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HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 954

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 214/04, Urteil v. 23.09.2004, HRRS 2004 Nr. 954


BGH 3 StR 214/04 - Urteil vom 23. September 2004 (LG Hildesheim)

Strafaussetzung zur Bewährung (Sozialprognose; besondere Umstände); persönliche Verhältnisse des Angeklagten (Aufklärungspflicht; Selbstbelastungsfreiheit; Schweigerecht; nemo tenetur).

§ 56 StGB; Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; § 243 Abs. 4 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Der Tatrichter wird von seiner Verpflichtung, die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten und die für die Frage der Strafaussetzung bedeutsamen Umstände darzulegen, nicht deswegen befreit, weil der Angeklagte sich zu seinen persönlichen Verhältnissen nicht äußert und Auskünfte verweigert. In einem solchen Fall muss sich der Richter vielmehr um Aufklärung auf anderem Wege bemühen.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 10. Februar 2004 bezüglich des Angeklagten F. mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Betruges in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Ihre zuungunsten des Angeklagten eingelegte, wirksam auf die Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Revision hat die Staatsanwaltschaft auf die Sachrüge gestützt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

Die Aussetzung der Strafe zur Bewährung kann keinen Bestand haben.

Bereits die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte werde sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB), hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie ist ausschließlich damit begründet, der Angeklagte sei nicht vorbestraft. Dies wird auch bei der gebotenen Zurückhaltung des Revisionsgerichts hinsichtlich der Prognosefrage den Anforderungen nicht gerecht, zumal das Urteil keinerlei weitergehende Angaben zum Vorleben des Angeklagten und seinen Lebensverhältnissen enthält.

Von seiner Verpflichtung, die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten und die für die Frage der Strafaussetzung bedeutsamen Umstände darzulegen, war das Landgericht nicht deswegen befreit, weil der Angeklagte, wie es im einleitenden Satz des angefochtenen Urteils heißt, "von der ihm eingeräumten Möglichkeit, sich zu seinen persönlichen Verhältnissen zu äußern, keinen Gebrauch machen" wollte und Auskünfte verweigert hat. In einem solchen Fall muß sich der Richter um Aufklärung auf anderem Wege bemühen (BGH NStZ 1991, 231).

Auf die ebenfalls rechtlich nicht unbedenklichen Ausführungen zu § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB kommt es demnach nicht mehr an. Besondere Umstände im Sinne dieser Bestimmung, also Milderungsgründe von besonderem Gewicht, die eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechtsund Schuldgehalts der Tat als nicht unangebracht und den vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen (vgl. BGH NStZ 1986, 27; BGHR StGB § 56 Abs. 2 Umstände, besondere 10), vermag der Senat allerdings weder in einem einzelnen der mitgeteilten Gesichtspunkte noch in deren Gesamtheit zu erkennen.

HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 954

Bearbeiter: Ulf Buermeyer