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Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 144/02, Beschluss v. 04.06.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 144/02 - Beschluss vom 4. Juni 2002 (LG Oldenburg)

Verfahrensrüge; Hinweispflicht (Änderung eines rechtlichen Gesichtspunktes); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

§ 265 Abs. 2 StPO; § 63 StGB; § 64 StGB.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 12. Dezember 2001 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung und wegen schweren Raubes jeweils zu Einzelstrafen von vier Jahren verurteilt und daraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren gebildet. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt angeordnet sowie bestimmt, daß zunächst unter Anrechnung der Untersuchungshaft insgesamt 20 Monate der Freiheitsstrafe und anschließend die Unterbringung in der Entziehungsanstalt vollstreckt wird. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten.

Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Beschwerdeführer beanstandet mit der auf § 265 Abs. 2 StPO gestützten Verfahrensrüge zu Recht, daß er weder in der Anklageschrift noch in dem Eröffnungsbeschluß auf die Möglichkeit seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hingewiesen worden ist und auch in der Hauptverhandlung das Gericht einen solchen Hinweis nicht erteilt hat. Der Umstand, daß in dem in der Hauptverhandlung mündlich erstatteten Gutachten des Sachverständigen die Empfehlung ausgesprochen wurde, die Maßregel des § 64 StGB im Falle der Erfolglosigkeit in die des § 63 StGB umzuwandeln, dessen Voraussetzungen "zum derzeitigen Zeitpunkt allein deshalb nicht vorlägen, weil die Unterbringung gemäß § 64 als ein weniger in die Freiheit einschneidendes Mittel anzusehen sei", macht einen solchen gerichtlichen Hinweis nicht entbehrlich (vgl. BGHR StPO § 265 II Hinweispflicht 6; BGH NStZ 1985, 325); die Einführung nur durch eine Beweisperson reicht nicht aus (vgl. Engelhardt in KK 4. Aufl. § 265 Rdn. 24 m. w. N.). Der Senat kann nicht ausschließen, daß sich der Angeklagte bei prozeßordnungsmäßigem Verfahrensablauf anders verteidigt und das Gericht diese Maßregel nicht angeordnet hätte. Er weist darüber hinaus darauf hin, daß die Strafkammer im übrigen auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei begründet hat. Der neue Tatrichter wird insoweit, die Grundsätze zu beachten haben, wie sie der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen BGHSt 44, 338 ff. und 369 ff. aufgestellt hat. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, daß maßgeblicher Zeitpunkt für die Gefährlichkeitsprognose die Aburteilung ist (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 63 Rdn. 14).

2. Auf die Sachrüge hin war auch die Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB aufzuheben. Die Aussagen des Sachverständigengutachtens, so wie sie in den Urteilsgründen wiedergegeben werden und wie sie sich das Landgericht danach zu eigen gemacht hat, belegen bei dem hier vorliegenden Zusammentreffen chronischen Rauschmittelmißbrauchs mit anderen psychischen Defekten nicht zweifelsfrei die Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 StGB; sie entsprechen auch nicht den Anforderungen an die gemäß BVerfGE 91, 1 f. näher darzulegende hinreichende konkrete Aussicht des Behandlungserfolges (§ 64 Abs. 2 StGB).

Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, die Anordnung von Maßregeln der Sicherung und Besserung insgesamt neu zu beurteilen und zu entscheiden. Zur Frage eines möglichen Vorwegvollzuges weist der Senat darauf hin, daß die im angefochtenen Urteil gegebene knappe Begründung den Anforderungen an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gerecht wird (vgl. dazu BGH bei Detter NStZ 2001, 473 m. w. N.; BGHR StGB § 67 II Vorwegvollzug, teilweiser 7, 9, 11, 12).

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2002, 271; StV 2002, 589

Bearbeiter: Ulf Buermeyer