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HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 515

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 23/06, Urteil v. 11.05.2006, HRRS 2006 Nr. 515


BGH 3 StR 23/06 - Urteil vom 11. Mai 2006 (LG Osnabrück)

Freisprechendes Urteil (Begründungspflicht; lückenhafte Beweiswürdigung); Mittäterschaft (Abgrenzung zur Beihilfe); Anordnung der Telefonüberwachung (richterlicher Beurteilungsspielraum).

§ 267 StPO; § 25 StGB; § 27 StGB; § 100a StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, wenn sich das Urteil im Rahmen der zur Schuldfrage erforderlichen Gesamtwürdigung nicht mit allen wesentlichen Indizien auseinandergesetzt hat, die geeignet sind, das Beweisergebnis zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen.

2. Ob ein Tatbeteiligter eine Tat als Täter oder Gehilfe begeht, ist in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können sein der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch von seinem Willen abhängen.

Entscheidungstenor

I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 28. Juni 2005 - soweit es den Angeklagten D. betrifft - mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben im Fall B. 3. der Urteilsgründe die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

II. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchsdiebstahl in zwei Fällen (Fälle B. 2. und 3. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem hat es ihn vom Vorwurf des versuchten schweren Raubes (Fall B. 1.) aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihrer auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des Freispruchs, im Fall B. 2. eine Verurteilung wegen Beteiligung an einem schweren Raub und im Fall B. 3. eine Verurteilung wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet.

A. Revision der Staatsanwaltschaft

I. Fälle B. 1. und 2.

Der Freispruch des Angeklagten im Fall B. 1. der Urteilsgründe und seine Verurteilung wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchsdiebstahl im Fall B. 2. können nicht bestehen bleiben.

1. Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift vom 5. Juni 2004 hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten einen versuchten schweren Raub (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 a und 2 StGB) zur Last gelegt (Fall B. 1.). Sie hat ihm vorgeworfen, am späten Abend des 18. Mai 2003 zusammen mit den inzwischen rechtskräftig verurteilten T. und S., dem gesondert verfolgten J. sowie dessen Freund "L." zu einem Wohnhaus in Es. gefahren zu sein, um die Bewohner zu überwältigen und Wertgegenstände an sich zu bringen.

Nach den Feststellungen wurde die Tat am 18. Mai 2003 gegen 23.00 Uhr von T., S., J. und "L." begangen. Zwei der maskierten und mit einer Pistole - möglicherweise einer Schreckschusswaffe - bewaffneten Täter klingelten an der Eingangstür zur Wohnung der Eheleute E. und versuchten, in diese einzudringen. Nachdem es den Eheleuten E. gelungen war, gemeinsam die bereits geöffnete Tür wieder zuzudrücken, flüchteten die Täter ohne Beute. Von einer Beteiligung des Angeklagten an der Tat konnte sich das Landgericht nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit überzeugen.

2. Zum Fall B. 2. hat das Landgericht folgendes festgestellt:

Nachdem der Raub in Es. gescheitert war, wollten T., S., J. und "L." mit Unterstützung des inzwischen rechtskräftig verurteilten Z. in La. die Familie Do. in deren Haus überfallen. T. holte Z. mit seinem Pkw BMW in Sö. ab, fuhr mit diesem nach La. und übergab ihm das Fahrzeug. In der Zwischenzeit waren S., J. und "L." mit dem Pkw VW Golf des J. über W. nach La. gefahren. Spätestens auf der Fahrt von Es. nach W. hatte J. den Angeklagten aufgenommen. Während der Angeklagte in dem Pkw VW Golf in der Nähe des Tatortes als Fahrer wartete, drangen am 19. Mai 2003 gegen 1.00 Uhr T., S., J. und "L." maskiert in das Haus der Eheleute Do. ein, bedrohten diese und deren Sohn mit zwei Pistolen - möglicherweise Scheinwaffen -, einem Messer sowie einem Schraubendreher und schlugen sie u. a. mit einer Pistole, einem Kuhfuß und einer Taschenlampe. Nachdem die vier Täter die Tatopfer gefesselt hatten, verließen sie mit einer Beute von 170 € und Schmuck im Wert von ca. 1.000 € das Haus und wurden von dem herbeigerufenen Z. mit dem Pkw BMW nach W. gefahren. Der Angeklagte fuhr den Pkw VW Golf, der nicht mehr gebraucht wurde, nach Sö.

Die Strafkammer konnte nicht feststellen, dass der Angeklagte in den Plan der anderen Tatbeteiligten eingeweiht war. Sie hat zu seinen Gunsten angenommen, er sei von einem Einbruchsdiebstahl ausgegangen, und hat ihn deshalb wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchsdiebstahl verurteilt.

3. Zum Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf des versuchten schweren Raubes in Es. (Fall B. 1.) hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt: Für seine Beteiligung spräche lediglich die von Z. in der Hauptverhandlung bekundete Äußerung des T. ihm gegenüber, der Angeklagte habe auch an der Tat in Es. mitgewirkt. Allein der Umstand, dass der Angeklagte das Haus in Es. gekannt habe, lasse einen Rückschluss auf seine Tatbeteiligung nicht zu. Sonstige objektive Beweise oder Indizien, die für seine Mittäterschaft sprächen, lägen nicht vor, zumal die Notwendigkeit der Mitwirkung einer fünften Person bei der Tat nicht zu erkennen sei. Zwar sei von dem ab Anfang Juli 2003 dem Angeklagten zugeordneten Mobiltelefon in der Tatnacht um 0.01 Uhr im Funkzellenbereich von Es. und um 2.47 Uhr im Funkzellenbereich von La. der Anschluss des Z. angerufen worden. Da bei dem zweiten Gespräch J. der Gesprächspartner des Z. gewesen sei, liege es nahe, dass das Mobiltelefon erst zu einem späteren Zeitpunkt von dem Angeklagten genutzt worden sei.

4. Die Ausführungen des Landgerichts zum Freispruch des Angeklagten werden den Anforderungen an die Begründungspflicht bei einem freisprechenden Urteil nicht gerecht. Seine Beweiswürdigung ist lückenhaft, weil es sich im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung nicht mit allen wesentlichen Indizien auseinandergesetzt hat, die geeignet sind, das Beweisergebnis zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11 und Beweiswürdigung, unzureichende 1; BGH NStZ-RR 2002, 338).

Die Strafkammer hat insbesondere den Umstand, dass der Angeklagte bei dem Raubüberfall in La. (Fall B. 2.) als Fahrer des Pkw VW Golf beteiligt war, nicht erkennbar in die Beweiswürdigung einbezogen. Dieser Umstand legt bei einer Gesamtschau mit den weiteren belastenden Indizien seine Mitwirkung an dem nur ca. zwei Stunden vorher durchgeführten versuchten Raub in Es. nahe, zumal die Kammer nicht mitgeteilt hat, worauf sie ihre Schlussfolgerung stützt, der Angeklagte sei von J. möglicherweise erst auf der Fahrt vom ersten zum zweiten Tatort in den Pkw VW Golf aufgenommen worden. Aus den knappen Ausführungen wird insbesondere nicht deutlich, in welchen Beziehungen der Angeklagte zu den festgestellten Tatbeteiligten stand und auf welche Art und Weise es zur Nachtzeit zwischen den beiden Taten zur Kontaktaufnahme sowie zum Zusammentreffen gekommen sein kann. Weiterhin hat das Landgericht bei der Beweiswürdigung die Aussage des inzwischen rechtskräftig verurteilten S. unberücksichtigt gelassen, nach der an dem versuchten Raubüberfall in Es. neben "L." ein weiterer Bekannter von J. beteiligt gewesen sei, der bei dem Überfall in La. den Pkw VW Golf gefahren und in ihm gewartet habe; nach den getroffenen Feststellungen zum Fall B. 2. war dies der Angeklagte.

Die Frage, ob der Angeklagte an dem versuchten Raubüberfall in Es. beteiligt war, hat Auswirkungen auf die Vorstellung des Angeklagten über die Tat in La. Sollte er bereits an der ersten Tat beteiligt gewesen sein, läge die Annahme fern, er habe sich bei der zweiten Tat nur einen Wohnungseinbruchsdiebstahl vorgestellt.

Wegen des engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhangs zwischen beiden Taten hat der Senat die Feststellungen zu den Fällen B. 1. und 2. der Urteilsgründe insgesamt aufgehoben.

II. Fall B. 3.

Der Schuldspruch wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchsdiebstahl im Fall B. 3. der Urteilsgründe hat keinen Bestand.

1. Nach den Feststellungen brachen am Nachmittag des 14. Juli 2003 T. und mindestens ein weiterer Mittäter in das Wohnhaus der Familie Ta. in Lo. ein und entwendeten Schmuck im Gesamtwert von mindestens 15.000 €. Der Angeklagte fuhr die übrigen Tatbeteiligten mit einem Kraftfahrzeug zum Tatort und holte sie nach der Tatausführung wieder ab. Außerdem brachte er ihnen einen für die Tatausführung erforderlichen Schraubendreher zum Tatobjekt. Aus der Beute erhielt er mindestens eine Goldkette und ein goldenes Kreuz.

2. Ob ein Tatbeteiligter eine Tat als Täter oder Gehilfe begeht, ist in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können sein der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch von seinem Willen abhängen (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2002, 74 f. m. w. N.). Hier - nach den getroffenen Feststellungen - zwingend gebotene Ausführungen zur Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe enthält das Urteil nicht. Die festgestellten Tatbeiträge des Angeklagten waren für die erfolgreiche Durchführung des Wohnungseinbruchsdiebstahls nicht von so untergeordneter Bedeutung, dass eine Erörterung nicht erforderlich gewesen wäre. Neben seinen Fahrdiensten hat der Angeklagte einen für den Wohnungseinbruchsdiebstahl benötigten Schraubendreher zum Tatort gebracht und damit einen für das Gelingen der Tat nicht unwesentlichen Beitrag geleistet. Im Hinblick auf seinen Beuteanteil kann auch ein eigenes Tatinteresse bestanden haben. Unter diesen Umständen liegt die Annahme eines Willens zur Tatherrschaft nicht von vorneherein fern.

Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei getroffen worden und können daher bestehen bleiben.

B. Revision des Angeklagten

Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet. Zur Rüge, die Ergebnisse der vom Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Osnabrück mit Beschlüssen vom 28. Mai und 17. Juni 2003 angeordneten Telefonüberwachungen seien rechtsfehlerhaft verwertet worden, bemerkt der Senat ergänzend:

1. Dass der Verteidiger des Angeklagten die polizeilichen Ermittlungen, auf welche die Beschlüsse zur Telefonüberwachung hinsichtlich der Verdachts- und Beweislage ausdrücklich Bezug nehmen, nicht vorgetragen hat, führt hier ausnahmsweise nicht zur Unzulässigkeit der Rüge. Denn das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil die damalige Verdachts- und Beweislage im Wesentlichen dargestellt (UA S. 33), so dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt.

2. Die Rüge ist unbegründet. Die - allerdings im Hinblick auf die Verdachts- und Beweislage und den Subsidiaritätsgrundsatz knappe - Begründung im Anordnungsbeschluss lässt in Verbindung mit ihrer Darstellung im angegriffenen Urteil hinreichend deutlich erkennen, dass der Ermittlungsrichter die Voraussetzungen des § 100a StPO geprüft und vertretbar (vgl. BGHSt 41, 30) angenommen hat. Außerdem belegen die Ausführungen im Urteil zur Verdachts- und Beweislage vor Erlass der Telefonüberwachungsbeschlüsse, dass das Landgericht ihre Rechtmäßigkeit selbst nochmals untersucht und einen auf bestimmte Tatsachen gestützten Verdacht einer Katalogtat des § 100a StPO sowie die Beachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes bejaht hat. Da der Ermittlungsrichter und der Tatrichter insoweit einen Beurteilungsspielraum haben, ist die Nachprüfung durch das Revisionsgericht auf den Maßstab der Vertretbarkeit beschränkt (vgl. BGHSt 41, 30 und 47, 362). Es bestehen keine Zweifel, dass angesichts der damaligen Verdachts- und Beweislage die Anordnung der Telekommunikationsüberwachung vertretbar war.

HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 515

Bearbeiter: Ulf Buermeyer