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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 122/02, Beschluss v. 01.08.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 122/02 - Beschluss vom 1. August 2002 (LG Osnabrück)

BGHSt 47, 362; Begründung des ermittlungsrichterlichen Beschlusses, durch den die Überwachung der Telekommunikation angeordnet oder bestätigt wird (Darstellung der Verdachts- und Beweislage; Ausmaß der Prüfungspflicht; Rekonstruktion und Verwertbarkeit; Beziehung der Akten; eigenständiger revisibler Rechtsfehler der fehlenden Begründung; Beruhen; Widerspruch); Telefonüberwachung; Tatverdacht (Beurteilungsspielraum).

§ 34 StPO; § 100 a StPO; § 100 b StPO; § 337 StPO

Leitsätze

1. In der Begründung des ermittlungsrichterlichen Beschlusses, durch den die Überwachung der Telekommunikation angeordnet oder bestätigt wird, ist die Verdachts- und Beweislage, die die Maßnahme rechtfertigt, darzustellen. Dabei kann im Einzelfall eine konkrete Bezugnahme auf Aktenteile genügen. (BGHSt)

2. Ist die Darstellung der Verdachts- und Beweislage im ermittlungsrichterlichen Beschluss plausibel, kann sich der erkennende Richter, der die Verwertbarkeit der Überwachungsergebnisse zu beurteilen hat, in der Regel hierauf verlassen. Fehlt es jedoch an einer ausreichenden Begründung oder wird die Rechtmäßigkeit der Maßnahme konkret in Zweifel gezogen, hat der erkennende Richter die Verdachts- und Beweislage, die im Zeitpunkt der Anordnung gegeben war, anhand der Akten zu rekonstruieren und auf dieser Grundlage die Verwertbarkeit zu untersuchen (im Anschluss an BGHSt 41, 30). War die Überwachung der Telekommunikation in einem anderen Verfahren angeordnet worden, hat er hierzu die Akten dieses Verfahrens beizuziehen. (BGHSt)

3. Unterlässt der erkennende Richter eine erforderliche Beiziehung von Akten und verhindert er dadurch die gebotene Prüfung der Rechtmäßigkeit der Überwachungsmaßnahme, liegt hierin ein eigenständiger Rechtsfehler, der im Einzelfall zur Aufhebung des tatrichterlichen Urteils in der Revision führen kann. (BGHSt)

4. In einem rechtsstaatlichen Strafverfahren dürfen Erkenntnisse aus einer rechtswidrig angeordneten Telefonüberwachung nicht als Beweismittel verwertet werden. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen es an einer wesentlichen sachlichen Voraussetzung für die Maßnahme nach § 100 a StPO fehlt. So hat es die Unverwertbarkeit zur Folge, wenn der Verdacht einer Katalogtat des § 100 a Satz 1 StPO von vornherein nicht bestand (vgl. BGHSt 31, 304, 308 f.; 32, 68, 70; 41, 30, 31). Bei der Prüfung eines hinreichenden, auf bestimmte Tatsachen gestützten Tatverdachts und des Fehlens oder der Erschwernis anderer Ermittlungsmöglichkeiten räumt das Gesetz dem zur Entscheidung berufenen Ermittlungsrichter oder Staatsanwalt (§ 100 b Abs. 1 StPO) jedoch einen Beurteilungsspielraum ein. Als rechtsstaatswidrig - mit der Folge eines Verwertungsverbots - stellt sich die Anordnung der Überwachungsmaßnahme nur dann dar, wenn die Entscheidung diesen Spielraum überschreitet und daher nicht mehr vertretbar ist. Allein unter diesem Blickwinkel hat im weiteren Verfahren sowohl das erkennende wie das Rechtsmittelgericht die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu beurteilen (BGHSt 41, 30, 33 f.). (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 4. Dezember 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und den Angeklagten W. wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Verfahrensrüge Erfolg. Mit Recht beanstanden die Angeklagten, daß das Landgericht Erkenntnisse aus der Überwachung ihrer Telefonanschlüsse verwertet hat, ohne hinreichend geprüft zu haben, ob zum Zeitpunkt der Anordnung die Voraussetzungen einer Telefonüberwachung (§ 100a StPO) erfüllt waren.

1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

In den von der Staatsanwaltschaft Osnabrück unter den Geschäftszeichen 57 AR 5/99 und 57 AR 6/99 gegen die Angeklagten wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) geführten Ermittlungsverfahren hatte der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Osnabrück mit gleichlautenden Beschlüssen vom 13. Januar 1999 die Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs bezüglich je eines (Funk-)Telefonanschlusses der Angeklagten angeordnet. Die Begründung der Beschlüsse erschöpft sich zu der bestehenden Verdachtslage jeweils in dem Satz: "Der Beschuldigte ist verdächtig, mit Waffen u. a. Maschinenpistolen der Marken Kalaschnikow und Scorpion, welche unter die Bestimmungen des Kriegswaffenkontrollgesetzes fallen, Handel zu treiben."

Auf Grundlage dieser Beschlüsse wurden die Telefonanschlüsse vom 18. Januar bis 26. Februar 1999 (Angeklagter K. ) bzw. vom 18. Januar bis 1. März 1999 (Angeklagter W. ) überwacht und die geführten Telefonate aufgezeichnet.

Zu vorliegendem Strafverfahren gegen die Angeklagten hat das Landesgericht die Akten der genannten beiden Ermittlungsverfahren nicht beigezogen. In der Hauptverhandlung sind lediglich die beiden Beschlüsse vom 13. Januar 1999 verlesen und Abschriften den Verteidigerinnen der Angeklagten ausgehändigt worden. Auf die Ankündigung, die Bänder mit den aufgezeichneten Telefonaten durch Abspielen in Augenschein zu nehmen, haben die Angeklagten der Verwertung der Ergebnisse der Telefonüberwachungen widersprochen, weil gegen sie bei Erlaß der Beschlüsse vom 13. Januar 1999 kein auf bestimmte Tatsachen gründender Tatverdacht bestanden habe, der die Anordnung der Telefonüberwachung nach § 100 a Satz 1 Nr. 3, § 100 b StPO hätte rechtfertigen können. Die Beschlüsse seien daher rechtswidrig gewesen.

Diese Widersprüche hat das Landgericht durch Beschluß zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß bezüglich beider Angeklagter eine wirksame richterliche Anordnung nach §§ 100 a, 100 b StPO ergangen sei. Die Begründung der Beschlüsse vom 13. Januar 1999 enthielten eine entsprechend dem damaligen Stand der Ermittlungen hinreichende Bezeichnung der tatsächlichen Grundlagen eines Anfangsverdachts auf eine Katalogtat nach § 100 a StPO. Dies sei für eine Verwertung der Telefonüberwachung in vorliegendem Verfahren, das ebenfalls eine Katalogtat im Sinne des § 100 a StPO betreffe, ausreichend. Auf die Frage, ob überhaupt ein Tatverdacht bestanden habe, komme es in diesem Zusammenhang nicht an, zumal dieser sich jedenfalls hinsichtlich des Angeklagten K. auch bestätigt habe. Im folgenden sind die Tonbandaufzeichnungen mehrerer der überwachten Telefonate in der Hauptverhandlung abgespielt worden.

2. Die von beiden Angeklagten gegen diese Vorgehensweise des Landesgerichts erhobene Verfahrensrüge ist jeweils zulässig. Die für die revisionsrechtliche Bewertung der Rüge erforderlichen Verfahrenstatsachen sind - unter Berücksichtigung der hier vorliegenden Besonderheiten - in ausreichendem Umfang dargestellt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Beschlüsse vom 13. Januar 1999 nebst Begründung werden vollständig mitgeteilt (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Telefonüberwachung 1), ebenso die von den Angeklagten gegen die Verwertung der aufgezeichneten Telefonate erhobenen Widersprüche sowie der diese Widersprüche zurückweisende Beschluß der Strafkammer. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwaltes waren die Ergebnisse der Telefonüberwachung schon deswegen nicht im einzelnen vorzutragen, weil sich diese - soweit relevant - aus den Urteilsgründen ergeben.

3. Die Rügen sind auch begründet.

a) In einem rechtsstaatlichen Strafverfahren dürfen Erkenntnisse aus einer rechtswidrig angeordneten Telefonüberwachung nicht als Beweismittel verwertet werden. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen es an einer wesentlichen sachlichen Voraussetzung für die Maßnahme nach § 100 a StPO fehlt. So hat es die Unverwertbarkeit zur Folge, wenn der Verdacht einer Katalogtat des § 100 a Satz 1 StPO von vornherein nicht bestand (vgl. BGHSt 31, 304, 308 f.; 32, 68, 70; 41, 30, 31). Bei der Prüfung eines hinreichenden, auf bestimmte Tatsachen gestützten Tatverdachts und des Fehlens oder der Erschwernis anderer Ermittlungsmöglichkeiten räumt das Gesetz dem zur Entscheidung berufenen Ermittlungsrichter oder Staatsanwalt (§ 100 b Abs. 1 StPO) jedoch einen Beurteilungsspielraum ein. Als rechtsstaatswidrig - mit der Folge eines Verwertungsverbots - stellt sich die Anordnung der Überwachungsmaßnahme nur dann dar, wenn die Entscheidung diesen Spielraum überschreitet und daher nicht mehr vertretbar ist. Allein unter diesem Blickwinkel hat im weiteren Verfahren sowohl das erkennende wie das Rechtsmittelgericht die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu beurteilen (BGHSt 41, 30, 33 f.).

Hieran ist trotz teilweise kritischer Stimmen im Schrifttum festzuhalten (s. etwa Bernsmann NStZ 1995, 512; Störmer StV 1995, 653). Die Einhaltung der dargestellten Maßstäbe muß verfahrensrechtlich überprüfbar sein. Sie ist daher aktenmäßig zu dokumentieren. Aus diesem Grunde hält es der Senat für erforderlich, daß der - gemäß § 34 StPO zu begründende - ermittlungsrichterliche Beschluß, der die Überwachung der Telekommunikation anordnet (§ 100 b Abs. 1 Satz 1 StPO) oder bestätigt (§ 100 b Abs. 1 Satz 3 StPO), zumindest eine knappe Darlegung der den Tatverdacht begründenden Tatsachen und der Beweislage enthält, um die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu ermöglichen (Schäfer in LR 24. Aufl. § 100 b Rdn. 5; vgl. BGHSt 42, 103, 104 f. = NStZ 1997, 249 zu §§ 110 a, 110 b StPO; BVerfG NJW 2001, 1121, 1124 zu § 105 Abs. 1 StPO). Dabei kann in geeigneten Fällen auch eine konkrete Bezugnahme auf Aktenteile genügen. Die schriftliche Fixierung der Eingriffsvoraussetzungen gewährleistet zunächst dem Ermittlungsrichter eine bessere Eigenkontrolle; außerdem erleichtert sie auch den weiteren Verfahrensbeteiligten und in späteren Verfahrensabschnitten die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Überwachungsmaßnahme und damit der Verwertbarkeit der durch sie gewonnenen Beweise.

Für den erkennenden Richter gilt: Er hat die Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus der Überwachung von Telekommunikation nach obigen Maßstäben stets von Amts wegen zu prüfen, d. h. insbesondere auch zu untersuchen, ob die dem Ermittlungsrichter unterbreitete Verdachts- und Beweislage die Anordnung der Maßnahme vertretbar erscheinen ließ (BGHSt 41, 30, 34). Hat der Ermittlungsrichter den Anordnungs- oder Bestätigungsbeschluß mit Gründen versehen und werden von keinem Verfahrensbeteiligten Einwände erhoben, kann der erkennende Richter die Prüfung darauf beschränken, ob die ermittlungsrichterliche Entscheidung eine die Maßnahme nach § 100 a StPO begründende Verdachts- und Beweislage plausibel darlegt. Fehlt eine derartige Begründung, führt dies für sich nicht zur Unverwertbarkeit der aus der Überwachungsmaßnahme gewonnenen Beweise (vgl. BGHSt 33, 217, 223). In diesem Falle, aber auch wenn konkrete Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der Maßnahme vorgebracht werden, hat der Tatrichter vielmehr den Ermittlungsstand zum Zeitpunkt der ermittlungsrichterlichen Entscheidung eigenständig zu rekonstruieren und auf dieser Grundlage die Vertretbarkeit der Anordnung zu untersuchen. Dies erfordert eine Sichtung des Aktenbestandes, wie er sich dem Ermittlungsrichter bei dessen Entscheidung bot. Wurde die Maßnahme in einem anderen Verfahren angeordnet, sind daher die einschlägigen Akten soweit erforderlich beizuziehen und - zur Gewährung rechtlichen Gehörs - den Prozeßbeteiligten zur Kenntnis zu bringen. Sieht der Tatrichter hiervon ab, liegt hierin ein eigenständiger Rechtsfehler, der im Einzelfall zur Aufhebung des tatrichterlichen Urteils in der Revision führen kann.

b) So liegt es hier.

Zwar können die Angeklagten nicht mit Erfolg geltend machen, die Ergebnisse der gegen sie durchgeführten Telefonüberwachungsmaßnahmen seien unverwertbar gewesen, da mangels hinreichender Verdachtslage die Beschlüsse vom 13. Januar 1999 nicht hätten erlassen werden dürfen. Denn ein derartiger Rechtsfehler ist nicht erwiesen. Allein die mangelhafte Begründung der Beschlüsse führt nicht zur Unverwertbarkeit der Überwachungsergebnisse. Der Ermittlungsstand, auf dessen Grundlage der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Osnabrück entschieden hat, ist auch nicht bekannt, da es das Landgericht unterlassen hat, die Ermittlungsakten 57 AR 5 und 6/99 der Staatsanwaltschaft Osnabrück zum Verfahren beizuziehen. Damit fehlt die tatsächliche Grundlage für eine revisionsrechtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Überwachungsbeschlüsse. Jedoch dringen die Rügen der Angeklagten durch, soweit sie beanstanden, das Landgericht habe bei der Prüfung, ob die Aufzeichnungen der abgehörten Telefonate verwertbar seien, einen verkürzten und rechtlich unzutreffenden Maßstab angelegt. Die Ansicht des Landgerichts, die Beschlüsse vom 13. Januar 1999 enthielten eine "entsprechend dem damaligen Stand der Ermittlung ausreichende Bezeichnung der tatsächlichen Grundlagen eines Anfangsverdachts auf eine Katalogtat", trifft nicht zu. Vielmehr ist den Beschlüssen kein Anhaltspunkt zu entnehmen, woraus der Ermittlungsrichter den nach § 100 a Satz 1 StPO erforderlichen Verdacht hergeleitet hat. Das Landgericht hätte daher die Akten 57 AR 5 und 6/99 der Staatsanwaltschaft Osnabrück dahingehend auswerten müssen, ob nach dem Ermittlungsstand zum 13. Januar 1999 die Annahme des Ermittlungsrichters vertretbar war, gegen die Angeklagten bestehe der von § 100 a Satz 1 Nr. 3 StPO geforderte Verdacht eines Verstoßes gegen das KWKG. Dies hat das Landgericht unterlassen. Seine Begründung, hierauf komme es nicht an, weil sich der Verdacht jedenfalls gegen den Angeklagten K. bestätigt habe, verkennt, daß allein die Verdachtslage zum Zeitpunkt der ermittlungsrichterlichen Beschlüsse für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Anordnungen maßgeblich ist.

Auf diesem Rechtsfehler beruht die angefochtene Entscheidung. Das Landgericht hat aufgrund seines fehlerhaften Prüfungsansatzes die Verfahrenstatsachen, die für die Beurteilung der Verwertbarkeit der Überwachungsergebnisse maßgebend sind, nicht aufgeklärt und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Dies kann im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden, so daß auch die Revisionsbegründung hierzu nichts vorzutragen hatte (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Daher kann auch die Beruhensprüfung hier nicht an die Frage anknüpfen, ob die Überwachungsergebnisse tatsächlich verwertbar waren. Vielmehr ist allein maßgeblich, daß wegen der unzulänglichen Prüfung des Landgerichts die Unverwertbarkeit nicht ausgeschlossen ist. Sie ist daher bei der Prüfung des Beruhens zu unterstellen. Da das Landgericht seine Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten auch auf die Erkenntnisse aus den Überwachungen stützt, kann das angefochtene Urteil somit keinen Bestand haben.

Externe Fundstellen: BGHSt 47, 362; NJW 2003, 368; NStZ 2003, 215; StV 2003, 2; StV 2003, 208

Bearbeiter: Karsten Gaede