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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 480

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 450/15, Urteil v. 10.03.2016, HRRS 2016 Nr. 480


BGH 3 StR 450/15 - Urteil vom 10. März 2016 (LG Düsseldorf)

Rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung (Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten; keine Lücken oder Widersprüche in der Beweiswürdigung; kein revisibler Rechtsfehler trotz abweichender möglicher oder gar näherliegender Würdigung); Garantenstellung (Ingerenz bei naheliegendem Exzess).

§ 261 StPO; § 13 StGB

Entscheidungstenor

Die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 5. Mai 2015 wird verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten des versuchten Diebstahls in Tateinheit mit unterlassener Hilfeleistung, den Angeklagten S. weiter in Tateinheit mit Sachbeschädigung, schuldig gesprochen. Den Angeklagten S. hat es deswegen zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten H. hat es vier Wochen Dauerarrest verhängt; ferner hat es ihn der Aufsicht eines Betreuungshelfers unterstellt und ihm die Ableistung von 100 Arbeitsstunden auferlegt. Die Revision der Nebenklägerin rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. In der Nacht zum 28. November 2014 kamen die alkoholisierten Angeklagten überein, in eine Fast Food-Filiale einzudringen, die damals ein Gewinnspiel mit Aufklebern auf ihren Verpackungen veranstaltete. Sie wollten von den vorrätig gehaltenen Verpackungen die Aufkleber ablösen und an sich bringen. Der dort zuvor beschäftigte S. wusste, dass man aus dem Keller eines häufig unverschlossenen Nachbarhauses ungehindert in den der Filiale wechseln konnte. Gemeinsam begaben sie sich so in den im Keller befindlichen Lagerraum und begannen mit dem Ablösen der Aufkleber. S. sah sich nach einiger Zeit kurz in den oberen Räumen um und erblickte im Büro die mit der Tagesabrechnung befasste Nebenklägerin, die ihn allerdings nicht bemerkte. In der Annahme, diese werde nicht in den Keller kommen, fuhren sie mit dem Ablösen der Aufkleber fort.

Bei einem Kontrollgang gegen 02.50 Uhr entdeckte die Nebenklägerin die Angeklagten. Unbemerkt versteckte sie vorsorglich den mitgeführten Schlüssel für den im Büro stehenden Tresor. Die Angeklagten forderten die Nebenklägerin zunächst auf, ihnen beim Ablösen der Aufkleber zu helfen, entschlossen sich dann jedoch, auch die Tageseinnahmen an sich zu bringen. Hierzu verlangten sie die Herausgabe des Tresorschlüssels. Die Nebenklägerin gab vor, diesen habe ein Kollege mitgenommen. Darauf versuchte S., mit einem im Keller abgelegten Schlüsselbund den Tresor zu öffnen. Da dies erfolglos blieb und auch im Büro kein passender Schlüssel zu finden war, gab er sein Vorhaben auf und kehrte in den Keller zurück.

In der Folge schlug einer der Angeklagten der Nebenklägerin dort mit einer vorgefundenen Gasflaschenkappe aus massivem Metall mindestens viermal auf den Kopf und ins Gesicht. Sie fiel zu Boden, worauf der Täter ihr noch einen Tritt in den Rücken versetzte. Neben mehreren Platzwunden erlitt die Nebenklägerin Frakturen des Orbitabodens und dreier Lendenwirbel. Um eine Verständigung der Polizei zu verhindern, nahm S. das Mobiltelefon der blutüberströmt und bewusstlos daliegenden Nebenklägerin an sich. Damit und mit den zuvor abgelösten Aufklebern verließen die beiden die Filiale. Das Mobiltelefon warf S. sogleich weg. Die Nebenklägerin wurde gegen 04.40 Uhr in weiterhin bewusstlosem Zustand von einer Reinigungskraft im Keller aufgefunden.

2. Das Landgericht hat weder klären können, welcher der Angeklagten die Nebenklägerin misshandelte, noch hat es sich davon überzeugen können, dass dies auf einem gemeinsamen Tatplan beruhte. Es hat den Exzess eines der Angeklagten aus Wut über die gescheiterte Öffnung des Tresors oder aus Angst vor einer Entdeckung für möglich gehalten.

a) H., der sich erstmals in der Hauptverhandlung eingelassen habe, habe den Angriff bestritten. Er habe sich auf ein Geräusch hin umgedreht und die Nebenklägerin blutend auf dem Boden liegen gesehen. Demgegenüber habe S. in der Hauptverhandlung ebenso wie bereits im Ermittlungsverfahren ausgesagt, H. habe für ihn überraschend die Metallkappe ergriffen, die Nebenklägerin damit niedergeschlagen und ihr anschließend einen Fußtritt versetzt. Dabei habe H. geäußert, die Nebenklägerin habe ihre Gesichter gesehen.

b) Die Nebenklägerin habe wegen verletzungsbedingter Einschränkungen ihres Erinnerungsvermögens nicht zur Klärung beitragen können. Zunächst habe sie weder bei der ärztlichen Untersuchung am 28. November 2014 noch bei Vernehmungen am 29. November und am 1. Dezember 2014 den Tathergang schildern können. Erst am 2. Dezember 2014 habe sie gegenüber ihren beiden Töchtern geäußert, sie habe im Keller zwei Personen angetroffen, eine mit hellen Haaren (S.), die andere mit schulterlangen dunklen Haaren (H.); die mit den dunklen Haaren sei die ganze Zeit bei ihr geblieben. Geschlagen habe nur eine Person; diese habe sie aber nicht eindeutig bezeichnen können. So habe eine der Töchter bekundet, nach ihrem Eindruck sei ihrer Mutter nicht wirklich klar gewesen, welcher der Täter sie geschlagen habe. Bei einer weiteren polizeilichen Vernehmung am 3. Dezember 2014 habe die Nebenklägerin die langhaarige Person als wahrscheinlichen Angreifer benannt; am 29. Dezember 2014 erneut vernommen, habe sie sich zunächst nicht mehr daran erinnern können, überhaupt geschlagen worden zu sein. In der Hauptverhandlung habe sie erklärt, sie wisse nicht, wo ihre Verletzungen herrühren; auch der Vorhalt ihrer früheren Aussagen habe ihre Erinnerung nicht geweckt.

c) Die Spurenlage bleibe unklar. Aus Blutspuren an den Schuhen des Angeklagten H. könne in Übereinstimmung mit dem rechtsmedizinischen Sachverständigen wegen der durch die Schläge verursachten Blutspritzer und einer sich ausbreitenden Blutlache nicht auf dessen Täterschaft geschlossen werden. Soweit am Ärmel einer S. gehörenden Lederjacke Blut der Nebenklägerin gesichert worden sei, lasse sich nicht sicher feststellen, welcher der Angeklagten diese zur Zeit des Angriffs getragen habe. Wie sich aus den Aufzeichnungen einer Videokamera im Büro ergebe, habe der Täter, der sich mit dem Tresor befasste, die H. gehörende Kapuzenjacke aus Stoff getragen. Dies decke sich mit der Einlassung von H., er habe S. auf dessen Bitte hin die Jacke überlassen, weil dieser sich vor dem Gang in das Büro wegen der ihm bekannten Videoüberwachung habe vermummen wollen. Ob S. die Jacke lediglich über seine Lederjacke gezogen und sich ihrer nach Verlassen des Büros wieder entledigt habe, sei nicht zu klären. Selbst habe er angegeben, man habe bereits vor der Tat die Jacken getauscht, weil ihm wegen des - auch festgestellten - defekten Reißverschlusses der Lederjacke und zu leichter Unterbekleidung kalt gewesen sei. Sich hierzu weiter zu erklären, seien die Angeklagten nicht bereit gewesen.

3. Das Landgericht hat sich auch nicht davon überzeugen können, dass die Angeklagten den Tresorschlüssel dadurch zu erlangen versuchten, dass sie gegen die Nebenklägerin Gewalt ausübten oder diese bedrohten (§ 249 Abs. 1, § 22 StGB).

Die brutalen, zur sofortiger Bewusstlosigkeit führenden Schläge gegen die körperlich sehr kleine, den Angeklagten weit unterlegene Nebenklägerin seien erkennbar kein geeignetes Mittel gewesen, eine Übergabe des Tresorschlüssels oder eine Preisgabe des Aufbewahrungsorts zu bewirken. Im Übrigen habe die Nebenklägerin, unabhängig davon, dass sie sich an konkrete Abläufe nicht habe erinnern können, Gewalt oder Drohungen der Angeklagten zu diesem Zweck schon deshalb ausgeschlossen, weil sie dann entsprechend der betriebsinternen Anweisung den Schlüssel sogleich übergeben hätte.

4. Was die mitgenommenen Aufkleber betrifft, hat das Landgericht das Verfahren in der Hauptverhandlung gemäß §§ 154, 154a StPO eingestellt.

II.

1. Die Revision der Nebenklägerin ist zulässig (§ 400 Abs. 1, § 395 Abs. 3 StPO). Der Begründungsschrift ist dadurch, dass sie auch den Wortlaut der Begründung der zwischenzeitlich zurückgenommenen Revision der Staatsanwaltschaft einbezieht, jedenfalls zu entnehmen, dass die Nebenklägerin in Bezug auf die Tageseinnahmen eine Verurteilung der Angeklagten wegen versuchten Raubes erstrebt.

2. Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe seine Aufklärungspflicht dadurch verletzt, dass es von der Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Faserspuren „der zur Tatzeit vom Angeklagten H. getragenen Kleidung“ im Inneren der Lederjacke abgesehen habe, ist nicht in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), denn es mangelt an vollständigem Vortrag dazu, welche Vergleichsuntersuchungen die Beschwerdeführerin vermisst und aufgrund welcher Umstände sich das Landgericht dazu hätte gedrängt sehen müssen. Auch bei Heranziehung der schriftlichen Urteilsgründe bleibt offen, welche Kleidungsstücke im Einzelnen der Angeklagte H. zur Tatzeit trug und ob diese, etwa aufgrund fortdauernder Sicherstellung, für eine Vergleichsuntersuchung (noch) zur Verfügung standen.

3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist keinen Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten auf.

a) Kann das Tatgericht Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten nicht überwinden, so ist dies vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen. Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatrichters, dem allein es obliegt, sich unter dem Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht kann demgegenüber nur prüfen, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Ãœberzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. August 2015 - 3 StR 226/15 juris Rn. 5). Lückenhaft ist die Würdigung der Beweise insbesondere dann, wenn das Urteil nicht erkennen lässt, dass der Tatrichter alle Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, in seine Ãœberlegungen einbezogen und dabei nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 2015 - 3 StR 635/14 juris Rn. 3). Liegt ein solcher Rechtsfehler nicht vor, ist die tatrichterliche Würdigung auch dann hinzunehmen, wenn ein anderes Ergebnis ebenso möglich gewesen wäre oder gar näher gelegen hätte (BGH, Urteil vom 17. April 2014 - 3 StR 27/14, NStZ-RR 2014, 279, 280).

b) Nach diesen Maßstäben hält die Beweiswürdigung des Landgerichts revisionsgerichtlicher Überprüfung stand.

aa) Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, es sei weder zu ermitteln, welcher der Angeklagten die Nebenklägerin misshandelt habe, noch sei festzustellen, dass dies auf einem gemeinsamen Tatplan beruht habe.

(1) Soweit es die Revision für nahe liegend hält, dass die Angeklagten ihre Jacken schon vor dem Tatgeschehen tauschten, und die Annahme, S. könne die Kapuzenjacke über seine Lederjacke gezogen haben, als Spekulation bezeichnet, erschöpft sie sich in einer abweichenden Würdigung der Beweise. Dass S. beide Jacken übereinander trug, hat das Landgericht auch deshalb nicht ausschließen können, weil die auf der Videoaufnahme erkennbare Kapuzenjacke „gepolstert“ wirkte. Nichts anderes gilt, soweit die Revision vorträgt, das Landgericht hätte die an den Schuhen des Angeklagten H. gesicherten Blutspuren als gewichtige Beweisanzeichen für dessen Täterschaft werten müssen.

(2) Dass die Verdeckung des Tatgeschehens (übereinstimmendes) Motiv beider Angeklagter gewesen sein könnte, hat das Landgericht, anders als der Generalbundesanwalt meint, ersichtlich im Blick gehabt. Wenn es sich mangels weiterer Anhaltspunkte gleichwohl nicht von einem auf gemeinsamen Willensentschluss beruhenden Vorgehen gegen die Nebenklägerin hat überzeugen können, so ist dies revisionsrechtlich hinzunehmen.

bb) Auch soweit das Landgericht nicht hat feststellen können, dass die Angeklagten den Tresorschlüssel mittels Gewalt oder Drohungen zu erlangen versuchten, weist die dem zu Grunde liegende Würdigung der Beweise entgegen der Ansicht der Revision keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu deren Vorteil auf.

Zwar haben sich beide Angeklagte dahin eingelassen, der jeweils andere habe die Nebenklägerin, als sie im Lagerraum erschienen sei, von hinten festgehalten, bis sie aufgehört habe, zu schreien, bzw. ihr den Mund zugehalten. Ein solches Tatgeschehen hat auch die Nebenklägerin beschrieben, wenngleich sich dieses nach ihrer Erinnerung erst im Anschluss an die Frage der Täter nach dem Tresorschlüssel ereignet haben soll. Jedoch drängten diese Aussagen entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht zu weitergehenden Erörterungen, ob die Angeklagten ihrer Aufforderung an die Nebenklägerin, den Tresorschlüssel herauszugeben (oder ihrer Veranlassung, die Wegnahme der Aufkleber zu dulden), durch konkludente Drohung mit weiterer körperlicher Gewalt Nachdruck verliehen. Vielmehr machen die Gesamtumstände hinreichend deutlich, dass die Angeklagten mit ihrem Vorgehen lediglich bezweckten, die Nebenklägerin ruhig zu stellen, und dass sie nach Erreichen dieses Ziels im Gegenteil auch der Nebenklägerin gegenüber zum Ausdruck bringen wollten, von weiterer körperlicher Gewalt gegen sie Abstand zu nehmen. So hat sich S. weiter dahin eingelassen, H. habe die Nebenklägerin (nur) festgehalten, bis sie aufgehört habe, zu schreien. H. hat nach seiner Einlassung der von S. umklammerten Nebenklägerin versichert, man wolle ihr nichts tun, worauf dieser sie losgelassen habe. Erst danach habe S. plötzlich nach dem Tresorschlüssel gefragt; die Nebenklägerin habe geantwortet wie festgestellt. Vor diesem Hintergrund ist es von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die entscheidende Bedeutung der Aussage der Nebenklägerin beigemessen hat, sie hätte den Schlüssel sogleich herausgegeben, wenn sie sich bedroht gefühlt hätte.

4. Der Senat folgt dem Generalbundesanwalt auch nicht dahin, dass beide Angeklagte statt wegen unterlassener Hilfeleistung wegen eines Körperverletzungsdelikts begangen durch Unterlassen (§ 13 Abs. 1 StGB) zu verurteilen gewesen wären. Die rechtsfehlerfreien Feststellungen bieten schon keine Grundlage für die Annahme einer Garantenstellung jedes Angeklagten kraft Ingerenz deshalb, weil er durch sein Vorverhalten die nahe Gefahr eines Gewaltexzesses des jeweils anderen gegenüber der Nebenklägerin geschaffen hätte (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 26. Februar 2009 - 5 StR 572/08, NStZ 2009, 381, 382 mwN). Im Ãœbrigen werden weitergehende gesundheitliche Beeinträchtigungen der nicht lebensgefährlich verletzten Nebenklägerin dadurch, dass sie erst gegen 04.40 Uhr aufgefunden wurde, nicht ersichtlich. Ebenso wenig ist festgestellt, dass die Angeklagten solche für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hätten. Davon, dass jeder Angeklagte bereits einen solchen Gewaltexzess des jeweils anderen hätte abwenden können, geht auch der Generalbundesanwalt nicht aus.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 480

Bearbeiter: Christian Becker