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HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 357

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 ARs 3/10, Beschluss v. 09.03.2010, HRRS 2010 Nr. 357


BGH 3 ARs 3/10 - Beschluss vom 9. März 2010

Anfrageverfahren; Nichtanzeige geplanter Straftaten; Beihilfe zum Mord; Wahlfeststellung; Präpendenzfeststellung.

§ 1 StGB; § 138 StGB; § 132 GVG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Wenn die Fremdheit der Katalogtat dogmatisch als unrechtsbegründendes (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal des § 138 StGB einzuordnen sein sollte, erscheint es dem 3. Strafsenat fraglich, ob ein Angeklagter wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten verurteilt werden kann, wenn er nach Abschluss der Beweisaufnahme weiterhin der Beteiligung an der nicht angezeigten Katalogtat verdächtig ist. Die Bestrafung nach § 138 StGB bedarf des Nachweises aller tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung. Dies kann nach Auffassung des Senats nicht durch die Anwendung des Zweifelssatzes ersetzt werden.

2. Vermag sich das Tatgericht nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte mit Sicherheit eines von zwei in Betracht kommenden Delikten begangen hat, weil für jede der beiden in Betracht kommenden Strafvorschriften die Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals in Zweifel bleibt, ist es sich aber sicher, dass der Angeklagte einen der beiden Tatbestände verwirklicht hat, so liegt die typische Konstellation vor, in der eine Wahlfeststellung in Betracht zu ziehen ist. Scheidet diese wegen fehlender rechtsethischer und psychologischer Vergleichbarkeit der alternativen Straftaten aus, so ist auch der Zweifelssatz nicht geeignet, die Verurteilung wegen des weniger schwerwiegenden Delikts zu tragen.

Entscheidungstenor

Der beabsichtigten Entscheidung des 5. Strafsenats steht Rechtsprechung des 3. Strafsenats nicht entgegen.

Gründe

1. Der 5. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden:

"Auch bei fortbestehendem Verdacht einer Beteiligung an einer in § 138 Abs. 1 oder 2 StGB bezeichneten Katalogtat hindert der Zweifelssatz eine Verurteilung wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten nicht."

Er hat deshalb bei den übrigen Strafsenaten angefragt, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.

2. Rechtsprechung des 3. Strafsenats steht der beabsichtigten Entscheidung nicht entgegen. Soweit sich der Senat in der Vergangenheit mit dem Problem befasst hat, ob bei fortbestehendem Tatverdacht der Beteiligung an einer in § 138 Abs. 1 oder 2 StGB bezeichneten Katalogtat der Zweifelssatz eine Verurteilung wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten hindert, waren seine Ausführungen nicht tragend. In der im Anfragebeschluss genannten Entscheidung BGHSt 36, 167, 169 f. hatte die Strafkammer nach Abschluss der Beweisaufnahme eine Beteiligung des Angeklagten an der nicht angezeigten Tat ausgeschlossen, sodass die Verurteilung des Angeklagten wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten auch nach den Grundsätzen der bisherigen Rechtsprechung rechtsfehlerfrei war.

3. In der Sache bemerkt der Senat:

Nach der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur kann derjenige, der an der Katalogtat beteiligt ist, nicht wegen Nichtanzeige dieser Tat verurteilt werden. Vielmehr setzt eine Strafbarkeit nach § 138 StGB voraus, dass die nicht angezeigte Katalogtat eine vollkommen fremde Tat ist (vgl. BGHSt 36, 167, 169; 39, 164, 167; BGH NStZ 1982, 244). Die unterschiedlichen Begründungen für diese Voraussetzung lassen nicht zweifelsfrei erkennen, ob es sich bei der Fremdheit der nicht angezeigten Katalogtat um ein (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal oder ein konkurrenzrechtliches Problem handelt (vgl. Hanack in LK 12. Aufl. § 138 Rdn. 43 m. w. N.). Auch der Anfragebeschluss verhält sich hierzu nicht.

Jedenfalls dann, wenn die Fremdheit der Katalogtat dogmatisch als unrechtsbegründendes (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal des § 138 StGB einzuordnen sein sollte, erscheint es dem Senat fraglich, ob ein Angeklagter wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten verurteilt werden kann, wenn er nach Abschluss der Beweisaufnahme weiterhin der Beteiligung an der nicht angezeigten Katalogtat verdächtig ist. Dabei mag dahinstehen, ob zwischen der Strafvorschrift des § 138 StGB und der nicht angezeigten Katalogtat ein normativethisches Stufenverhältnis anzunehmen ist. Denn auch wenn das der Fall sein sollte, bedarf die Bestrafung nach § 138 StGB des Nachweises aller tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung. Dies kann nach Auffassung des Senats nicht durch die Anwendung des Zweifelssatzes ersetzt werden. Vermag sich das Tatgericht nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte mit Sicherheit eines von zwei in Betracht kommenden Delikten begangen hat, weil für jede der beiden in Betracht kommenden Strafvorschriften die Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals in Zweifel bleibt, ist es sich aber sicher, dass der Angeklagte einen der beiden Tatbestände verwirklicht hat, so liegt die typische Konstellation vor, in der eine Wahlfeststellung in Betracht zu ziehen ist. Scheidet diese wegen fehlender rechtsethischer und psychologischer Vergleichbarkeit der alternativen Straftaten aus, so ist auch der Zweifelssatz nicht geeignet, die Verurteilung wegen des weniger schwerwiegenden Delikts zu tragen.

Der Senat lässt offen, ob die Verurteilung eines Angeklagten nach § 138 StGB im Wege der sog. Präpendenzfeststellung in Betracht gezogen werden könnte (vgl. Joerden JZ 1998, 847, 852 f.; ders. Jura 1990, 663 ff., 640 f.), falls die Fremdheit der Katalogtat dogmatisch nur als Frage der konkurrenzrechtlichen Abgrenzung zwischen § 138 StGB und der nicht angezeigten Katalogtat einzustufen sein sollte (s. Rudolphi/Stein in SKStGB § 138 Rdn. 35).

HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 357

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2010, 204

Bearbeiter: Ulf Buermeyer