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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 14

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 421/10, Beschluss v. 23.11.2010, HRRS 2011 Nr. 14


BGH 3 StR 421/10 - Beschluss vom 23. November 2010 (LG Kleve)

Verfall (Vorrang der Ansprüche des Geschädigten; Betrug zum Nachteil eines Sozialleistungsträgers).

§ 263 StGB; § 73 StGB; § 73a StGB; § 73d StGB; § 823 Abs. 2 BGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 12. August 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der erweiterte Verfall angeordnet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen die Angeklagte A. hat es wegen Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Außerdem hat es 27 Kilogramm Haschisch eingezogen, von den Angeklagten bei der Tat mitgeführte 1.300 € für verfallen erklärt und "hinsichtlich der in der Wohnung der Angeklagten sichergestellten 5.700 €" den erweiterten Verfall angeordnet.

Das auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsmittel des Angeklagten H. und das unbeschränkt eingelegte Rechtsmittel der Angeklagten A. haben Erfolg, soweit das Landgericht in Höhe von 5.700 € den erweiterten Verfall angeordnet hat. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

Nach der Aufdeckung der Straftat wurde auf der Grundlage eines Beschlusses des Amtsgerichts Kleve die Wohnung der Angeklagten durchsucht. Dabei entdeckten Zollbeamte im Schrank verstecktes Bargeld, das sichergestellt wurde. Die Kammer hat sich davon überzeugt, dass dieses Geld "im Gesamtbetrag von 5.700 €" aus rechtswidrigen Taten stammt. Hierzu hat sie ausgeführt:

"Entweder haben sie das Geld aus zurückliegenden Rauschgiftgeschäften erlangt ... oder sie verfügten über andere Einkünfte und/oder Vermögenswerte, die sie nicht angegeben haben, als sie um die Gewährung von Sozialleistungen nach dem SGB II nachsuchten; damit haben sie indes einen Betrug zum Nachteil der die Sozialleistungen verwaltenden Stellen begangen. Auch bezüglich der Anordnung des erweiterten Verfalls vermag die Kammer keinen Umstand festzustellen, angesichts dessen ihre Entscheidung für die Angeklagten eine unbillige Härte darstellt (vgl. §§ 73d Abs. 4, 73c StGB)."

Gegen die Begründung, mit der der erweiterte (Wertersatz-)Verfall angeordnet worden ist, bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Bereits der vom Landgericht errechnete Gesamtbetrag in Höhe von 5.700 €, der in der Wohnung der Angeklagten sichergestellt worden sein soll, lässt sich anhand der Urteilsgründe nicht nachvollziehen. Die Summe der an drei verschiedenen Stellen aufgefundenen Geldscheine ergibt lediglich 5.200 € (2.900, 2.100 und 200 €). Vor allem hat die Strafkammer nicht bedacht, dass bei der von ihr als möglich gehaltenen Alternative, die Angeklagten hätten das Geld durch einen Betrug zum Nachteil der Sozialbehörden erlangt, die Anordnung des erweiterten Verfalls ausgeschlossen ist. Denn gemäß § 73d Abs. 1 Satz 3 Abs. 2, § 73 Abs. 1 Satz 2, § 73a StGB kommt der erweiterte (Wertersatz-)Verfall ausnahmsweise nicht in Betracht, soweit dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde. Durch diese Regelung sollen eine doppelte Inanspruchnahme des Täters/Teilnehmers verhindert und die Schwierigkeiten vermieden werden, die bei einer Konkurrenz zwischen staatlichem Rückerstattungs- und zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch entstehen würde (Fischer, StGB, 57. Aufl., § 73 Rn. 17). Ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch der Sozialbehörden würde sich aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB ergeben.

Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Bei der aufgrund der festgestellten Gesamtumstände nahe liegenden Alternative, dass das Geld aus Rauschgiftgeschäften stammt, wäre die Anordnung des erweiterten Verfalls möglich.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 14

Bearbeiter: Ulf Buermeyer