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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 206

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, StB 34/09, Beschluss v. 31.07.2009, HRRS 2011 Nr. 206


BGH StB 34/09 - Beschluss vom 31. Juli 2009 (Ermittlungsrichter des BGH)

Hinreichende Wahrscheinlichkeit der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts; Überwachung der Telekommunikation; Erhebung von Verkehrsdaten; eigene Sachentscheidung des Beschwerdegerichts (bloß formale Befassung des Vorderrichters).

§ 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB; § 100a StPO; § 100g StPO; § 309 Abs. 2 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Beschwerde des Generalbundesanwalts wird der Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 19. Mai 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Behandlung und Entscheidung über die Anträge des Generalbundesanwalts vom 20. April 2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an den Ermittlungsrichter zurückverwiesen.

Gründe

Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 19. Mai 2009 die Anträge des Generalbundesanwalts abgelehnt, für Telekommunikationsanschlüsse der Beschuldigten und dreier Kontaktpersonen nach § 100a StPO die Überwachung der Telekommunikation bzw. nach § 100g StPO die Erhebung der Verkehrsdaten anzuordnen. Er ist der Ansicht, dass auf die den Beschuldigten angelasteten Taten deutsches Strafrecht keine Anwendung findet. Die Beschwerde des Generalbundesanwalts führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an den Ermittlungsrichter.

I.

Den Beschuldigten, die gleichzeitig die deutsche und die a Staatsangehörigkeit besitzen, wird vorgeworfen, sich als Mitglieder an der ausländischen terroristischen Vereinigung V beteiligt zu haben. (Wird ausgeführt.)

II.

1. Die bisher gewonnenen Erkenntnisse begründen den Verdacht, dass die Beschuldigten sich an einer terroristischen Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union als Mitglied beteiligt haben, deren Tätigkeit darauf gerichtet ist, Menschen zu töten (§§ 129b Abs. 1 Satz 2, 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB; §§ 100a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 d, 100g Abs. 1 Nr. 1 StPO). Die Beschuldigten sind aufgrund der verbreiteten Botschaften nicht lediglich werbender oder unterstützender Erklärungen für die V verdächtig, sondern aktiver mitgliedschaftlicher Handlungen zur Förderung von deren Aufbau und Fortdauer. Ihre Äußerungen lassen eine Eingliederung in die Organisation (vgl. BGHSt 51, 345, 353), eine Unterordnung unter deren Ziele und ein Handeln in deren Namen erkennen. Die in den Botschaften enthaltenen Aufrufe sind ersichtlich darauf angelegt, die Schlagkraft der V zu stärken. (Wird ausgeführt.)

2. Zutreffend geht der Ermittlungsrichter davon aus, dass die Beschuldigten einer Tat verdächtig sind, die sie ausschließlich durch eine im Ausland ausgeübte Tätigkeit begangen haben (§ 129b Abs. 1 Satz 2 StGB). Nicht anschließen kann sich der Senat aber dessen Meinung, die Geltung des deutschen Strafrechts sei nicht hinreichend wahrscheinlich.

a) Dabei kann der Senat offenlassen, ob sich die Anwendbarkeit des § 129b Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB unmittelbar aus § 129b Abs. 1 Satz 2 2. Alt. StGB ergibt. Zwar enthält § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB nach herrschender Ansicht keine die §§ 3 ff. StGB verdrängenden Sonderregelungen über die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts (Altvater, NStZ 2003, 179 f.; Fischer, StGB 56. Aufl. § 129b Rdn. 4; Krauß in LK 12. Aufl. § 129b Rdn. 13; Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 129 b Rdn. 3; Miebach/Schäfer in MünchKommStGB § 129b Rdn. 18). Zumindest für die zweite Alternative dieser Vorschrift, die Auslandstaten eines Deutschen nach § 129b Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 129, 129a StGB betrifft, könnte dies indes anders zu beurteilen sein. Denn besteht der Zweck der Bestimmung darin, anknüpfend an den Personalitätsgrundsatz Auslandstaten von Ausländern straffrei zu stellen (Altvater aaO 181; Miebach/Schäfer aaO), könnte dies vor dem Hintergrund von Art. 9 Abs. 1 c des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (AblEG L 164/3 vom 22. 6. 2002) dafür sprechen, dass § 129b Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 129, 129a StGB für entsprechende Auslandstaten eines Deutschen unabhängig vom Recht des Tatorts Anwendung findet, auch wenn im Gegensatz etwa zu § 35 AWG oder § 21 KWKG das Tatortrecht nicht ausdrücklich für unmaßgeblich erklärt wird.

b) Für die den Beschuldigten vorgeworfene Tat gilt das deutsche Strafrecht mit nach derzeitigem Ermittlungsstand hinreichender Wahrscheinlichkeit jedenfalls nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, und zwar unabhängig davon, ob die V als Organisation auf b oder auf c Gebiet existent ist und ob das betreffende Gebiet der effektiven Ausübung staatlicher Gewalt faktisch entzogen ist mit der Folge, dass es im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt. StGB keiner Strafgewalt unterliegt (vgl. Ambos in MünchKommStGB § 7 Rdn. 18). Besteht die Strafgewalt fort, gilt das deutsche Strafrecht nach der ersten Alternative der Vorschrift. Aus der Veröffentlichung der einschlägigen Strafvorschriften auf der Internetseite des United Nations Office on Drugs and Crime (http:/www.unodc.org unter Terrorism Prevention, National Legal Resources) schließt der Senat, dass das den Beschuldigten vorgeworfene Tatgeschehen sowohl nach b als auch nach c Recht mit Strafe bedroht ist. (Wird ausgeführt.)

c) Bei dieser Sachlage bedarf es keiner Erörterung der Frage, ob die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auch über §§ 3, 9 Abs. 1 StGB unter dem Aspekt eröffnet sein könnte, dass ein zum Tatbestand des § 129b Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB gehörender Erfolg im Inland eingetreten ist.

3. Der Senat verweist die Sache zur Entscheidung über die Anträge des Generalbundesanwalts an den Ermittlungsrichter zurück. Eine eigene Sachentscheidung des Beschwerdegerichts ist in Ausnahme von § 309 Abs. 2 StPO dann nicht geboten, wenn sich das Erstgericht von seinem Rechtsstandpunkt aus mit der Sache nur gleichsam formal, nicht aber unter Würdigung des eigentlich entscheidungserheblichen Sachverhalts beschäftigt hat (Frisch in SK-StPO § 309 Rdn.13 m. w. N.). So liegt der Fall hier. Der Ermittlungsrichter hat die Anträge mangels Geltung des deutschen Strafrechts abgelehnt und sich somit auf einen einzelnen, letztlich nicht tragfähigen Gesichtspunkt gestützt. Mit den bei einer Anordnung nach §§ 100a, 100g StPO aufgeworfenen zentralen, das Fernmeldegeheimnis berührenden und eigentlich entscheidungserheblichen Fragen wie Erforderlichkeit der Maßnahme und ihre Zulässigkeit gegen Dritte musste er sich von seinem Ansatz her nicht mehr befassen. Er hat deshalb auch von den dazu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen abgesehen.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 206

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2011, 199

Bearbeiter: Ulf Buermeyer