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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 191

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 384/15, Beschluss v. 08.12.2015, HRRS 2016 Nr. 191


BGH 3 StR 384/15 - Beschluss vom 8. Dezember 2015 (LG Bad Kreuznach)

Rechtsfehlerhafte Anwendung des Zweifelssatzes bei Bestimmung des Wirkstoffgehalts im Betäubungsmittelstrafrecht; Beweiswürdigung („szenetypische Stückelung“ von Geldscheinen nicht ohne Weiteres als Indiz für Herkunft aus Drogengeschäften).

§ 29a BtMG; § 30a BtMG; § 261 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 11. Mai 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt und den erweiterten Verfall des sichergestellten Betrages von 590 € angeordnet. Dagegen wendet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Beschwerdeführers. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Nach den Feststellungen der Strafkammer bewahrte der Angeklagte in einer Kommode im Wohn-/Schlafzimmer seines Ein-Zimmer-Appartements 308,5 Gramm Haschisch auf, die insgesamt einen Wirkstoffgehalt von 19,86 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC) aufwiesen. Eine Teilmenge der Betäubungsmittel mit einer Wirkstoffmenge von höchstens 7,49 Gramm THC sei zum Eigenkonsum bestimmt gewesen, der Rest - und damit der überwiegende Anteil - hingegen zum gewinnbringenden Weiterverkauf. In der gleichen Kommode befand sich eine Feinwaage sowie ein Kulturbeutel mit Einwegspritzen und 590 € in „szenetypischer Stückelung“ (zwei Geldscheine à 100 €, sieben Geldscheine à 50 € und zwei Geldscheine à 20 €). Griffbereit lagen in der Wohnung zwei Teleskopschlagstöcke und auf dem Kleiderschrank eine Armbrust mit Zielfernrohr und Pfeilen.

Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung geschwiegen. Seiner Angabe gegenüber dem ihn untersuchenden Sachverständigen anlässlich des Explorationsgesprächs, er habe die Betäubungsmittel insgesamt zum Eigenkonsum vorrätig gehalten, ist das Landgericht nicht gefolgt. Es sei zwar davon auszugehen, dass er selbst Haschisch konsumiere, aber nicht in dem von ihm angegebenen Umfang von 3 bis 5 Gramm täglich. Zu Gunsten des Angeklagten hat die Strafkammer nach dem Zweifelssatz den zum Eigenkonsum bestimmten Anteil auf eine Haschischmenge mit einem Wirkstoffgehalt von 7,49 Gramm THC geschätzt.

2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Bestimmung der einerseits auf den Eigenkonsum, andererseits auf den Betäubungsmittelhandel entfallenden Haschischmengen erweist sich als rechtsfehlerhaft, denn sie verletzt den Grundsatz „in dubio pro reo": Nach dieser Entscheidungsregel hat das Tatgericht, wenn es nach Ausschöpfung aller Beweismittel nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen einer für den Schuld- oder Strafausspruch entscheidungserheblichen Tatsache gewonnen hat, zugunsten des Angeklagten die für ihn günstigste von mehreren in Betracht kommenden Varianten seiner Entscheidung zugrunde zu legen (KK/Ott, StPO, 7. Aufl., § 261 Rn. 56 mwN).

Indem das Landgericht die zum Eigenbedarf vorrätig gehaltene Betäubungsmittelmenge auf eine solche mit einem Wirkstoffgehalt von höchstens 7,49 Gramm THC geschätzt hat, hat es bei unklarer Sachlage seiner Entscheidung nicht die für den Angeklagten günstigste Sachverhaltsvariante angenommen. Zwar führt diese Bestimmung des Eigenkonsumanteils dazu, dass der Angeklagte nicht auch gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 Var. 4 BtMG wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu verurteilen war; dadurch verbleibt aber zugleich ein größerer Anteil der Gesamtmenge, der für den gewinnbringenden Verkauf bestimmt war. Dies ist für den Angeklagten vorliegend in hohem Maße ungünstig, weil an das Merkmal des Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge der Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG anknüpft, der zu der deutlich erhöhten Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe führt.

Es kann hier auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte in jedem Fall eine nicht geringe Menge der Betäubungsmittel zum Handeltreiben vorrätig hielt, denn nach den Feststellungen hatte das bei ihm sichergestellte Haschisch unterschiedliche Wirkstoffgehalte: Ein Teil wies lediglich 4,6 % Wirkstoffgehalt auf; eine Teilmenge der Betäubungsmittel mit dieser Qualität hätte bei der für den Eigenverbrauch unterstellten Wirkstoffmenge von 7,49 Gramm ein Gesamtgewicht von ca. 163 Gramm gehabt. Die Strafkammer hat es damit theoretisch für möglich gehalten, dass der Angeklagte eine solche Menge Haschisch für den Eigenverbrauch vorrätig hielt. Diese Menge mit der anderen gemessenen Wirkstoffkonzentration von 7,7 % THC hätte einen Wirkstoffanteil von 12,53 Gramm THC ergeben; dann wären indes nur 7,33 Gramm THC und damit gerade keine nicht geringe Menge der Betäubungsmittel zum gewinnbringenden Verkauf übrig geblieben.

3. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Annahme des Landgerichts, bei dem Angeklagten sei Geld in „szenetypischer Stückelung“ aufgefunden worden, angesichts der konkret mitgeteilten Aufteilung der Geldscheine, die - gerichtsbekanntermaßen - so auch bei der Abhebung eines entsprechenden Geldbetrags aus einem Geldautomat ausgegeben worden sein könnten, einer nachvollziehbaren Grundlage entbehrt; jedenfalls ergibt sich aus der vorgefundenen Stückelung kein belastbares Indiz dafür, dass das Geld aus Drogengeschäften stamme.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 191

Externe Fundstellen: StV 2017, 652

Bearbeiter: Christian Becker