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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 148

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 416/08, Urteil v. 30.10.2008, HRRS 2009 Nr. 148


BGH 3 StR 416/08 - Urteil vom 30. Oktober 2008 (LG Wuppertal)

Beweiswürdigung (fragliche Einlassungen des Angeklagten).

§ 261 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Entlastende Angaben eines Angeklagten, für die keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, darf der Tatrichter nicht ohne weiteres seiner Entscheidung zugrunde legen, nur weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt. Die Zurückweisung einer Einlassung erfordert auch nicht, dass sich ihr Gegenteil positiv feststellen lässt. Vielmehr muss sich der Tatrichter aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung bilden. Dies gilt umso mehr dann, wenn objektive Beweisanzeichen festgestellt sind, die mit Gewicht gegen die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten sprechen.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 14. April 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der schweren Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich der Nebenkläger mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Das Landgericht hat festgestellt, dass nicht der Angeklagte eigenhändig die ihm zur Last gelegte Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers begangen, sondern sein Neffe die Verletzungshandlung ausgeführt hat. Hierzu hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler erbracht. Nach Überzeugung des Landgerichts war der Angeklagte an der Körperverletzungstat seines Neffen aber auch nicht als Mittäter oder Gehilfe beteiligt. Insoweit beruht das Urteil auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung und kann deshalb keinen Bestand haben.

a) Nach den Feststellungen lief der Neffe des Angeklagten nach einer Rangelei, die zwischen ihm und dem Nebenkläger an einer Bushaltestelle stattgefunden hatte, zur nahe gelegenen Wohnung des Angeklagten in dessen Zimmer. Er berichtete seinem Onkel aufgebracht, er sei von vier Personen verprügelt worden, griff sich aus einer Schublade einen Schlagring, forderte den Angeklagten auf mitzukommen und verließ das Zimmer wieder. Der Angeklagte ergriff "ohne nachzudenken" eine in derselben Schublade liegende schwere Metallkugel und folgte seinem Neffen. Er nahm die Metallkugel "zur Einschüchterung und Verteidigung mit, ohne sie für einen Angriff einsetzen zu wollen. Der Angeklagte ging zudem nicht davon aus, dass S. den mitgenommenen Schlagring einsetzen werde." Nachdem beide die nahe gelegene Bushaltestelle erreicht hatten, an der sich nach wie vor der Nebenkläger und dessen Freunde aufhielten, brüllte der Angeklagte die Gruppe um den Geschädigten an und fragte, wer seinen Neffen angefasst habe. Dann schlug der Neffe des Angeklagten dem Nebenkläger mit der rechten Hand, über die er den Schlagring gestreift hatte, auf das linke Auge. Unmittelbar danach warf der Angeklagte die Metallkugel in Richtung des Zeugen C., "weil er eine Gegenreaktion aus der anderen Gruppe auf den Schlag ... befürchtete."

Das Landgericht hat ausgeführt, eine in Mittäterschaft begangene gefährliche Körperverletzung scheide danach aus. Der Angeklagte habe weder einen wesentlichen Tatbeitrag geleistet, noch könne von einem gemeinsamen Tatplan - auch nicht in Form einer konkludenten Übereinkunft - ausgegangen werden. Für eine Beihilfe des Angeklagten zur Straftat seines Neffen fehle es sowohl an einer objektiven Beihilfehandlung als auch an einer so genannten psychischen oder intellektuellen Beihilfe; auch ein Beihilfevorsatz habe nicht festgestellt werden können.

b) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zur Handlungsmotivation und Willensrichtung des Angeklagten beruhen allein auf dessen Einlassung, die das Landgericht als glaubhaft angesehen hat. Diese Bewertung hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.

Entlastende Angaben eines Angeklagten, für die keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, darf der Tatrichter nicht ohne weiteres seiner Entscheidung zugrunde legen, nur weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt. Die Zurückweisung einer Einlassung erfordert auch nicht, dass sich ihr Gegenteil positiv feststellen lässt. Vielmehr muss sich der Tatrichter aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung bilden (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Einlassung 6; BGH NStZ 2000, 86; 2005, 155; Schoreit in KK 6. Aufl. § 261 Rdn. 28). Dies gilt umso mehr dann, wenn objektive Beweisanzeichen festgestellt sind, die mit Gewicht gegen die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten sprechen.

Die danach gebotene Gesamtwürdigung hat das Landgericht nicht vorgenommen. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, lag es nach dem Verhalten des Neffen im Zimmer des Angeklagten nahe, dass er vorhatte, sich mittels des Schlagsrings für die zuvor erlittene Niederlage zu revanchieren. Dass der Angeklagte in Kenntnis dieser Umstände seinen Neffen zum späteren Tatort begleitete und hierbei, um für eine Auseinandersetzung gewappnet zu sein, eine schwere Metallkugel mitnahm, spricht bei lebensnaher Betrachtung dafür, dass er seinen Neffen bei diesem Vorhaben unterstützen wollte und dieser das Verhalten des Angeklagten auch dahin verstand, dieser wolle ihm zur Seite stehen. Gleiches gilt für das Verhalten des Angeklagten am Tatort selbst. Danach lag ebenfalls nicht fern, dass der Angeklagte die Körperverletzungstat seines Neffen nicht nur für möglich hielt und mit ihr rechnete, sondern diese (zumindest) auch billigte. Somit sprach das objektive Geschehen für eine Beteiligung des Angeklagten an der verübten Tat. Vor diesem Hintergrund durfte das Landgericht die Einlassung des Angeklagten nicht ohne weitere Begründung als glaubhaft ansehen, sondern hätte sich mit dem - der Einlassung entgegenstehenden - objektiven Geschehen und seiner indiziellen Bedeutung für eine strafbare Beteiligung des Angeklagten an der Tat seines Neffen im Einzelnen auseinandersetzen müssen. Da das Landgericht dies unterlassen hat, erweist sich die Beweiswürdigung als lückenhaft.

2. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Sollte der neue Tatrichter zu dem Ergebnis gelangen, dass sich der Angeklagte an der Straftat seines Neffen beteiligt hat, wird es ihm obliegen zu entscheiden, ob diese Beteiligung rechtlich als in Mittäterschaft begangene gefährliche Körperverletzung oder als Beihilfe zu der vom Neffen des Angeklagten begangenen gefährlichen Körperverletzung zu werten ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 148

Bearbeiter: Ulf Buermeyer