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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 1058

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 209/13, Beschluss v. 17.09.2013, HRRS 2013 Nr. 1058


BGH 3 StR 209/13 - Beschluss vom 17. September 2013 (LG Krefeld)

Verminderung der Schuldfähigkeit und Schuldunfähigkeit bei Betäubungsmittelabhängigkeit und Spielsucht; Aufklärungshilfe (Zusammenhang zwischen begangener Tat und Aufklärungshilfe).

§ 20 StGB; § 21 StGB; § 46b StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Weder eine Betäubungsmittelabhängigkeit noch eine "Spielsucht" schließen für sich genommen die volle Schuldfähigkeit aus.

2. Bei der Betäubungsmittelabhängigkeit kommt eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit vielmehr nur ausnahmsweise in Betracht, wenn langjähriger Betäubungsmittelkonsum zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat, der Täter unter starken Entzugserscheinungen gelitten bzw. solche befürchtet hat und dadurch dazu getrieben wurde, sich mittels einer Straftat Drogen oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, oder unter Umständen auch dann, wenn er das Delikt im Zustand eines aktuellen Rausches verübt hat.

3. Bei sog. "Spielsucht" ist maßgeblich, ob der Betroffene gravierende psychische Veränderungen in seiner Persönlichkeit erfährt, die in ihrem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichwertig sind. Nur wenn die "Spielsucht" zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen führt oder der Täter bei Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat, kann ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB anzunehmen sein.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 20. Dezember 2012, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

in den Aussprüchen über die Einzelstrafen in den Fällen II. 3, 4 und 5 der Urteilsgründe,

im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit schwerem Raub und mit Computerbetrug, wegen schwerer räuberischer Erpressung, Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen sowie wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die verfahrensrechtlichen Beanstandungen der Revision bleiben ohne Erfolg. Dies gilt auch für die Rüge, das Landgericht habe einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag des Angeklagten, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten zum Beweis dafür einzuholen, dass er sich bei Begehung der ihm vorgeworfenen Taten im Zustand zumindest erheblich verminderter Schuldfähigkeit befand, rechtsfehlerhaft zurückgewiesen. Der Angeklagte hat im Rahmen der Antragsbegründung ausgeführt, er habe sich im Januar 2007 stationär in einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie befunden und sei nach zehn Tagen mit der Diagnose eines Restzustandes nach Cannabiskonsum entlassen worden. Er hat weiter vorgetragen, er habe von August bis Oktober 2011 vor dem Hintergrund der Diagnose pathologisches Glücksspiel (ICD 10F 63.0) an einer stationären Rehabilitation in einer internistisch psychosomatischen Fachklinik teilgenommen, nachdem ihm das Amtsgericht Dinslaken in seinem Beschluss vom 22. August 2011 über die Aussetzung des Restes einer gegen ihn vollzogenen Jugendstrafe aufgegeben hatte, an einer Therapie in dieser Fachklinik teilzunehmen.

Es kann dahinstehen, ob dem Antrag trotz der ihm beigegebenen Begründung mangels hinreichend konkreter Beweisbehauptung die Qualität eines Beweisantrags fehlt, und das Landgericht, so es sich doch um einen Beweisantrag handeln sollte, durch dessen Ablehnung wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 3 StPO verstoßen hat; denn jedenfalls könnte das Urteil auf dem etwaigen Verfahrensfehler nicht beruhen. Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen, die als Anknüpfungstatsachen auch von einem beigezogenen Sachverständigen hätten zugrunde gelegt werden müssen, ist auszuschließen, dass das Landgericht nach sachverständiger Beratung zu der Überzeugung hätte gelangen können, der Angeklagte sei bei Begehung der Taten aufgrund seines Betäubungsmittelkonsums und einer Spielsucht (je für sich oder in Kombination) in seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt gewesen. Im Einzelnen:

a) Der Konsum von Betäubungsmitteln und eine Betäubungsmittelabhängigkeit begründen für sich weder eine Schuldunfähigkeit noch eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit. Dies ist vielmehr nur ausnahmsweise der Fall, wenn langjähriger Betäubungsmittelkonsum zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat, der Täter unter starken Entzugserscheinungen gelitten bzw. solche befürchtet hat und dadurch dazu getrieben wurde, sich mittels einer Straftat Drogen oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, oder unter Umständen auch dann, wenn er das Delikt im Zustand eines aktuellen Rausches verübt hat (vgl. Weber, BtMG, 4. Aufl., vor §§ 29 ff., Rn. 451 f. mwN).

Auch "Pathologisches Spielen" oder "Spielsucht" stellt für sich genommen keine die Schuldfähigkeit erheblich einschränkende oder ausschließende krankhafte seelische Störung oder schwere andere seelische Abartigkeit dar. Maßgeblich ist insoweit vielmehr, ob der Betroffene durch seine "Spielsucht" gravierende psychische Veränderungen in seiner Persönlichkeit erfährt, die in ihrem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichwertig sind. Nur wenn die "Spielsucht" zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen führt oder der Täter bei Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat, kann ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB anzunehmen sein (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2004 - 5 StR 411/04, BGHSt 49, 365, 369 ff.; Beschluss vom 9. Oktober 2012 - 2 StR 297/12, NJW 2013, 181 f., je mwN).

b) Das Vorliegen derartiger Besonderheiten in der Persönlichkeit des Angeklagten, die ihre Ursachen in einer "Spielsucht", einer Betäubungsmittelabhängigkeit oder in dem Zusammentreffen beider Suchtformen hätten, ist nach den Urteilsfeststellungen ausgeschlossen.

Danach erreichte der Angeklagte während der gegen ihn bis Ende August 2011 vollstreckten Jugendstrafe den Realschulabschluss. Nach Entlassung aus der Haft und der erfolgreichen Absolvierung der ihm aufgegebenen Therapie wegen "pathologischen Glücksspiels" begann er ab 1. Dezember 2011 ein Praktikum zur Vorbereitung einer Ausbildung bei der Fa. T. ; ohne seine Inhaftierung in vorliegender Sache hätte er konkrete Aussichten gehabt, eine offizielle Ausbildungsstelle zu erhalten. Zwar begann der Angeklagte ab Ende Februar 2012 wieder verstärkt Spielhallen zu besuchen, wo er auch erhebliche Summen verspielte. Auf seinen durch das Praktikum strukturierten Tagesablauf oder sein sonstiges Verhalten wirkte sich dies indes nicht wesentlich aus. Betäubungsmittel konsumierte der Angeklagte nur in Maßen, zuletzt in unregelmäßigen Abständen drei bis vier Joints pro Woche; sonstige Betäubungsmittel mied der Angeklagte und nahm Alkohol nur gelegentlich und in geringen Mengen zu sich. Soweit er und seine Tatgenossen bei den verfahrensgegenständlichen Taten größere Geldbeträge erbeuteten, verwendete der Angeklagte seinen Anteil - außer für das Spielen an Spielautomaten - jeweils auch für Drogen und Alkohol sowie zum Kauf von Essen, Trinken und Zigaretten und zur Finanzierung von Bordellbesuchen.

Vor diesem Hintergrund liegen bei Anwendung der dargelegten rechtlichen Maßstäbe die Voraussetzungen des § 21 StGB ersichtlich nicht vor. Deshalb musste sich das Landgericht auch nicht dazu gedrängt sehen, zur Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten gemäß § 244 Abs. 2 StPO von Amts wegen ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen. Auch die von der Revision insoweit zusätzlich erhobene Aufklärungsrüge bleibt daher erfolglos.

2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachbeschwerde hat zum Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Die Strafzumessung hat hingegen nur zum Teil Bestand. Der jeweilige Einzelstrafausspruch in den Fällen II. 3, 4 und 5 (Taten vom 11./12. Mai 2012) kann nicht bestehen bleiben, da das Landgericht insoweit die Milderung des Strafrahmens gemäß § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB rechtsfehlerhaft nicht geprüft hat.

Nach den Urteilsgründen ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte Aufklärungshilfe hinsichtlich der Taten vom 24. März 2012 und vom 7. Mai 2012 (Taten II. 1 und 2 der Urteilsgründe) geleistet hat. Aufgrund dessen hat das Landgericht in Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens in diesen Fällen den Strafrahmen jeweils gemäß § 49 Abs. 1 StGB gemildert und dies ausführlich begründet. In den übrigen drei Fällen hat das Landgericht die Milderung des Strafrahmens hingegen nicht vorgenommen und das Absehen hiervon auch nicht begründet. Daher ist davon auszugehen, dass das Landgericht diese Strafrahmenmilderung insoweit nicht geprüft oder von vornherein nicht für möglich gehalten hat. Dies ist rechtsfehlerhaft.

§ 46b StGB - in seiner zu den Tatzeiten geltenden Fassung (§ 2 Abs. 1 StGB) - ist auch dann anwendbar, wenn zwischen der jeweils zu beurteilenden Tat und derjenigen, zu der der Täter einen Aufklärungsbeitrag erbracht hat, kein Zusammenhang besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2010 - 5 StR 182/10, BGHSt 55, 153, 154 f. mwN; BTDrucks. 17/9695 S. 1, 6). Daher ist, wenn dem Täter mehrere Delikte zur Last liegen, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitstrafe oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind (§ 46b Abs. 1 Satz 1 StGB), für alle Taten abzuwägen, ob eine Strafrahmenverschiebung gerechtfertigt ist, auch wenn sich die Aufklärungshilfe nur auf eine dieser Taten bezieht (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2013 - 3 StR 8/13, NStZ-RR 2013, 203; BT-Drucks. 16/6268 S. 13 mwN). Eine solche Abwägung hat das Landgericht in den Fällen II. 3, 4 und 5 der Urteilsgründe - auch nach deren Gesamtzusammenhang - nicht vorgenommen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass es bei Ausübung seines Ermessens in jedem dieser Fälle den gemilderten Strafrahmen angewandt und eine niedrigere Einzelstrafe festgesetzt hätte. Der Wegfall dieser Einzelstrafen (neun Monate, ein Jahr und neun Monate sowie zwei Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe) hat die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Folge.

Den neuen Tatrichter weist der Senat darauf hin, dass sich die Anwendbarkeit der am 1. August 2013 in Kraft getretenen Neufassung des § 46b StGB (46. StrÄndG vom 10. Juni 2013, BGBl. I S. 1497) nach den allgemeinen Vorgaben des § 2 StGB bestimmt. Hat - wie hier - der Aufklärungsgehilfe seine Taten vor Inkrafttreten der Neuregelung begangen, so ist daher gemäß § 2 Abs. 3 StGB über die mögliche Strafrahmenverschiebung nach den Maßstäben des § 46b StGB in seiner alten Fassung zu entscheiden (vgl. BT-Drucks. 17/9695 S. 9).

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 1058

Bearbeiter: Christian Becker