstabe b MRK) erweist sich auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Verteidigers in der Revisionshauptverhandlung als unbegründet, weil ein Verfahrensverstoß jedenfalls nicht erwiesen ist. Dies folgt aus einer Gesamtwürdigung des Revisionsvortrags, der Revisionsgegenerklärung und insbesondere der inhaltlich eindeutigen dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden Richters, nach der er es ausschloss, entsprechend der anwaltlichen Erklärung von Rechtsanwalt Al. einen Zusammenhang zwischen dem Verfahrensergebnis und anderen bei der Strafkammer anhängigen Verfahren hergestellt und den Verteidiger - auch nicht sinngemäß - darum gebeten zu haben, für irgendeinen Verfahrensablauf zu sorgen; er habe insoweit auch keine Äußerungen zur Strafzumessung gemacht. Da die Mitverteidiger bei den Gesprächen zwischen Rechtsanwalt Al. und dem Vorsitzenden Richter nicht zugegen waren, können sie über deren Inhalt keine Angaben aus eigener Wahrnehmung machen, sondern lediglich darüber, was ihnen darüber gesagt worden sei. Der Senat sieht deshalb unter Aufklärungsgesichtspunkten keine Veranlassung, von ihnen Auskünfte über die Berichte einzuholen, die Rechtsanwalt Al. ihnen über seine Gespräche gegeben habe; denn sie könnten allenfalls vom Hörensagen das wiederholen, was Rechtsanwalt Al. bereits in seiner vollständig in der Revisionsbegründung wiedergegebenen anwaltlichen Erklärung niedergelegt hat. Da dieser Schilderung - wie dargelegt - die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden Richters entgegensteht, bleibt es bei der Nichterweislichkeit des Verfahrensverstoßes; nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der abzuweichen der vorliegende Fall keinen Anlass bietet, geht dieses Ergebnis zu Lasten des Beschwerdeführers, insbesondere gilt der Zweifelssatz nicht hinsichtlich der Erweislichkeit von Tatsachen, aus denen sich ein Verfahrensverstoß ergeben soll (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 - 1 StR 268/06, BGHSt 51, 180, 183 mwN; BVerfG, Beschluss vom 11. November 2001 - 2 BvR 1151/01, StV 2002, 521).

2. Zu der von dem Angeklagten B. erhobenen Rüge, die Strafkammer habe seinen Beweisantrag vom 19. September 2016 zu Unrecht als Beweisermittlungsantrag behandelt, gilt Folgendes: Das Landgericht hat den Antrag in der Sache erkennbar als aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung abgelehnt. Eine Verletzung von § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO oder der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO liegt danach nicht vor.

II. Die auf die Sachrügen veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Fehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Die Entscheidungen nach § 111i Abs. 2 StPO aF, von der Anordnung des Verfalls abzusehen, weil Ansprüche der Geschädigten entgegenstehen, kann indes keinen Bestand haben. Auch im Rahmen der nach § 111i Abs. 2 StPO aF zu treffenden Entscheidung hat das Tatgericht die Regelung des § 73c Abs. 1 StGB aF zu beachten (BGH, Beschluss vom 18. März 2015 - 3 StR 644/14, wistra 2015, 270 mwN). Deren Prüfung ist hier rechtsfehlerhaft unterblieben. Dafür, dass die Voraussetzungen des § 73c StGB im vorliegenden Fall nicht zu erörtern gewesen wären, bieten die Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Angeklagten keinen Anhalt.

Die Feststellungen dazu, was die Angeklagten aus den Taten erlangten, sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 587

Bearbeiter: Christian Becker