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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 113

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 422/12, Beschluss v. 13.11.2012, HRRS 2013 Nr. 113


BGH 3 StR 422/12 - Beschluss vom 13. November 2012 (LG Schwerin)

Schwerer Raub (finale Verknüpfung; Erforderlichkeit gesonderter Feststellungen bei konkludenter Androhung weiterer Gewalt); Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (zu enges und deshalb rechtsfehlerhaftes Verständnis des symptomatischen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstat).

§ 249 StGB; § 250 StGB; § 64 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 10. April 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

zu Tat 1 der Urteilsgründe insgesamt;

darüber hinaus, aa) soweit es den Angeklagten H. betrifft, im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist; bb) soweit es die Angeklagten G. und L. betrifft, im Strafausspruch.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen schweren Raubes in Tateinheit mit räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Nötigung und Vergewaltigung (Tat 1 der Urteilsgründe), wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung (Tat 2 der Urteilsgründe) und wegen Körperverletzung (Tat 3 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Gegen die Angeklagte G. hat es wegen schweren Raubes in Tateinheit mit räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Nötigung (Tat 1 der Urteilsgründe) eine Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten ausgesprochen und gegen den Angeklagten L. wegen schweren Raubes in Tateinheit mit räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Nötigung und Vergewaltigung (Tat 1 der Urteilsgründe) sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit räuberischer Erpressung und Freiheitsberaubung (Tat 2 der Urteilsgründe) eine Jugendstrafe von drei Jahren verhängt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg, im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verurteilung aller drei Angeklagten wegen schweren Raubes im Fall der Tat 1 der Urteilsgründe hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts kamen die Angeklagten überein, den Geschädigten W., der angeblich schlecht über den Angeklagten H. gesprochen habe, körperlich zu züchtigen; außerdem wollten sie sich an ihm bereichern. Die Angeklagte G. verabredete sich zum Schein mit ihm, am Treffpunkt erschienen auch die Angeklagten H. und L. Dabei war allen Angeklagten bewusst, dass das Auftreten des Angeklagten H. auf den Geschädigten bedrohlich wirkte. Nachdem er diesen zunächst zur Herausgabe von Geld und anderen Wertgegenständen an die Angeklagte G. genötigt hatte, schlug der Angeklagte H. mehrfach auf den Geschädigten ein, auch, während sie sich zu dessen Wohnung begaben. Dort angelangt, verschafften sich die Angeklagten erneut unter Einschaltung einer List gegen den Willen des Geschädigten Zutritt, nahmen ihm den Schlüssel ab und sperrten die Wohnungstür zu. In den folgenden Stunden schlugen die Angeklagten H. und L. mehrfach abwechselnd mit den Fäusten auf W. ein. Ohne dass die Strafkammer nähere Feststellungen zur zeitlichen Abfolge treffen konnte, nötigte der Angeklagte H. den Geschädigten zur Herausgabe eines Computers und zur Abfassung eines diesbezüglichen Schenkungsvertrages, schlug und bewarf ihn mit einem Deo-Roller, trat ihn mit dem beschuhten Fuß gegen den Rumpf, drückte eine Zigarette auf seinem Rücken aus und forderte ihn auf, den Penis des Angeklagten L. in den Mund zu nehmen, und diesem "einen zu blasen". Aus Angst vor weiteren Übergriffen leistete W. allen an ihn gerichteten Ansinnen - auch denen, den Urin der Angeklagten und ein Gemisch aus Bier, Zigarettenasche und Zigarettenfiltern zu trinken - Folge, gab außerdem seine EC-Karte heraus und teilte der Angeklagten G. auf Verlangen des Angeklagten H. die Geheimnummer mit; die Angeklagte G. hob so 300 € von seinem Konto ab, die die Angeklagten untereinander aufteilten. Zudem packten die Angeklagten Stehlenswertes in Taschen und Rucksäcken des Geschädigten zusammen und stellten diese im Flur der Wohnung zum Abtransport bereit. W. leistete "unter dem fortwirkenden Eindruck der Gewalt" auch hierbei keine Gegenwehr. Gegen drei Uhr am nächsten Morgen verließen die Angeklagten mit ihrer Beute und dem Geschädigten die Wohnung, und zwangen diesen, sich mit ihnen in die Wohnung der Angeklagten G. zu begeben, wo sie erneut die Tür zusperrten, um W. an der Flucht zu hindern. Die Angeklagten H. und L. schlugen auch hier über mehrere Stunden in wechselnder Beteiligung auf den Geschädigten ein.

b) Das Landgericht hat den Tatbestand des schweren - richtig: des besonders schweren (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2010 - 3 StR 496/09) - Raubes als erfüllt angesehen, weil der Angeklagte H. zu einer Zeit, als die Wegnahme der in der Wohnung zusammengepackten Gegenstände noch nicht vollendet gewesen sei, den Geschädigten mit einem Deo-Roller an den Kopf geschlagen und so bei der Tat ein gefährliches Werkzeug verwendet habe (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Diese Annahme wird von den Feststellungen nicht belegt. "Bei der Tat" verwendet der Täter eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB, wenn er es zweckgerichtet im Rahmen der Verwirklichung des Raubtatbestandes gebraucht, also als Nötigungsmittel zur Herbeiführung der Wegnahme (Fischer, StGB, 59. Aufl., § 250 Rn. 18). Zu der Vorstellung des Angeklagten H. bei dem Schlag mit dem Deo-Roller und zu der erforderlichen finalen Verknüpfung zwischen dessen Einsatz und der Wegnahme der Gegenstände hat die Strafkammer keine Feststellungen getroffen. Dies erübrigte sich weder wegen des zeitlichen Zusammenhangs noch mit Blick auf das übrige Tatgeschehen, denn dieses lässt es zumindest ebenso naheliegend erscheinen, dass der Angeklagte H. sein Opfer, das von ihm und dem Angeklagten L. in vielfacher Art und Weise misshandelt und gedemütigt wurde und deshalb bereits massiv eingeschüchtert war, durch den Schlag mit dem Deo-Roller nur weiter quälen wollte. Auch die Annahme des Generalbundesanwalts, der Schlag sei jedenfalls noch in Beutesicherungsabsicht erfolgt, was für eine Verwendung "bei der Tat" ausreichen würde (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 5 StR 445/08, BGHSt 52, 376, 377), findet in den Feststellungen keine Stütze; dagegen spricht insbesondere, dass die Angeklagten den Geschädigten - mit ihrer Beute - noch in die Wohnung der Angeklagten G. verbrachten, um ihn dort weiter zu misshandeln.

c) Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen (besonders) schweren Raubes lässt auch die - von diesem Rechtsfehler nicht betroffene - Verurteilung wegen der tateinheitlich dazu begangenen Delikte entfallen. Für eine neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Das neue Tatgericht wird zu prüfen haben, ob das Geschehen bis zum Verlassen der Wohnung des Geschädigten nicht auch unter den Tatbestand des erpresserischen Menschenraubes nach § 239a Abs. 1 StGB - jedenfalls in der Variante des Ausnutzens einer Bemächtigungslage - zu subsumieren ist. Dabei ist zu bedenken, dass auch die erzwungene Wegnahme eine "Erpressung" im Sinne von § 239a StGB darstellen kann, weil der Tatbestand der Erpressung den des Raubes mit umfasst (BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2007 - 3 StR 459/07, NStZ-RR 2009, 16, 17 mwN).

Bei den Tatbeständen des Raubes und der räuberischen Erpressung ist gleichermaßen erforderlich, dass zwischen dem Einsatz des Nötigungsmittels und der Wegnahme bzw. dem erstrebten Vermögensvorteil ein finaler Zusammenhang besteht. Dieser erfordert, dass Gewalt oder die Drohung damit vom Täter eingesetzt wird, um die Wegnahme zu ermöglichen bzw. das Opfer zu der vermögensschädigenden Handlung zu veranlassen; dass das Opfer Angst vor den Tätern hat, ist insoweit nicht ausreichend. Zwar mag es in Fällen wie dem vorliegenden, in denen das Opfer zahlreichen - allerdings nicht notwendig in Zusammenhang mit Raub oder räuberischer Erpressung stehenden - körperlichen Übergriffen ausgesetzt war, naheliegen, dass die Täter für den Fall, dass sich das Opfer ihrem erpresserischen Ansinnen verwehrt oder einer Wegnahme entgegentritt, zumindest konkludent mit der Anwendung weiterer Gewalt drohen. Dies enthebt das Gericht indes nicht einer diesbezüglichen Feststellung (vgl. hierzu Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 28. Aufl., Rn. 281 ff.).

Mit Blick auf den Tatabschnitt, in dem der Geschädigte - auf entsprechende Aufforderung des Angeklagten H. - den Penis des Angeklagten L. in den Mund nahm, ist zu bedenken, dass der Tatbestand der Vergewaltigung nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB ein eigenhändiges Delikt darstellt, das der Angeklagte H., zwischen dem und dem Geschädigten es zu keinem Körperkontakt kam, folglich nicht verwirklicht hat. Allerdings kommt ein besonders schwerer Fall der sexuellen Nötigung nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB in Betracht.

Das neue Tatgericht wird zudem die Abhebung von Geld vom Konto des Geschädigten durch die Angeklagte G. mit der zuvor abgenötigten EC-Karte und der Geheimnummer auch unter dem Gesichtspunkt des § 263a Abs. 1 StGB in der Alternative des unbefugten Verwendens von Daten zu würdigen haben.

2. a) Die teilweise Aufhebung des Schuldspruchs bedingt bezüglich des Angeklagten H. die Aufhebung der insoweit verhängten Einsatzstrafe, so dass auch der Gesamtstrafenausspruch keinen Bestand hat.

b) Auch die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB begegnet hinsichtlich dieses Angeklagten durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Strafkammer hat im Rahmen der Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten das Vorliegen eines Hanges im Sinne des § 64 StGB bejaht, die weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift indes nicht angesprochen, obwohl der Angeklagte die Taten unter dem Einfluss von Alkohol und/oder Drogen beging. Vielmehr hat sie sich den Ausführungen des von ihr gehörten Sachverständigen angeschlossen, nach denen "das Tatgeschehen nicht, jedenfalls nicht in erster Linie auf den Hang", sondern "(in erster Linie) auf die dissoziale Persönlichkeitsstörung des Angeklagten" zurückzuführen sei. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht von einem zu engen und deshalb rechtsfehlerhaften Verständnis des symptomatischen Zusammenhangs zwischen einem Hang zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln und der Anlasstat ausgegangen ist. Denn es ist nach ständiger Rechtsprechung nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige oder vorrangige Ursache der Anlasstat ist; vielmehr ist es ausreichend, dass der Hang neben anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche Straftaten begangen hat (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2009 - 3 StR 191/09, NStZ 2010, 83, 84 mwN). Die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch den Tatrichter auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362).

3. Die hinsichtlich der Angeklagten G. vollständige und hinsichtlich des Angeklagten L. teilweise Aufhebung des Schuldspruchs entzieht den verhängten Jugendstrafen ihre Grundlage. Mit Blick auf die Strafzumessungserwägungen der Strafkammer weist der Senat darauf hin, dass sich die Höhe der Jugendstrafe nach § 18 Abs. 2 JGG vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten bemisst. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. August 2012 - 3 StR 259/12 und vom 28. Februar 2012 - 3 StR 15/12, NStZ-RR 2012, 186, 187 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 113

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2013, 210

Bearbeiter: Christian Becker