hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 496

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 612/14, Beschluss v. 03.03.2015, HRRS 2015 Nr. 496


BGH 3 StR 612/14 - Beschluss vom 3. März 2015 (LG Koblenz)

Strafrahmenwahl beim (möglichen) Zusammentreffen von minder schwerem Fall (hier: des schweren Raubes) und gesetzlich vertypten Milderungsgründen (hier: Versuch der Beteiligung; kein Beleg des Vorsatzes bzgl. einer bandenmäßigen Begehung durch die tatrichterlichen Feststellungen.

§ 250 StGB; § 30 StGB; § 49 Abs. 1 StGB; § 15 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 31. März 2014 aufgehoben,

soweit es die Angeklagten H. und S. betrifft, in den Aussprüchen über

- die Einzelstrafen in den Fällen II. 1. und 3. der Urteilsgründe und die Gesamtstrafe,

- die Maßregeln,

soweit es den Angeklagten Sch. betrifft, in den Aussprüchen über die Einzelstrafen in den Fällen II. 2. und 3. der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe,

soweit es den Angeklagten Ha. betrifft, im Strafausspruch; die jeweils zugehörigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat verurteilt

- den Angeklagten H. wegen besonders schweren Raubes (Fall II. 2. der Urteilsgründe), wegen Verabredung zur besonders schweren räuberischen Erpressung (Fall II. 1. der Urteilsgründe) und wegen Verabredung zum besonders schweren Raub in Tateinheit mit Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe (Fall II. 3. der Urteilsgründe) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren,

- den Angeklagten S. wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit Besitz und Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe (Fall II. 2. der Urteilsgründe), wegen Verabredung zur besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Besitz und Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe (Fall II. 1. der Urteilsgründe) und wegen Verabredung zum besonders schweren Raub in Tateinheit mit Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe (Fall II. 3. der Urteilsgründe) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten,

- den Angeklagten Sch. wegen besonders schweren Raubes (Fall II. 2. der Urteilsgründe), wegen Verabredung zum besonders schweren Raub in Tateinheit mit Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe (Fall II. 3. der Urteilsgründe) und wegen Besitz eines Schlagrings (Fall II. 4. der Urteilsgründe) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten,

- den Angeklagten Ha. wegen Verabredung zum besonders schweren Raub in Tateinheit mit Besitz von Munition (Fall II. 3. der Urteilsgründe) zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten.

Weiter hat es angeordnet die Unterbringung

- des Angeklagten H. in der Sicherungsverwahrung,

- des Angeklagten S. in der Sicherungsverwahrung und in einer Entziehungsanstalt,

- des Angeklagten Sch. in einer Entziehungsanstalt.

Die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben die aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolge; im Übrigen sind sie aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die im Falle II. 1. der Urteilsgründe gegen die Angeklagten H. und S. sowie die im Falle II. 3. der Urteilsgründe gegen alle Angeklagten ausgesprochenen (Einzel-) Strafen wegen Verabredung zur besonders schweren räuberischen Erpressung bzw. zum besonders schweren Raub (§ 255, § 250 Abs. 2 Nr. 1, § 30 Abs. 2 StGB) haben keinen Bestand.

Das Landgericht hat jeweils den Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB - beim Angeklagten H. im Falle II. 1. zudem gemäß § 46b Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB - gemildert. Von der Annahme minder schwerer Fälle nach § 250 Abs. 3 StGB hat es jeweils mit der Begründung abgesehen, das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit weiche nicht in einem Ausmaß vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle ab, das die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheinen lasse. Beim Angeklagten H. gelte dies im Falle II. 1. auch unter Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes der Aufklärungshilfe nach § 46b Abs. 1 StGB.

Dagegen ist für sich gesehen nichts zu erinnern. Indes hat das Landgericht rechtsfehlerhaft von der danach gebotenen weiteren Prüfung abgesehen, ob minder schwere Fälle unter zusätzlicher Heranziehung des vertypten Milderungsgrundes des § 30 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommen.

Sieht das Gesetz den Sonderstrafrahmen eines minder schweren Falles vor und ist - wie hier gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB - auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, so ist bei der Strafrahmenwahl zwar zunächst im Rahmen einer Gesamtwürdigung auf die allgemeinen Strafzumessungsgründe abzustellen. Vermögen bereits diese die Annahme eines minder schweren Falles zu tragen, stehen die den gesetzlich vertypten Milderungsgrund verwirklichenden Umstände noch für eine (weitere) Strafrahmenmilderung nach § 49 StGB zur Verfügung. Scheidet nach Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände jedoch - wie das Landgericht hier für sich gesehen rechtsfehlerfrei angenommen hat - ein minder schwerer Fall aus, so sind zusätzlich die den gesetzlich vertypten Milderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin die Anwendung des milderen Sonderstrafrahmens nicht für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den allein wegen des gesetzlich vertypten Milderungsgrunds herabgesetzten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. zuletzt Senatsbeschlüsse vom 5. August 2014 - 3 StR 138/14; vom 22. Januar 2015 - 3 StR 535/14).

Dies hat das Landgericht nicht bedacht. Auf dem Rechtsfehler kann die Bemessung der genannten Einzelstrafen beruhen. Dies gilt auch für die im Falle II. 1. der Urteilsgründe gegen den Angeklagten H. ausgesprochene Einzelstrafe, denn es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass das Landgericht, hätte es seiner Abwägung den vertypten Milderungsgrund des § 30 Abs. 1 Satz 2 StGB mitberücksichtigt, schon ohne Verbrauch des weiteren vertypten Milderungsgrundes zu einem minder schweren Fall gelangt wäre.

2. Der Wegfall der genannten Einzelstrafen führt bei allen Angeklagten zur Aufhebung des Urteils auch im Gesamtstrafenausspruch. Weiter führt er bei den Angeklagten H. und S. zur Aufhebung der Maßregelanordnungen, denn das Landgericht konnte die Anordnung der Unterbringung dieser Angeklagten in der Sicherungsverwahrung in formeller Hinsicht ausschließlich auf deren Verurteilung wegen der verfahrensgegenständlichen Taten stützen (§ 66 Abs. 2 StGB). Die nach dieser Vorschrift erforderliche Ermessensentscheidung bewirkt beim Angeklagten S. eine derart enge Verknüpfung mit der daneben angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB), dass auch deren Aufhebung geboten ist.

Die jeweils zugehörigen Feststellungen werden dagegen von dem Abwägungsfehler nicht berührt und können aufrechterhalten bleiben.

3. Darüber hinaus hat auch die gegen den Angeklagten Sch. im Falle II. 2. der Urteilsgründe ausgesprochene Einzelstrafe keinen Bestand.

Das Landgericht hat bei der Bemessung dieser Einzelstrafe zu Lasten des Angeklagten Sch. berücksichtigt, er habe neben der Qualifikation des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB auch die der Nr. 2 verwirklicht. Die Bewertung des Landgerichts, der Angeklagte Sch. habe sich bereits bei dieser Tat "konkludent" der von den Angeklagten H. und S. sowie dem früheren Mitangeklagten M. zur Begehung von Raub oder Diebstahl gebildeten Bande angeschlossen (§ 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB), findet indes weder in den Feststellungen noch im mitgeteilten Beweisergebnis eine tragfähige Stütze. Das Landgericht stellt allein darauf ab, dass der auf der Suche nach Geldquellen befindliche Angeklagte Sch. von deren Zusammenschluss und von deren krimineller Vergangenheit wusste. Dies belegt indes nicht einen von vornherein bestehenden Vorsatz des Angeklagten, über den konkreten Einzelfall hinaus auch künftig mit diesen Straftaten zu begehen. So zog man den Angeklagten Sch. zunächst ersichtlich nur deshalb zu, weil er als Angestellter des zu überfallenden Verbrauchermarktes bei der Tatausführung behilflich sein konnte. Erst für die Zeit nach diesem Überfall ist festgestellt, dass der Angeklagte Sch. mit den anderen Beteiligten "in Kontakt" blieb, weil es "galt, neue Geldquellen aufzutun".

Die bislang zum Tatgeschehen getroffenen Feststellungen sind frei von Rechtsfehlern und können aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls ergänzende, die Annahme einer Bandenmitgliedschaft des Angeklagten bereits bei dieser Tat tragende Feststellungen zu treffen haben.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 496

Bearbeiter: Christian Becker