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HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 573

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 139/04, Beschluss v. 11.05.2004, HRRS 2004 Nr. 573


BGH 3 StR 139/04 - Beschluss vom 11. Mai 2004 (LG Verden)

Zulässigkeit der Verfahrensrüge (Begründungsanforderungen bei der Aufklärungsrüge: Mitteilung eines schriftlichen Sachverständigengutachten); Recht auf Verfahrensbeschleunigung (Berücksichtigung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung bei der Strafzumessung auf Grund der Sachrüge, der Verfahrensrüge).

§ 244 Abs. 4 StPO; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; § 344 Abs. 2 Satz StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung und eine Verletzung des Beschleunigungsgebots sind vom Revisionsgericht jedenfalls für den Zeitraum vor Erlass des erstinstanzlichen Urteils nur auf die Verfahrensrüge hin zu prüfen (Bestätigung von Senat, Beschluss vom 28. August 1998 - 3 StR 142/98 = BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 7 = NStZ 1999, 95; Widerspruch zum Anfragebeschluss 5 StR 376/03 vom 13. November 2003).

2. Der Senat hat Bedenken dagegen, die Zulässigkeit einer Aufklärungsrüge wegen Nichteinholung eines zweiten Sachverständigengutachtens davon abhängig zu machen, dass der Revisionsführer in seiner Rechtsmittelbegründung auch den Inhalt des schriftlich vorab erstatteten ersten Gutachtens mitteilt. Maßgeblich ist stets das in der Hauptverhandlung mündlich erstattete Sachverständigengutachten, das gegenüber dem schriftlich vorab erstatteten korrigiert und ergänzt worden sein kann (nicht tragende Erwägung).

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 27. Mai 2003 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Ergänzend bemerkt der Senat

1. Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg. Mit ihr wurde geltend gemacht, das Landgericht habe den Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zu Unrecht abgelehnt. Der Antrag war darauf gestützt, der in der Hauptverhandlung gehörte Sachverständige sei in seinem schriftlichen vorbereitenden Gutachten von unrichtigen tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen. Der Generalbundesanwalt hält die Rüge für unzulässig, weil der Revisionsführer das schriftliche Gutachten nicht mitgeteilt habe (so auch BGH NStZ-RR 1996, 362; BGH bei Sander NStZ-RR 2004, 2 f.).

Diese Auffassung erscheint nicht unbedenklich. Denn für die rechtliche Beurteilung ist nicht das in den Akten befindliche, sondern das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten maßgeblich. Hier kann der Sachverständige Mängel, die seinem vorbereitenden Gutachten noch anhafteten, ausgeräumt haben, ohne daß dies aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ersichtlich und damit aus dieser rekonstruierbar wäre. Entscheidend für die Überprüfung sind vielmehr die Gründe des den Beweisantrag zurückweisenden Beschlusses sowie die Darlegungen des Urteils über den Inhalt des mündlich erstatteten Sachverständigengutachtens, das schon aus sachlichrechtlichen Gründen so weit dargestellt werden muß, daß das Revisionsgericht seine Tragfähigkeit prüfen kann (vgl. BGHSt 34, 29, 31; BGH NStZ 1991, 596).

Die Rüge ist jedenfalls unbegründet, denn der Ablehnungsbeschluß der Strafkammer weist keinen Rechtsfehler auf.

2. Die Strafzumessung hält rechtlicher Nachprüfung stand.

Das Landgericht hat zutreffend die Dauer des Verfahrens sowie den Umstand, daß die Straftaten lange zurückliegen, als selbständige Strafmilderungsfaktoren berücksichtigt. Einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots vermag der Senat nicht festzustellen. Für eine Überprüfung des Zeitraums vor Erlaß des Urteils fehlt es an der erforderlichen Verfahrensrüge (BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 7 m. w. N.).

Eine Betrachtung des Verfahrensablaufs nach Einlegung der Revision ergibt zwar, daß die Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft Stade vom 5. März 2004 datiert, obgleich ihr die Akten bereits im Oktober 2003 vorlagen; unter Berücksichtigung einer normalen Bearbeitungsdauer bedeutet dies jedoch allenfalls eine Verzögerung von wenigen Monaten. Eine gewisse Untätigkeit während eines bestimmten Verfahrensabschnitts führt jedoch nicht zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, sofern die angemessene Frist insgesamt nicht überschritten wird (BGH NStZ 1999, 313; 2003, 384). So liegt es hier.

HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 573

Externe Fundstellen: NStZ 2005, 582

Bearbeiter: Ulf Buermeyer