hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 309/01, Urteil v. 24.10.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 309/01 - Urteil vom 24. Oktober 2001 (LG Itzehoe)

Beweiswürdigung (denktheoretische Möglichkeit und vernünftige Zweifel); Zweifelsgrundsatz

§ 261 StPO

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 26. Januar 2001 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, gemeinsam mit dem Mitangeklagten S. die Filialleiterin einer Sparkasse in ihrer Wohnung überfallen zu haben, um sich in den Besitz der Schlüssel zum Tresor des Geldinstituts zu bringen und an das dort gelagerte Geld zu gelangen. Den Mitangeklagten S. hat das Landgericht wegen dieser Tat verurteilt. Es konnte sich aber nicht die erforderliche Überzeugung verschaffen, daß es sich bei dem Mittäter S. s um den Angeklagten gehandelt hat. Gegen den Freispruch richtet sich die auf Angriffe gegen die Beweiswürdigung gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten worden ist, bleibt ohne Erfolg.

Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht überwinden kann, so ist das durch das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Die revisionsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist. Insbesondere muß die Beweiswürdigung erschöpfend sein: Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Schließlich dürfen die Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewißheit nicht überspannt werden (st.Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 25).

Diesen Anforderungen entspricht das angefochtene Urteil. Hierauf hat der Generalbundesanwalt bereits in seiner Zuleitungsschrift zutreffend hingewiesen. Das Urteil beschränkt sich nicht auf eine Einzelbetrachtung der den Angeklagten belastenden Beweisanzeichen und zieht aus dem Umstand, daß dem Angeklagten ein Alibibeweis nicht gelungen ist, zu Recht keinen ihm nachteiligen Schluß. Die Strafkammer hat ausweislich ihrer den Mitangeklagten S. betreffenden Beweiswürdigung nicht übersehen, daß sich aus dem Inhalt des (abgehörten) Telefonats zwischen S. und dem Angeklagten vom 13. Juli 1999 Hinweise darauf ergeben, daß beide "bereits zuvor erfolgreich eine Tat in dieser Richtung durchgeführt hatten". Es begründet keinen Rechtsfehler, daß sie diese Ausführungen im Rahmen der den Angeklagten betreffenden Beweiswürdigung nicht ausdrücklich wiederholt. Dies gilt um so mehr, als die Strafkammer bereits bezüglich des Mitangeklagten S. zutreffend hervorgehoben hat, daß die Äußerungen in dem Telefonat auf eine frühere erfolgreiche Tat schließen lassen, für den verfahrensgegenständlichen - fehlgeschlagenen - Raubversuch also allenfalls von mittelbarer Beweiserheblichkeit sind.

Die Beanstandung der Staatsanwaltschaft, angesichts der Beweisanzeichen hätte sich das Landgericht die für die Verurteilung notwendige Gewißheit "verschaffen müssen", ersetzt die tatrichterliche Beweiswürdigung nur durch eine eigene und zeigt nicht auf, daß das Landgericht die Anforderungen an die Überzeugungsbildung zu hoch gesteckt hat. Dies gilt auch für die Erwägungen, mit denen das Landgericht das Ergebnis eines Schriftgutachtens gewürdigt hat. Die Sachverständige hatte einen am Tatort gefundenen Zettel mit einer tatbezogenen Aufschrift mit "sehr hoher Wahrscheinlichkeit" als vom Angeklagten gefertigt angesehen. Das Landgericht hat darauf abgehoben, daß die Schreibleistung damit keinen sicheren Rückschluß auf Urheberschaft des Angeklagten zuläßt. Dies stellt keinen Rechtsfehler dar. Die Sachverständige hatte für gutachterliche Schlußfolgerungen die Wahrscheinlichkeitsgrade "non liquet (nicht entscheidbar)", "wahrscheinlich", "mit hoher Wahrscheinlichkeit", "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" sowie "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" verwendet (UA S. 48). Die hier getroffene Bewertung durch die Sachverständige besagt lediglich, daß der Angeklagte - wenn auch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit - der Schriftverursacher sein kann; damit bleibt die nicht rein theoretische Möglichkeit eines anderen Täters erhalten (vgl. BGH NStZ 1982, 478), die im Zusammenhang mit den anderen Beweisanzeichen vom Tatrichter zu würdigen ist. Dies hat das Landgericht getan.

Bearbeiter: Karsten Gaede