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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 705

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 171/15, Beschluss v. 30.06.2015, HRRS 2015 Nr. 705


BGH 3 StR 171/15 - Beschluss vom 30. Juni 2015 (LG Mainz)

Keine Begehung der gefährlichen Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich bei mehreren jeweils nur einem Täter gegenüberstehende Opfern; Mittäterschaft; räuberische Erpressung.

§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 253 StGB; § 255 StGB.

Leitsatz des Bearbeiters

An einer Begehung der gefährlichen Körperverletzung mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) fehlt es, wenn sich mehrere Opfer jeweils nur einem Angreifer ausgesetzt sehen, ohne dass die Positionen ausgetauscht werden. In diesem Fall stehen dem jeweiligen Opfer die Beteiligten gerade nicht gemeinschaftlich gegenüber und es fehlt damit es an dem Grund für die Strafschärfung des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, der in der erhöhten abstrakten Gefährlichkeit der Tat liegt, weil einem Geschädigten mehrere Angreifer körperlich gegenüber stehen und er deshalb in seiner Verteidigungsmöglichkeit tatsächlich oder vermeintlich eingeschränkt ist.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mainz vom 22. Dezember 2014, soweit es ihn betrifft, im Schuldspruch dahin geändert, dass er der räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung schuldig ist.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision.

Das Rechtsmittel führt lediglich zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der - zu der rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen räuberischer Erpressung - tateinheitlich hinzutretende Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung kann keinen Bestand haben.

a) Das Landgericht hat hierzu festgestellt, dass der Angeklagte - wie zuvor mit dem gesondert Verfolgten E. abgesprochen - als „Lockvogel“ agierte und den Nebenkläger und dessen Frau an einem Gebüsch vorbeiführte, in dem sich E. und ein weiterer Mittäter versteckt hielten. Beim Passieren der Stelle sprangen E. und der Mittäter, der sich im Folgenden allerdings absprachewidrig passiv verhielt, unvermittelt aus dem Gebüsch, um - wie von Anfang an geplant - den Nebenkläger zu berauben und dabei gegebenenfalls auch Gewalt anzuwenden. Der gesondert Verfolgte E. versetzte dem Nebenkläger sofort einen Faustschlag und forderte die Herausgabe des mitgeführten Geldes. Der Angeklagte beteiligte sich an dem Angriff auf den Nebenkläger nicht eigenhändig; vielmehr brachte er die Ehefrau des Nebenklägers, die fliehen wollte, zu Fall und drohte ihr, er werde „die Knarre“ zücken, wenn sie nicht liegenbleibe.

Die Strafkammer hat in der rechtlichen Würdigung ausgeführt, die von E. gegen den Nebenkläger ausgeführten Gewalthandlungen müsse sich der Angeklagte nach den Regeln der Mittäterschaft zurechnen lassen; er habe über die ihm zugedachte Rolle als „Lockvogel“ hinaus aus Eigeninteresse am Erfolg der Tat auch selbst Gewalt gegen die Ehefrau des Nebenklägers angewendet und diese mit weiterer Gewalt bedroht. Die im Rahmen des gemeinsamen Wirkens beigebrachten Verletzungen hätten die Täter im Übrigen gemeinschaftlich im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB begangen.

b) Diese rechtliche Würdigung erweist sich als nicht frei von Rechtsfehlern.

Zwar begegnet die Beurteilung, der Angeklagte müsse sich auch die Gewalthandlungen des E. als Mittäter zurechnen lassen, insbesondere angesichts des festgestellten Eigeninteresses des Angeklagten am Erfolg der Tat keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Indes ergeben die Feststellungen nicht, dass der Angeklagte Mittäter einer gefährlichen Körperverletzung in Gestalt einer mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB war, denn es fehlt an der gemeinschaftlichen Begehungsweise im Sinne der Vorschrift: Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn Täter und Beteiligter bei Begehung der Körperverletzung einverständlich zusammenwirken. Daran fehlt es indes, wenn sich - wie hier der Nebenkläger und seine Frau - mehrere Opfer jeweils nur einem Angreifer ausgesetzt sehen, ohne dass die Positionen ausgetauscht werden (LK/Lilie, StGB, 11. Aufl., § 224 Rn. 35; S/S/Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 224 Rn. 11b; MüKo-StGB/Hardtung, 2. Aufl., § 224 Rn. 34; Gerhold, Jura 2010, 379, 380). Denn in diesem Fall stehen dem jeweiligen Opfer die Beteiligten gerade nicht gemeinschaftlich gegenüber. Damit fehlt es an dem Grund für die Strafschärfung des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, der in der erhöhten abstrakten Gefährlichkeit der Tat liegt, weil einem Geschädigten mehrere Angreifer körperlich gegenüber stehen und er deshalb in seiner Verteidigungsmöglichkeit tatsächlich oder vermeintlich eingeschränkt ist (LK/Lilie aaO; OLG Schleswig, Beschluss vom 17. November 2009 - 2 Ss 201/09, juris Rn. 14; Gerhold aaO).

c) Da der Angeklagte aber nach der - wie dargelegt - rechtsfehlerfreien Wertung der Strafkammer Mittäter der von dem gesondert Verfolgten E. zum Nachteil des Nebenklägers begangenen (einfachen) Körperverletzung war, konnte der Senat den Schuldspruch entsprechend ändern (§ 354 Abs. 1 StPO). Soweit der Angeklagte sich auch der Körperverletzung zu Lasten der Ehefrau des Nebenklägers schuldig gemacht haben könnte, fehlt es an dem nach § 230 Abs. 1 StGB erforderlichen Strafantrag.

2. Der Strafausspruch wird von der Änderung des Schuldspruchs nicht berührt. Der Senat kann angesichts des von dem Rechtsfehler nicht betroffenen und im Zentrum des Vorwurfs stehenden Schuldspruch wegen räuberischer Erpressung und mit Blick auf die in erster Linie mit dem notwendigen Erziehungsbedarf begründete Höhe der Jugendstrafe ausschließen, dass das Landgericht eine niedrigere Strafe verhängt hätte, wenn es - rechtlich zutreffend - lediglich von einer tateinheitlich verwirklichten einfachen Körperverletzung ausgegangen wäre.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 705

Externe Fundstellen: NStZ 2015, 584; StV 2016, 430

Bearbeiter: Christian Becker