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HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 99

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 157/04, Urteil v. 16.12.2004, HRRS 2005 Nr. 99


BGH 3 StR 157/04 - Urteil vom 16. Dezember 2004 (LG Hildesheim)

Untreue (Vermögensbetreuungspflicht; Vermögensschaden); Rechtsberatungsgesetz (Wirksamkeit einer Abtretung zur Geltendmachung im eigenen Namen); Einstellung aus Opportunitätsgründen (überlange Verfahrensdauer; Ermittlungsaufwand).

§ 266 StGB; § 1 Abs. 1 RBerG; § 134 BGB; § 398 BGB; § 153 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 9. September 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in 23 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten sowie zu einer Gesamtgeldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 50 € verurteilt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war dem Angeklagten aus seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt und Notar bekannt geworden, daß zahlreichen Landwirten aufgrund einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus bereits abgewickelten - zuvor notleidend gewordenen - Darlehensverhältnissen noch Rückforderungsansprüche gegen darlehensgebende Banken zustanden. So wurde der Vorstandsvorsitzende der insbesondere in den Jahren 1987 bis 1990 aktiv gewesenen "Schutzgemeinschaft wirtschaftlicher und rechtlicher Interessen der Landwirte e. V.", der ehemalige Landwirt F., in seiner Rückforderungsangelegenheit von dem Angeklagten, der dieser Vereinigung im Jahre 1988 selbst beigetreten war, vertreten. Bereits ab dem Jahr 1991 informierte der in dieser Sache rechtskräftig verurteilte F. als Vorsitzender des Vereins betroffene Landwirte über die Rechtsprechungsänderung.

Im Jahre 1992 kamen der Angeklagte und F. dann überein, daß dieser sich unter Ausnutzung seiner "Vertrauensstellung" die Rückforderungsansprüche einzelner Landwirte abtreten und die für die Rechtsverfolgung notwendigen Unterlagen aushändigen lassen sollte. Die Landwirte sollten keine Kosten zu tragen haben, im Falle des Erfolges der Rückforderung aber eine Quote von 50 bis 60 % des jeweiligen Erstattungsbetrages erhalten. Unentschlossenen Landwirten sollte F. in einem gesonderten schriftlichen Forderungskaufvertrag eine Mindestsumme garantieren. Der Angeklagte hingegen sollte die Unterlagen der Landwirte prüfen, gegebenenfalls weitere Recherchen anstellen und die Rückforderungsansprüche - sofern erfolgversprechend - im Namen der Landwirte gegenüber den Banken geltend machen. Hierfür ließ sich F. von den Landwirten Rechtsanwaltsvollmachten auf den Angeklagten unterzeichnen. Die erwirkten Erstattungsbeträge sollte der Angeklagte an F. weiterleiten, dem die Auszahlung gegenüber den Landwirten entsprechend der vorherigen Vereinbarungen oblag. Die Gewinne aus der geschilderten Tätigkeit wollten sich der Angeklagte und F. hälftig teilen.

Dementsprechend schloß F. zwischen Oktober 1992 und August 1993 in den abgeurteilten 23 Fällen Abtretungsvereinbarungen. Dem Angeklagten gelang es, von darlehensgebenden Banken Beträge zwischen 12.000 und 365.000 DM, insgesamt über 2,3 Millionen DM, zu erlangen, die er vereinbarungsgemäß - teilweise nach Abzug seines Honorars - an F. weiterleitete.

Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB angesehen. Er habe seine ihm gegenüber den Landwirten bestehende Vermögensbetreuungspflicht verletzt, die aus dem zwischen ihm und den Landwirten jeweils entstandenen Geschäftsbesorgungsverhältnis abzuleiten sei. Die von den Banken erhaltenen Gelder habe er nicht an F. auskehren dürfen, da die zwischen den Landwirten und F. geschlossenen Abtretungsverträge wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz nichtig und die Landwirte daher Inhaber der Forderungen gegen die Banken geblieben seien. Die Gelder seien deswegen an diese auszuzahlen gewesen. Den Landwirten sei durch die Weiterleitung der Gelder an F. ein entsprechender Vermögensschaden entstanden.

2. Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten nicht.

a) Es erscheint bereits zweifelhaft, ob zwischen dem Angeklagten und den Landwirten ein Geschäftsbesorgungs- bzw. Auftragsverhältnis zustande kam, aus dem dem Angeklagten eine durch § 266 StGB geschützte Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den Landwirten erwuchs.

b) Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, weil der Angeklagte durch Auskehr der erlangten Beträge an F. keinen Vermögensnachteil der Landwirte herbeigeführt hat. F. ist Inhaber der Forderungen geworden; entgegen der Auffassung des Landgerichts war die Abtretung der Rückforderungsansprüche an ihn nicht unwirksam.

Eine Unwirksamkeit der Abtretungen läßt sich nicht aus § 1 Abs. 1 RBerG i. V. m. § 134 BGB herleiten. Aus den Feststellungen ergibt sich nicht, daß F. vor Abschluß der jeweiligen Abtretungsvereinbarungen eine irgendwie rechtsberatende Tätigkeit gegenüber den Landwirten vorgenommen hätte. Nach den Abtretungen war bei der Einziehung der Forderungen allein der Angeklagte tätig. Dieser war als Rechtsanwalt indessen hierzu befugt.

Auch auf § 1 Abs. 1 Satz 1 der 5. Ausführungsverordnung zum RBerG vom 29. März 1938, wonach der geschäftsmäßige Erwerb von Forderungen zur Einziehung auf eigene Rechnung erlaubnispflichtig sein sollte, läßt sich eine Unwirksamkeit der Abtretungen nicht stützen. Diese Vorschrift beruht nicht mehr auf einer dem Grundgesetz entsprechenden Ermächtigung und ist deshalb ihrerseits unwirksam, weil der Gesetzgeber weder von der Möglichkeit einer Aufnahme der vorkonstitutionellen Norm in seinen Willen Gebrauch gemacht, noch eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage erlassen hat (vgl. BVerwG, Urt. vom 16. Juli 2003 - 6 C 27.02).

3. Das landgerichtliche Urteil ist demnach aufzuheben. Ein Freispruch des Angeklagten kommt nicht in Betracht. Vielmehr ist die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, weil es jedenfalls möglich erscheint, daß sich der Angeklagte in dem angeklagten Sachverhalt (§ 264 Abs. 1 StPO) wegen - gemeinschaftlich mit F. begangener - Betrugstaten strafbar gemacht hat. Angesichts der Tatsache, daß die zum Erfolg der Rückforderungen führende Rechtsprechungsänderung in den einschlägigen Kreisen bereits bekanntgemacht worden war, ist schwer vorstellbar, weshalb die betroffenen Landwirte ohne weitergehende Täuschung über Wert oder Durchsetzbarkeit ihrer Rückforderungsansprüche Verluste bis zur Hälfte des Forderungswertes hätten hinnehmen sollen. Das Landgericht hat vor dem Hintergrund seiner rechtlichen Bewertung hierzu keine Feststellungen getroffen. Die neue Hauptverhandlung wird Gelegenheit geben, den Sachverhalt auch unter diesem Aspekt aufzuklären. Angesichts der langen Verfahrensdauer, die schon in dem angefochtenen Urteil eine deutliche Herabsetzung der Einsatzstrafen und der Gesamtstrafen erforderlich gemacht hat, sowie des möglicherweise erheblichen weiteren Ermittlungsaufwandes könnte allerdings auch eine Verfahrenseinstellung nach Opportunitätsgrundsätzen in Betracht zu ziehen sein.

HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 99

Externe Fundstellen: NJW 2005, 1383; NStZ-RR 2005, 151

Bearbeiter: Ulf Buermeyer