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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 1092

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 87/11, Beschluss v. 05.07.2011, HRRS 2011 Nr. 1092


BGH 3 StR 87/11 - Beschluss vom 5. Juli 2011 (LG Berlin)

BGHSt 56, 271; wiederholte Zuwiderhandlung gegen eine räumliche Beschränkung (Vorsatz; vorherige staatliche Reaktion auf die Ersttat; verfassungsrechtliche Schranken der Kriminalisierung: Übermaßverbot; Beharrlichkeit); Meistbegünstigungsprinzip.

Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 GG; § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG; § 61 AufenthG; § 15 StGB; § 2 Abs. 3 StGB

Leitsätze

1. Das Tatbestandsmerkmal der wiederholten Zuwiderhandlung nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erfordert weder eine Ahndung des Erstverstoßes noch eine sonstige behördliche Reaktion, die geeignet ist, dem Ausländer sein Fehlverhalten vor Augen zu führen. (BGHSt)

2. Eine wiederholte Zuwiderhandlung setzt einen vorsätzlich begangenen Erstverstoß voraus. (Bearbeiter)

3. Dem Übermaßverbot kommt wegen des in Androhung, Verhängung und Vollziehung von Strafe zum Ausdruck kommenden sozialethischen Unwerturteils als Maßstab für die verfassungsrechtliche Legitimierung einer Strafnorm besondere Bedeutung zu (BVerfGE 90, 145, 185; 92, 277, 326). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es aber grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen. Demgemäß obliegt es diesem u.a., die Grenzlinie zwischen kriminellem Unrecht und Ordnungsunrecht im Einzelnen zu ziehen; ihm ist mit Blick auf die in diesem Grenzbereich unter Umständen nur graduellen Unterschiede ein nicht unerheblicher Spielraum eigenverantwortlicher Bewertung einzuräumen (BVerfGE 80, 182, 186; 96, 10, 26).

4. Diesen weiten Gestaltungsspielraum überschreitet die Regelung in § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nicht dadurch, dass sie zur Erfüllung des Vergehenstatbestands eine staatliche Reaktion auf den Erstverstoß nicht verlangt. (Bearbeiter)

5. Ein beharrliches Handeln des Täters setzt voraus, dass das entsprechende Verbot aus Missachtung oder Gleichgültigkeit immer wieder übertreten wird. Erforderlich ist demnach in objektiver Hinsicht stets zumindest ein vorangegangener Verstoß. Hinzukommen muss allerdings als subjektives Element eine besondere Gesinnung. Zu deren Beurteilung ist eine Gesamtwürdigung der verschiedenen Handlungen erforderlich. Dabei stehen die einzelnen in Betracht kommenden Elemente nicht isoliert nebeneinander; vielmehr bestehen Wechselwirkungen, die jeweils Rückschlüsse auf das Vorliegen der anderen Kriterien erlauben (vgl. im Einzelnen BGHSt 54, 189, 196, 198). (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 2. Dezember 2010 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen wiederholter Zuwiderhandlung gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 AufenthG in 15 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt und die Zahlung in monatlichen Raten bewilligt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung durch den Senat bedürfen über die Ausführungen des Generalbundesanwalts in dessen Antragsschrift hinaus lediglich folgende Gesichtspunkte:

I. Die Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, wonach bestraft wird, wer wiederholt einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 AufenthG zuwiderhandelt, werden durch die Feststellungen belegt.

Danach wurde der Asylantrag des Angeklagten, eines türkischen Staatsbürgers kurdischer Herkunft, mit seit dem 23. März 2004 bestandskräftigem Bescheid vom 10. Dezember 1999 abgelehnt. Sodann lebte der Angeklagte auf der Grundlage regelmäßig verlängerter Duldungen in Deutschland; er besaß keinen Aufenthaltstitel und war vollziehbar ausreisepflichtig. Sein Aufenthalt war - was er wusste - räumlich auf das Land Brandenburg beschränkt. Der Angeklagte hielt sich jedoch bereits Anfang des Jahres 2007 wiederholt ohne Erlaubnis in Berlin auf. Im Tatzeitraum zwischen dem 27. Oktober 2007 und dem 21. Juli 2009 verließ er - ebenfalls ohne Erlaubnis - insgesamt 15 mal das Land Brandenburg, um überwiegend in Berlin, aber auch in anderen Bundesländern, an politischen bzw. gesellschaftlichen Veranstaltungen teilzunehmen und Kontakt zu Landsleuten zu pflegen.

1. Somit verstieß der vollziehbar ausreisepflichtige Angeklagte gegen die nach § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gesetzlich angeordnete Beschränkung seines Aufenthalts auf das Gebiet des Landes Brandenburg. Auf die von der Revision aufgeworfene Frage, ob § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG auch Zuwiderhandlungen gegen behördlich angeordnete Aufenthaltsbeschränkungen nach § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG umfasst (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 StR 381/08, BGHSt 53, 181), kommt es deshalb nicht an.

2. Der Angeklagte handelte wiederholt im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG.

a) Eine wiederholte Zuwiderhandlung setzt zunächst einen vorsätzlich begangenen Erstverstoß voraus (HansOLG Bremen, Beschluss vom 29. September 2008 - Ss 23/08, StraFo 2008, 520; OLG Brandenburg, Beschluss vom 22. Februar 2007 - 1 Ss 96/06, NStZ 2008, 531). Dieser ist gegeben; denn der Angeklagte hielt sich trotz Kenntnis der räumlichen Beschränkung seines Aufenthalts auf das Land Brandenburg bereits zu Beginn des Jahres 2007 mehrfach in Berlin auf.

b) Die Strafbarkeit des Angeklagten wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass eine staatliche Reaktion auf den Erstverstoß nicht festgestellt ist. Das Tatbestandsmerkmal der wiederholten Zuwiderhandlung nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erfordert weder eine Ahndung des Erstverstoßes noch eine sonstige behördliche Reaktion, die geeignet ist, dem Ausländer sein Fehlverhalten vor Augen zu führen (OLG Hamm, Urteil vom 31. Januar 2007 - 1 Ss 500/06; Erbs/Kohlhaas/Senge, Strafrechtliche Nebengesetze, § 95 AufenthG Rn. 39 [Stand: April 2010]; Lange, StRR 2007, 118; zum AsylVfG vgl. OLG Celle, Urteil vom 20. Februar 1984 - 1 Ss 28/84, NStZ 1984, 324; OLG Karlsruhe, Urteil vom 4. August 1988 - 1 Ss 41/88, NStZ 1988, 560; OLG Stuttgart, Urteil vom 13. Oktober 1995 - 1 Ss 416/95, NStZ-RR 1996, 173, 174; MünchKomm StGB/Schmidt-Sommerfeld, § 85 AsylVfG Rn. 37).

aa) Aus dem Wortlaut der Vorschrift lässt sich eine derartige Einschränkung, wie sie teilweise in der Literatur vertreten wird (MünchKomm StGB/Gericke, § 95 AufenthG Rn. 66, 72; HKAuslR/Wingerter, § 95 AufenthG Rn. 18; Huber/Stoppa, AufenthG, § 95 Rn. 241, 244; Renner/Dienelt, Ausländerrecht, 9. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 50), nicht ableiten. Die Norm verlangt allein eine "wiederholte" Zuwiderhandlung, mithin einen vor der eigentlichen Tat begangenen gleichartigen Verstoß.

bb) Ein Wille des Gesetzgebers dahin, dass die Strafvorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nur dann eingreifen soll, wenn der Erstverstoß zu einer staatlichen Reaktion in dem umschriebenen Sinne geführt hat, ist nicht ersichtlich. Er lässt sich insbesondere nicht aus den Gesetzesmaterialien herleiten. In der Begründung zu § 61 und § 95 AufenthG (BT-Drucks. 15/420 S. 92, 98) ist im Wesentlichen lediglich ausgeführt, vollziehbar Ausreisepflichtige sollten gegenüber Asylbewerbern nicht besser gestellt werden. Mit Blick hierauf hat der Gesetzgeber den erstmaligen Verstoß gegen eine räumliche Aufenthaltsbeschränkung des vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers nach § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in § 98 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG als Ordnungswidrigkeit ausgestaltet und in § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG eine Strafvorschrift geschaffen, die wie § 34 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a AsylVfG aF, § 85 Nr. 2 AsylVfG nF einen wiederholten Verstoß des Ausländers voraussetzt. Auch aus den einschlägigen Materialien zum Asylverfahrensgesetz ergibt sich nicht, dass die Strafbarkeit davon abhängig sein soll, dass der Erstverstoß in irgendeiner Form zur Ahndung gelangt ist. Nach dem ursprünglichen Gesetzesentwurf der damaligen Koalitionsfraktionen von SPD und FDP (BT-Drucks. 9/875) sollte bereits der Erstverstoß als Straftat sanktioniert werden (BT-Drucks. 9/875 S. 8). Der Rechtsausschuss des Bundestages vertrat demgegenüber in seinem Bericht (BT-Drucks. 9/1630), auf dem die spätere Gesetzesfassung gründet, die Auffassung, eine Zuwiderhandlung gegen eine räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung solle nicht schon bei einem ersten Verstoß als Strafe bedroht sein, sondern nur, wenn der Asylbewerber die Zuwiderhandlung wiederhole. Erst in einem solchen Wiederholungsfall liege strafwürdiges Unrecht vor. Die erste Zuwiderhandlung könne als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Eine solche abgestufte Sanktionierung erscheine besser geeignet, auf die Zuwiderhandlungen des Asylbewerbers angemessen reagieren zu können (BT-Drucks. 9/1630 S. 27 f.). Diesen Ausführungen lässt sich nicht eindeutig entnehmen, dass die Strafbarkeit bei einem wiederholten Zuwiderhandeln von einer staatlichen Reaktion auf den Erstverstoß abhängen soll (OLG Celle aaO). Sie sprechen vielmehr eher dafür, dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers allein die erneute Zuwiderhandlung das strafbare Unrecht begründet; denn hätte der Rechtsausschuss eine entsprechende Voraussetzung für die Ahndung des zweiten Verstoßes als Straftat empfehlen wollen, hätte es nahe gelegen, dies ausdrücklich zum Ausdruck zu bringen (so zu Recht schon OLG Karlsruhe aaO; vgl. auch MünchKommStGB/Schmidt-Sommerfeld aaO Rn. 37).

Dementsprechend geht auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 (VV AufenthG) davon aus, dass nur der wiederholte, d.h. der mindestens zweite Verstoß gegen die gesetzliche räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, die Strafbarkeit gemäß § 95 AufenthG begründet (Ziffer 95.1.7.2 VV AufenthG), und sieht es als unerheblich an, ob der erste Verstoß rechtskräftig geahndet worden ist; erforderlich ist danach lediglich die objektive Wiederholung (Ziffer 95.1.7.3 i.V.m. Ziffer 95.1.6a.1.2 VV AufenthG).

cc) Systematische Erwägungen sprechen ebenfalls gegen das Erfordernis einer staatlichen Reaktion auf den Erstverstoß. Mehrere Strafvorschriften, welche die Strafbarkeit ähnlich wie § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG von einem mehrfachen Tätigwerden abhängig machen - etwa die Ausübung der verbotenen Prostitution (§ 184e StGB), die Nachstellung (§ 238 StGB), die Erwerbstätigkeit von Ausländern ohne Genehmigung oder ohne Aufenthaltstitel in größerem Umfang (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 SchwarzArbG) sowie die Vergehen nach § 27 Abs. 2 Nr. 2 JuSchG, § 148 Nr. 1 GewO und § 20 GPSG -, erfordern ein beharrliches Handeln des Täters. Dieses setzt voraus, dass das entsprechende Verbot aus Missachtung oder Gleichgültigkeit immer wieder übertreten wird. Erforderlich ist demnach in objektiver Hinsicht stets - insoweit entsprechend dem wiederholten Zuwiderhandeln nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG - zumindest ein vorangegangener Verstoß. Hinzukommen muss allerdings als subjektives Element eine besondere Gesinnung. Zu deren Beurteilung ist eine Gesamtwürdigung der verschiedenen Handlungen erforderlich. Dabei stehen die einzelnen in Betracht kommenden Elemente nicht isoliert nebeneinander; vielmehr bestehen Wechselwirkungen, die jeweils Rückschlüsse auf das Vorliegen der anderen Kriterien erlauben (vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 19. November 2009 - 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189, 196, 198; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 184e Rn. 5). Hieraus folgt, dass eine Ahndung der Vortat zwar als für die subjektive Komponente der Beharrlichkeit sprechendes Indiz im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung Bedeutung gewinnen kann; eine Reaktion auf den Erstverstoß ist indessen nicht unbedingt erforderlich und damit keine konstitutive Voraussetzung beharrlichen Handelns (vgl. S/S-Perron/Eisele, StGB, 28. Aufl., § 184e Rn. 5; noch offen gelassen in BGH, Urteil vom 25. Februar 1992 - 5 StR 528/91, NStZ 1992, 594, 595). Mit diesen Grundsätzen wäre es nicht zu vereinbaren, wollte man zur Erfüllung des Tatbestands des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, der ein wiederholtes Handeln genügen lässt und auf eine zusätzliche subjektive Komponente verzichtet, eine Reaktion auf den Erstverstoß verlangen. Dies gilt selbst auf der Grundlage der Ansicht, dass beharrliches Handeln nur vorliegt, wenn zuvor ein Erstverstoß geahndet worden ist (vgl. SKStGB/Wolters, § 184e Rn. 3 [Stand: November 2008]; MünchKommStGB/Hörnle, § 184d Rn. 5; Erbs/Kohlhaas/Liesching, Strafrechtliche Nebengesetze, § 27 JuSchG Rn. 11 [Stand: Februar 2004]; Marcks, Makler- und Bauträgerverordnung, 8. Aufl., § 148 GewO Rn. 1); denn auch nach dieser Auffassung ist die Reaktion auf den Erstverstoß lediglich zur Begründung der subjektiven Komponente der Beharrlichkeit von Belang. Auf diese kommt es bei § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG indes gerade nicht an.

dd) Schließlich erfordern auch verfassungsrechtliche Vorgaben nicht die Auslegung des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG dahin, dass der Erstverstoß zu einer staatlichen Reaktion geführt haben muss, um hinsichtlich des Folgeverstoßes strafwürdiges Unrecht zu begründen. Insbesondere das Übermaßverbot, dem wegen des in Androhung, Verhängung und Vollziehung von Strafe zum Ausdruck kommenden sozialethischen Unwerturteils als Maßstab für die verfassungsrechtliche Legitimierung einer Strafnorm besondere Bedeutung zukommt (BVerfG, Beschlüsse vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u.a., BVerfGE 90, 145, 185; vom 15. Mai 1995 - 2 BvL 19/91 u.a., BVerfGE 92, 277, 326), wird auch dann ausreichend beachtet, wenn die Strafbarkeit allein an die mehrfache vorsätzliche Zuwiderhandlung anknüpft.

(1) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen. Demgemäß obliegt es diesem u.a., die Grenzlinie zwischen kriminellem Unrecht und Ordnungsunrecht im Einzelnen zu ziehen; ihm ist mit Blick auf die in diesem Grenzbereich unter Umständen nur graduellen Unterschiede ein nicht unerheblicher Spielraum eigenverantwortlicher Bewertung einzuräumen (BVerfG, Beschlüsse vom 6. Juni 1989 - 2 BvL 6/89, BVerfGE 80, 182, 186; vom 10. April 1997 - 2 BvL 45/92, BVerfGE 96, 10, 26).

Diesen weiten Gestaltungsspielraum überschreitet die Regelung in § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nicht dadurch, dass sie zur Erfüllung des Vergehenstatbestands eine staatliche Reaktion auf den Erstverstoß nicht verlangt. § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll es ermöglichen, das Untertauchen eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers zu erschweren und die Erfüllung der Ausreisepflicht besser zu überwachen (BT-Drucks. 15/420 S. 92). Die strafrechtliche Sanktion nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG hat die wirkungsvolle Durchsetzung dieses legitimen öffentlichen Interesses im Blick. Sie greift erst nach einem vorsätzlich begangenen Erstverstoß ein, betrifft mithin nur solche vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer, die sich dem Normbefehl mehrfach bewusst und gewollt widersetzen. Vor diesem Hintergrund beinhaltet die Sanktionsschärfung von der Ordnungswidrigkeit des Erstverstoßes hin zu einem Vergehen im Falle der Wiederholung mit einer Strafandrohung von Geldstrafe bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen; sie trägt vielmehr dem erhöhten Schuldgehalt bei Wiederholungstaten im Bereich des Aufenthaltsgesetzes in nicht zu beanstandender Weise Rechnung.

(2) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung eines Teils des Schrifttums (HKAuslR/Wingerter aaO Rn. 18; Huber/Stoppa aaO Rn. 243 f.) insbesondere nicht aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. April 1997 (BVerfG aaO, BVerfGE 96, 10). Zwar hat das Bundesverfassungsgericht dort ausgeführt, die staatliche Strafandrohung für eine erneute Zuwiderhandlung gegen § 34 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a AsylVfG aF - mithin einer § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG vergleichbaren Norm - greife im konkreten Fall erst Platz, nachdem der Angeklagte trotz einer vorangegangenen Ahndung die räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung wiederum nicht beachtet habe. Eine unter solchen Umständen wiederholte Zuwiderhandlung gegen die Aufenthaltsbeschränkung mit Strafe zu bedrohen, sei zur Durchsetzung der mit der Regelung verfolgten Zwecke nicht nur geeignet und erforderlich; auch das Übermaßverbot sei nicht verletzt (BVerfG aaO, BVerfGE 96, 10, 26). Das Bundesverfassungsgericht hat im selben Zusammenhang jedoch ausdrücklich betont, dass die genannte Vorschrift nur insoweit überhaupt Gegenstand der Prüfung sei, als es zu einer vorangegangenen Ahndung - dort: einer jugendgerichtlichen Maßnahme nach § 9 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, § 45 Abs. 2, § 47 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 JGG - gekommen sei. Aus seinen Darlegungen lässt sich deshalb nicht der Schluss ziehen, dass für die Verfassungsmäßigkeit entsprechender Strafvorschriften eine derartige staatliche Reaktion zwingend erforderlich sein soll.

II. Schließlich kann der Ansicht der Revision nicht gefolgt werden, der Bestrafung des Angeklagten stehe das Meistbegünstigungsprinzip nach § 2 Abs. 3 StGB entgegen. Die die Strafbarkeit des Angeklagten begründenden gesetzlichen Vorschriften, insbesondere § 95 Abs. 1 Nr. 7 und § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, sind nach Begehung der Taten unverändert geblieben. Dies gilt auch für § 12 Abs. 5 AufenthG, der die Voraussetzungen bestimmt, unter denen die Ausländerbehörde dem Ausländer das Verlassen des beschränkten Aufenthaltsbereichs erlauben kann. Soweit die Revision auf die Verordnung der Landesregierung Brandenburg vom 23. Juli 2010 (GVBl. des Landes Brandenburg, Teil II vom 28. Juli 2010) und den Erlass Nr. 7/2010 des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburg vom 28. Juli 2010 abstellt, regeln die dort enthaltenen Bestimmungen - soweit hier von Bedeutung - lediglich auf der Grundlage des § 12 Abs. 5 AufenthG, dass die Ausländerbehörden des Landes Brandenburg durch eine Einzelfallentscheidung Duldungsinhabern die für die Dauer der Duldung befristete Erlaubnis erteilen sollen, sich vorübergehend in Berlin aufzuhalten, sofern nicht bestimmte Versagungsgründe vorliegen (vgl. insbesondere Ziffer II. 3. des genannten Erlasses). Allein dadurch, dass der Angeklagte aufgrund dieser neuen Erlasslage nunmehr möglicherweise eine derartige Dauererlaubnis für den vorübergehenden Aufenthalt in Berlin erlangen könnte, wird die Strafbarkeit seines abgeurteilten Verhaltens - das im Übrigen nicht ausschließlich Aufenthalte in Berlin betraf - nicht berührt.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 1092

Externe Fundstellen: BGHSt 56, 271; NJW 2011, 3174; NStZ 2012, 216; StV 2012, 286

Bearbeiter: Ulf Buermeyer