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Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 314/02, Beschluss v. 24.09.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 314/02 - Beschluss vom 24. September 2002 (LG Krefeld)

Verfahrensrüge; Urkundenverlesung; Überzeugungsbildung (Inbegriff der Hauptverhandlung; Beruhen des Urteils).

§ 249 Abs. 1 StPO; 261 StPO; 337 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Gibt das Tatgericht in den Urteilsgründen den Inhalt einer durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführten Urkunde nicht richtig wieder, so gewinnt es seine Überzeugung nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO. Dies stellt einen Verfahrensfehler und damit eine Verletzung des Gesetzes im Sinne des § 337 StPO dar.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 5. April 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere seiner Schuld festgestellt (§ 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB). Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

Zutreffend beanstandet der Angeklagte, daß das Landgericht unter Verstoß gegen § 261 StPO in seiner Beweiswürdigung einer verlesenen Urkunde einen Inhalt beigemessen hat, der im Widerspruch zu ihrem Wortlaut steht (vgl. BGHSt 29, 19, 21; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1987, 18 Nr. 11; BGH bei Miebach NStZ 1988, 212 Nr. 16). Dem liegt folgendes zugrunde:

Nach den Feststellungen des Landgerichts war die Ehefrau des Angeklagten aus Angst vor diesem aus dem Fenster des Kinderzimmers der im vierten Stock eines Mietshauses gelegenen Ehewohnung geklettert und hatte sich an der Außenwand des Gebäudes festgeklammert. Diese Situation nutzte der Angeklagte zur Tötung seiner Ehefrau aus, indem er sie in die Tiefe stieß.

Seine Überzeugung von diesem Tatgeschehen hat das Landgericht auch darauf gestützt, daß nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein Selbstmord der Ehefrau des Angeklagten auszuschließen sei. Dies ergebe sich unter anderem aus dem von den Zeugen S. und L. bekundeten Hilferuf des Tatopfers "Helfen sie mir, mein Mann bringt mich um, die Kinder !". Diese Zeugen seien glaubhaft, wobei "entscheidend" hinzukomme, daß der Angeklagte zwei Tage nach der Tat, am Abend des 7. Juli 2001. gegenüber der Zeugin A. selbst erklärt habe, er habe einen solchen Ruf seiner Frau gehört.

Gegen die Aussage der Zeugin A. hat der Angeklagte eingewandt, diese müsse ihn falsch verstanden haben. Er habe der Zeugin nur den Tatvorwurf geschildert, der in dem gegen ihn am selben Tag, dem 7. Juli 2001, verkündeten und sofort außer Vollzug gesetzten Haftbefehl wegen fahrlässiger Tötung enthalten gewesen sei. Diese Einlassung des Angeklagten hat das Landgericht für widerlegt erachtet, weil in dem - gemäß § 249 Abs. 1 StPO verlesenen - Haftbefehl der Hilferuf der Ehefrau des Angeklagten überhaupt nicht erwähnt sei.

Mit Recht macht die Revision geltend, daß diese Würdigung des Landgerichts im Widerspruch zum Wortlaut des Haftbefehls steht. Denn dort ist ausdrücklich festgehalten, daß die Ehefrau des Angeklagten, nachdem sie aus dem Kinderzimmerfenster geklettert war, einer Nachbarin zurief: "Hilfe, der bringt mich um". Die Überzeugungsbildung des Landgerichts beruht daher in diesem Punkt nicht auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung. Damit hat es gegen § 261 StPO verstoßen.

Auf diesem Verfahrensfehler beruht die angefochtene Entscheidung (§ 337 Abs. 1 StPO). Das Landgericht hat es trotz der an sich unzweideutigen Schilderung des Kerngeschehens der Tat durch die Zeugin L. für seine Überzeugungsbildung als wesentlich erachtet, ob auch nach dem sonstigen Beweisergebnis ein Selbstmord der Ehefrau des Angeklagten auszuschließen sei. Hierzu hat es sich zwar in erster Linie auf die Angaben der Zeugen S. und L. zu dem Hilferuf des Tatopfers gestützt, mit "entscheidend" aber auch auf die eigene Bekundung des Angeklagten gegenüber der Zeugin A. zu diesem Hilferuf abgestellt. Der Senat vermag daher nicht auszuschließen, daß das Landgericht bei zutreffender Erfassung des Inhalts des Haftbefehls vom 7. Juli 2001 die Einlassung des Angeklagten zu seiner Äußerung bei der Zeugin A. und damit letztlich die Möglichkeit eines Selbstmords der Ehefrau des Angeklagten abweichend gewürdigt hätte.

Da das angefochtene Urteil schon aufgrund dieses Verfahrensfehlers keinen Bestand haben kann, bedarf es keines weiteren Eingehens auf die rechtlich nicht unproblematischen Ausführungen des Landgerichts zum Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe und zum Vorliegen besonderer Schuldschwere im Sinne des § 57 a Abs. 1 Nr. 2 StPO.

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2003, 52; StV 2003, 319

Bearbeiter: Ulf Buermeyer