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Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 33/02, Beschluss v. 03.04.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 33/02 - Beschluß vom 3. April 2002 (LG Oldenburg)

Vergewaltigung; Aussage gegen Aussage; Beweiswürdigung.

§ 261 StPO; § 177 StGB; § 223 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

In einem Fall, in dem die Entscheidung allein davon abhängt, welcher von zwei Personen, die einander widersprechende Aussagen gemacht haben, das Gericht Glauben schenkt, muss der Tatrichter erkennen lassen, dass er alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 15. Oktober 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus zwei Strafbefehlen zur Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Nach den Feststellungen waren der Angeklagte und die Zeugin M. seit ca. einem Jahr befreundet. In der Vergangenheit war es zwischen ihnen einmal zum Geschlechtsverkehr gekommen, im übrigen hatte die Zeugin Intimkontakte abgelehnt. Die Zeugin war damit einverstanden, daß der Angeklagte in ihrer Wohnung übernachtet. Nachdem sich beide über ihre jeweiligen Beziehungsprobleme - die Zeugin hatte psychische Probleme wegen der Trennung von ihrem damaligen Freund - unterhalten hatten, legte sich der Angeklagte im Schlafzimmer in das ca. 1,40 m breite Bett, wobei er nur mit einer Boxershorts bekleidet war. Die lediglich mit einem hüftlangen Nachthemd bekleidete Zeugin legte sich neben ihn. Während die Zeugin auf Wunsch des Angeklagten dessen Schläfen massierte, berührte der Angeklagte die Frau am Gesäß. Obwohl sie mehrfach äußerte, "daß sie das nicht wolle und der Angeklagte dies sein lassen solle", drehte der Angeklagte die Zeugin gegen ihren Willen unter Anwendung körperlicher Gewalt auf den Rücken und drückte gewaltsam ihre Beine auseinander, wodurch er im Bereich des inneren linken Oberschenkels Blutergüsse und im Nackenbereich Kratzspuren verursachte. Sodann vollzog der Angeklagte mit der Zeugin, die ihren Widerstand aufgab und das weitere Geschehen über sich ergehen ließ, den Geschlechtsverkehr.

2. Der Angeklagte räumt den Geschlechtsverkehr ein, bestreitet jedoch, Gewalt angewendet zu haben. Er hat sich dahingehend eingelassen, es sei zum Austausch von Küssen gekommen, obwohl die Zeugin zunächst "nein" gesagt habe. Dabei habe man sich so gedreht, daß sie auf dem Rücken gelegen habe. Während des anschließenden Geschlechtsverkehrs habe sie ihr Einverständnis bekundet. Diese Einlassung sieht die Strafkammer durch die als glaubhaft bewertete Aussage der Zeugin M. widerlegt. Dabei stützt sie sich vor allem auf die im wesentlichen konstanten Angaben der Zeugin bei ihren verschiedenen Vernehmungen und die von zwei Ärztinnen bestätigten Verletzungen. Nach Oberzeugung der Kammer hat der Angeklagte beim Einsatz der Gewalt billigend in Kauf genommen, damit einen bereits begonnenen, ernst gemeinten Widerstand der Frau gegen den Geschlechtsverkehr auszuschalten.

3. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Allerdings beschränkt sich, da die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist, die revisionsgerichtliche Nachprüfung darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Ein sachlichrechtlicher Fehler liegt aber u.a. dann vor, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt (st. Rspr., vgl. BGHSt 29, 18, 20; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 49 m. w. N.), insbesondere bei der Auswertung von Beweistatsachen naheliegende andere Möglichkeiten nicht erörtert werden (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 5).

a) Gemessen daran, begegnet die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils schon zum objektiven Sachverhalt rechtlichen Bedenken. Da sich die Zeugin ihre Verletzungen auch bei dem vom Angeklagten geschilderten Geschehensablauf zugezogen haben kann und diese daher kein objektiver Umstand von Gewicht sind, steht in den wenigen, aber entscheidenden Punkten, in denen die Einlassung des Angeklagten und die Aussage der Geschädigten voneinander abweichen, letztlich Aussage gegen Aussage. In einem solchen Fall, in dem die Entscheidung allein davon abhängt, welcher Person das Gericht Glauben schenkt, muß der Tatrichter erkennen lassen, daß er alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGHSt 44, 153, 159; 256, 257; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 23). Diesen hohen Anforderungen entspricht das Urteil nicht. So hätten die Abweichungen in den im wesentlichen konstant gebliebenen Angaben der Zeugin M. bei ihren verschiedenen Vernehmungen (UA S. 9) umfassend dargestellt und die Äußerungen der Zeugin, mit der sie ihren entgegenstehenden Willen artikuliert hat, detailliert wiedergegeben werden müssen. Außerdem hätte erörtert werden müssen, ob die festgestellten schwerwiegenden psychischen Probleme der Zeugin (UA S. 5, 8, 12) deren Aussageverhalten oder das Tatgeschehen beeinflußt haben können.

b) Auch zur subjektiven Tatseite erweist sich die Beweiswürdigung als rechtsfehlerhaft. Das Landgericht erörtert nicht die hier naheliegende Möglichkeit, daß der Angeklagte den von der Zeugin artikulierten entgegenstehenden Willen als nicht ernst gemeint aufgefaßt und auf Grund der Gesamtsituation von deren Einverständnis mit sexuellen Handlungen ausgegangen ist. Wegen des Verhaltens der Zeugin, die sich nur mit einem Nachthemd bekleidet zum Angeklagten ins Bett gelegt und dessen Schläfen massiert hatte, liegt der Schluß nahe, der Angeklagte sei zunächst von einem generellen Einverständnis mit sexuellen Handlungen ausgegangen. In dieser Situation mußte der Angeklagte die - wenig aussagekräftigen - Äußerungen der Frau "sie wolle das nicht", nicht zwingend als ernst gemeinten Widerstand auffassen, zumal zu deren Bestimmtheit, Intensität und Lautstärke keine näheren Feststellungen getroffen sind. Außerdem waren die vom Angeklagten ausgeübte Gewalt und der von der Zeugin ausgeübte Widerstand nicht heftig und nachhaltig. Hinzu kommt, daß der Angeklagte am nächsten Morgen, als er erneut versuchte, mit der Zeugin intim zu werden, wegen deren deutlich ablehnenden Haltung davon Abstand nahm (UA S. 7).

4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:

Für die Beweiswürdigung ist es ohne Bedeutung, daß andere Zeugen die Zeugin M. als glaubwürdig und deren Angaben als glaubhaft bewertet haben (UA. S. 11), da diese Beurteilung Aufgabe des Gerichts ist. Bei der Gesamtstrafenbildung muß in der Urteilsformel mitgeteilt werden, welche der unterschiedlichen Sperrfristen für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis aufrechterhalten wird, damit Klarheit über den Fristablauf besteht.

Externe Fundstellen: NStZ 2002, 494; StV 2002, 469

Bearbeiter: Ulf Buermeyer