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HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 285

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 481/03, Beschluss v. 15.01.2004, HRRS 2004 Nr. 285


BGH 3 StR 481/03 - Beschluss vom 15. Januar 2004 (LG Berlin)

Zuwiderhandeln gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot (PKK); Inbegriff der Hauptverhandlung (schriftliche Erklärung des Angeklagten: Anlage zum Protokoll, Verlesung als Urkunde, Mündlichkeitsprinzip); Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung; Strafzumessung.

§ 18 Satz 2 VereinsG; § 261 StPO; § 249 Abs. 1 StPO; § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO; § 337 StPO; § 46 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine vorbereitete schriftliche Erklärung des Angeklagten, die der Verteidiger verliest und dann als Anlage zum Protokoll überreicht, wird dadurch nicht zum Inbegriff der Hauptverhandlung, da über ihren Wortlaut kein Beweis erhoben wird. Gegenstand der Hauptverhandlung wird lediglich der mündliche Vortrag durch den Verteidiger und die zustimmende Erklärung des Angeklagten. Das Revisionsgericht kann nicht unter Rückgriff auf die als Anlage zum Protokoll gereichte Erklärung prüfen, ob diese vollständig und zutreffend in den Urteilsgründen wiedergegeben ist (Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung).

2. Der Senat bemerkt obiter, dass eine vorbereitete schriftliche Erklärung des Angeklagten zwar zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden kann, indem seine Verlesung als Urkunde angeordnet wird (vgl. § 249 Abs. 1 StPO), der Tatrichter aber hierzu nicht verpflichtet ist, da der Angeklagte selbst gehört werden kann (Mündlichkeitsprinzip; vgl. § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO).

Entscheidungstenor

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. Juli 2003 wird als unbegründet verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Zu Recht hat das Landgericht angenommen, daß die Angeklagte durch die Unterzeichnung der Bekenntniserklärung und ihre organisatorische Beteiligung an der vom Präsidialrat der PKK beschlossenen Kampagne dem vollziehbaren Verbot nach § 18 Satz 2 VereinsG, sich für die PKK zu betätigen, zuwidergehandelt und damit den Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG verwirklicht hat. Im einzelnen wird hierzu auf das Urteil des Senats vom 27. März 2003 - 3 StR 377/02 (NJW 2003, 2621 f.) verwiesen.

Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:

1. Soweit die Revision als Verstoß gegen § 261 StPO rügt, das Landgericht habe sich mit der "aus dem Hauptverhandlungsprotokoll vollständig ersichtlichen Aussage" der Angeklagten nicht erschöpfend auseinandergesetzt, geht sie von einem unrichtigen rechtlichen Ausgangspunkt aus. Dadurch, daß der Verteidiger eine vorbereitete schriftliche Erklärung verlesen und sodann als Anlage zum Protokoll überreicht hat, ist über deren Wortlaut kein Beweis erhoben und dieser damit nicht zum Inbegriff der Hauptverhandlung geworden.

Vielmehr wurde Gegenstand der Hauptverhandlung lediglich der mündliche Vortrag durch den Verteidiger und die zustimmende Erklärung der Angeklagten.

Eine Überprüfung, ob die zusammenfassende Darstellung dieser Einlassung in den Urteilsgründen zutreffend und vollständig ist, ist dem Senat ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung nicht möglich (vgl. Beschluß des Senats vom 14. August 2003 - 3 StR 17/03, zum Abdruck in BGHR StPO § 243 Abs. 4 Äußerung 8 bestimmt; ebenso Park StV 2001, 589, 592).

Nur wenn das Gericht die Verlesung dieses Schriftstücks angeordnet und durchgeführt hätte, wäre die Urkunde in ihrem Wortlaut in die Hauptverhandlung eingeführt worden und hätte von der Revision als Maßstab zur Überprüfung der Beweiswürdigung herangezogen werden können (vgl. BGHSt 38, 14, 16 f.). Allerdings weist der Senat darauf hin, daß ein Gericht grundsätzlich nicht verpflichtet ist, die schriftliche Einlassung eines Angeklagten als Urkunde zu verlesen, da seine mündliche Vernehmung nicht durch die gerichtliche Verlesung einer schriftlichen Erklärung ersetzt werden kann (BGH NStZ 2000, 439). Denn nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO erfolgt die Vernehmung eines Angeklagten zur Sache nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 StPO, also grundsätzlich durch mündliche Befragung und mündliche Antworten (vgl. KK 5. Aufl. § 243 Rdn. 44 m. w. N.).

2. Im übrigen wird die vom Landgericht vorgenommene Auslegung der Selbsterklärung und die Bewertung des Verhaltens der Angeklagten den sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ergebenden Anforderungen gerecht. Unter Berücksichtigung des Kontextes und der Begleitumstände (vgl. BVerfGE 93, 266, 295) ist die Strafkammer mit schlüssigen und nachvollziehbaren Erwägungen zum Ergebnis gekommen, daß die Einlassung der Angeklagten, es sei ihr lediglich um eine Meinungsäußerung zu dem Betätigungsverbot gegenüber der PKK gegangen und nicht um eine gezielte Beteiligung an einer von der PKK organisierten Kampagne mit dem Ziel, durch massenhafte Herbeiführung von Ermittlungs- und Strafverfahren den Strafverfolgungsbehörden die Ahndung von Verstößen gegen das vereinsrechtliche Betätigungsverbot zumindest zu erschweren, eine Schutzbehauptung darstellt. Insbesondere der Umstand, daß sich die Angeklagte und die anderen an der Kampagne Beteiligten nicht an das für eine Aufhebung des Betätigungsverbotes zuständige Bundesinnenministerium, sondern mit massenhaften gebündelten Einzelerklärungen an die zur Verfolgung von Verstößen gegen das vereinsrechtliche Betätigungsverbot zuständige Abteilung der Staatsanwaltschaft wandten, rechtfertigt diesen naheliegenden Schluß. Im übrigen wird die mangelnde Bereitschaft, das Verbot zu befolgen, durch den Umstand bestätigt, daß die Angeklagte einschlägig vorbestraft ist und unabhängig von der Selbsterklärungskampagne durch die finanzielle Förderung der ERNK in einem weiteren Falle gegen das vereinsrechtliche Betätigungsverbot verstoßen hat.

3. Die Strafkammer hat auch bei der Strafzumessung die wertsetzende Bedeutung der Meinungsfreiheit ausdrücklich beachtet (vgl. BVerfG NJW 1999, 204, 205; 2002, 1031, 1034). Daß sie diesem Gesichtspunkt ein zu geringes Gewicht beigemessen hätte, ist nicht erkennbar. Die im Verhältnis zu den gegen andere Unterzeichner der Selbsterklärung verhängten Strafen höhere Anzahl von Tagessätzen hat sie mit der einschlägigen Vorstrafe und dem Umstand nachvollziehbar begründet, daß sich die Angeklagte im Gegensatz zu diesen nicht auf die Unterzeichnung der Erklärung beschränkt hatte, sondern erhebliche organisatorische Leistungen zur Förderung der Kampagne erbracht und zusätzlich Spenden für die ERNK geleistet hatte ("Vielzahl von Handlungsvarianten").

Daß sich die rechtlich nicht unbedenkliche Berücksichtigung der Erklärung der Angeklagten in der Hauptverhandlung auf die Strafhöhe ausgewirkt haben könnte, kann der Senat ausschließen.

HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 285

Externe Fundstellen: NStZ 2004, 392

Bearbeiter: Ulf Buermeyer