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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 168

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 568/09, Urteil v. 18.02.2010, HRRS 2011 Nr. 168


BGH 3 StR 568/09 - Urteil vom 18. Februar 2010 (LG Düsseldorf)

Sicherungsverwahrung (Hang; erhebliche Straftaten); unwirksame Beschränkung der Revision (Sicherungsverwahrung; Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; untrennbarer Zusammenhang).

§ 66 StGB; § 64 StGB; § 344 Abs. 1 StPO

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 12. August 2009 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung zu einer "Freiheitsstrafe" von drei Jahren und sechs Monaten (Einzelstrafen von zwei Jahren sowie zwei Jahren und sechs Monaten) verurteilt sowie die Sicherungsverwahrung angeordnet. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten war nur insoweit erfolgreich, als der Senat das Urteil im Strafausspruch dahin berichtigt hat, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt war, und im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen wegen fehlender Erörterungen zu einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen hat. Nunmehr hat das Landgericht sowohl die Maßregel nach § 64 StGB als auch die nach § 66 Abs. 1 StGB angeordnet und bestimmt, dass die Unterbringung in der Entziehungsanstalt zuerst zu vollziehen ist. Die Revision des Angeklagten richtet sich mit einer Verfahrensrüge sowie mit sachlichrechtlichen Beanstandungen allein gegen die Anordnung der Sicherungsverwahrung. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

1. Die Beschränkung der Revision auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist nicht wirksam. Zwischen ihr und der durch den Beschwerdeführer vom Revisionsangriff ausgenommenen Maßregel nach § 64 StGB besteht hier ein nicht trennbarer Zusammenhang.

2. Die Rüge, das Landgericht habe fehlerhaft einen Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens abgelehnt, versagt. Das Gutachten sollte beweisen, dass die Handlungen des Angeklagten bei dem Opfer der beiden Körperverletzungen "keine schweren seelischen oder körperlichen Schäden herbeigeführt haben und hierzu auch nicht geeignet waren". Zutreffend hat das Landgericht den Antrag zurückgewiesen. Soweit in der Beweisbehauptung ein Tatsachenkern über den Umfang und die Auswirkungen der Körperverletzungen zu finden ist, stehen einer Beweisaufnahme die bindenden Feststellungen zum Schuld- und Strafausspruch entgegen. Soweit der Antrag auf eine Wertung der Verletzungen, naheliegend auf eine Subsumtion der Taten unter solche im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB abzielt, handelt es sich nicht um eine Tatsache, sondern um eine rechtliche Einordnung, die das Gericht in eigener Verantwortung zu treffen hat.

3. Die Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt hält rechtlicher Nachprüfung stand. Zwar hat das Landgericht die bei der Verhängung von Freiheitsstrafen von mehr als drei Jahren nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgesehene Entscheidung über einen teilweisen Vollzug der Strafe vor der Maßregel unterlassen. Indes hat der Beschwerdeführer, der sich in dieser Sache seit dem 16. März 2008 in Haft befindet, inzwischen mehr als die Hälfte der erkannten Freiheitsstrafe verbüßt, so dass die Entscheidung über einen Vorwegvollzug nunmehr unterbleiben muss (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 233).

4. Frei von rechtlichen Bedenken ist - entgegen der Ansicht der Revision und des Generalbundesanwalts - auch die Annahme des Landgerichts, bei dem Angeklagten sei ein Hang gegeben zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, und er sei deshalb für die Allgemeinheit gefährlich (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB).

Das Landgericht ist zutreffend von Folgendem ausgegangen: Was unter "erheblichen" Straftaten zu verstehen ist, kann nicht allgemein gesagt werden. Der Hinweis in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB auf Taten mit schweren körperlichen oder seelischen Schädigungen der Opfer (sowie - was hier nicht in Rede steht - mit schweren wirtschaftlichen Schäden) stellt keine abschließende Regelung dar. Vielmehr kann sich jenseits dieser Beispielsfälle die Erheblichkeit auch aus anderen Umständen ergeben. Entscheidend ist, ob der Täter als für die Allgemeinheit gefährlich erscheint, weil von ihm Straftaten zu erwarten sind, die den Rechtsfrieden empfindlich stören (st. Rspr.; BGHSt 24, 153, 154 f.; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 3, 6; BGH NStZ 1986, 165). Die Beurteilung, ob die Anlasstat und die übrigen Taten, in denen die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gefunden werden, in diesem Sinne "erheblich" und damit symptomatisch für einen Hang sind, muss im Einzelfall aufgrund einer sorgfältigen Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten erfolgen (BGHSt 24, 153, 156). Dabei sind ggf. auch länger zurückliegende Taten zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 1999, 502, 503; StV 2007, 633).

Die auf dieser Grundlage getroffene Beurteilung des Landgerichts, bei der zweiten Anlasstat sei das Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt worden und die erste Anlasstat sei - sofern eine solche Schädigung des Opfers nicht vorliege - jedenfalls geeignet, den Rechtsfrieden in empfindlicher und schwerwiegender Weise zu stören, ist rechtsfehlerfrei. In beiden Fällen brachte der Angeklagte seinem wehrlosen Opfer jeweils mit zahlreichen Faustschlägen blutende Verletzungen im Gesicht bei. Nach der ersten Tat befand es sich in einem so schlechten Zustand, dass der Angeklagte es selbst in die stabile Seitenlage verbrachte, weil er befürchtete, es werde andernfalls an seinem Blut ersticken. Bei der zweiten Tat war das Opfer etwa acht Stunden bewusstlos und musste anschließend drei Tage lang stationär im Krankenhaus behandelt werden. Die nur wenige Tage auseinander liegenden Taten beging der Angeklagte gut einen Monat nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug, wo er eine zwölfjährige Freiheitsstrafe wegen eines im Jahr 1993 begangenen Tötungsdelikts und den Rest einer neunjährigen Freiheitsstrafe u. a. wegen einer im Jahr 1985 begangenen schweren räuberischen Erpressung verbüßt hatte. Neben diesen Symptomtaten hat der Angeklagte auch durch den ebenfalls im Jahr 1985 begangenen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr seine außergewöhnliche Rücksichtslosigkeit gezeigt.

Auch die übrigen Darlegungen des Landgerichts sind ohne Rechtsfehler: Sachverständig beraten hat die Strafkammer ausführlich begründet, dass es sich bei dem Angeklagten um eine dissoziale Persönlichkeit mit geringer Frustrationstoleranz und extrem hoher Aggressionsneigung handelt, die durch einen ausgeprägten Mangel an Opferempathie, an Schuldbewusstsein und an der Fähigkeit, aus den Bestrafungen zu lernen, auffällt und von der vergleichbare Taten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 168

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2010, 172

Bearbeiter: Ulf Buermeyer