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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 276/01, Urteil v. 14.11.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 276/01 - Urteil vom 14. November 2001 (LG Osnabrück)

Gefährliche Körperverletzung; Versuchter Mord; Beweiswürdigung; Überzeugungsbildung Anwendungsbereich der Rechtsprechung des BGH zum Tötungsvorsatz bei gefährlichen Körperverletzungshandlungen

§ 224 StGB; § 212 StGB; § 15 StGB; § 261 StPO; § 211 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu möglichen Rückschlüssen aus der Gefährlichkeit der unmittelbaren Tathandlung auf den Tötungsvorsatz ist auf spontane, oft nur aus einer einzigen äußerst gefährlichen Gewalthandlung bestehende Angriffe bezogen. Hier ist vom Tatrichter eine umfassende Würdigung aller Umstände gefordert, damit nicht vorschnell auf den - allerdings naheliegenden - bedingten Tötungsvorsatz gefolgert wird. Diese Rechtsprechung ist aber nicht auf Fälle zu übertragen, die ihr Gepräge durch drei hintereinander erfolgte, verschiedenartige und jeweils lebensgefährliche Angriffe sowie durch eine Vor- und Nachtatsituation erhalten, bei der eine erhebliche Anzahl von Beweisanzeichen für einen Tötungswillen des Angeklagten spricht.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 5. März 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision der Staatsanwaltschaft greift die Beweiswürdigung mit sachlichrechtlichen Beanstandungen und dem Ziel einer Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes an. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

Kann der Tatrichter Zweifel daran, daß der Angeklagte mit Tötungsvorsatz gehandelt hat, nicht überwinden, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Insbesondere muß die Beweiswürdigung erschöpfend sein. Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Rechtlich zu beanstanden sind die Beweiserwägungen ferner dann, wenn sie erkennen lassen, daß das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Oberzeugungsbildung gestellt und dabei nicht beachtet hat, daß eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewißheit nicht erforderlich ist, vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zuläßt (st.Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 und Überzeugungsbildung 25). An diesen Maßstäben gemessen hat das angefochtene Urteil keinen Bestand.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte seine Ehefrau bei früheren Auseinandersetzungen geschlagen, gewürgt und mit einer Pistole bedroht. Nachdem die Ehefrau deshalb unter Mitnahme von zwei der drei Kinder die Ehewohnung verlassen hatte, nahm der Angeklagte eine Beziehung mit der Verkäuferin G. auf und fuhr mit dieser in den Urlaub. Als die Ehefrau im Interesse der Kinder wieder in den Haushalt zurückkehrte, gab es alsbald wieder Streitigkeiten. Der Angeklagte schlug seine Ehefrau zwar nicht mehr, er blieb aber öfter über Nacht von zuhause weg, ohne den Grund dafür zu nennen. Am Tag vor der Tat lieh sich der Angeklagte von der Cousine der Frau G. einen Pkw Opel Astra, den er rückwärts in seiner Garage einparkte. Von der Garage führte ein Zugang in den Keller, wo der Angeklagte seit einiger Zeit Maschinen zur Herstellung von Teigwaren aufbewahrt hatte. Als am Abend des Tattages die Kinder zu Bett gegangen waren, bat der Angeklagte seine Ehefrau erstmals um einen Rat für die Verwendung dieser Maschinen. Auf diese Weise veranlaßte er sie, mit ihm in den Keller zu gehen. Das Fenster des Kellerraums, in dem die Maschinen standen, war mit einer Badezimmermatte, die mittels Klebestreifen am Fensterrahmen befestigt war, verhangen, so daß man nicht hindurchsehen konnte. In dem Kellerraum befand sich - etwa unter dem Fenster - eine ca. 30 mal 40 Zentimeter breite und ca. 30 Zentimeter tiefe, mit Wasser gefüllte Plastikwanne. Als die Ehefrau nach kurzem Gespräch den Kellerraum verlassen hatte und auf den Gang des Kellers getreten war, schlug ihr der Angeklagte völlig überraschend von hinten mit einem festen Gegenstand auf den Hinterkopf, so daß sie zu Boden fiel und benommen war. Der Angeklagte zog sie in den Kellerraum zurück, nahm den ursprünglich außen steckenden Schlüssel mit nach innen und schloß den Kellerraum von innen ab. Anschließend drehte er seine Ehefrau auf den Bauch und legte sie vor die Plastikwanne. Sodann drückte er ihren Kopf mit dem Gesicht nach unten hinein, so daß sie keine Luft mehr bekam. Der Ehefrau gelang es, sich aus dem Griff zu befreien, den Kopf zu heben, zu atmen und zu schreien, jedoch drückte der Angeklagte ihren Kopf immer wieder - insgesamt dreimal - nach unten. Schließlich schaffte es die Ehefrau, die Plastikwanne umzukippen und sich auf den Rücken zu drehen. Daraufhin legte sich der Angeklagte auf sie und drückte ihr eine Hand so vor das Gesicht, daß sie weder durch die Nase noch durch den Mund atmen konnte, während er mit der anderen Hand den Körper der Frau zu fixieren versuchte. In Todesangst trat die Ehefrau mit den Beinen um sich und versuchte, durch Drehen ihren Kopf freizubekommen. Als sie dadurch wieder Luft bekam, schrie sie mehrmals laut. Der Angeklagte ließ seine Ehefrau erst los, als er bemerkte, daß der Sohn, von den Schreien der Mutter alarmiert, von außen an der verschlossenen Kellertüre rüttelte. Der Angeklagte sagte leise zu seiner Ehefrau "Wir haben uns nur gestritten" und gab auch dem Sohn gegenüber diese Erklärung ab. Während die Ehefrau mit dem Sohn den Keller verließ, versuchte der Angeklagte, das ausgelaufene Wasser aufzuwischen, und räumte die zerbrochene Plastikwanne beiseite. Sodann verschloß er die Tür zum Kellerabgang und nahm den Schlüssel an sich. Den später eintreffenden Polizeibeamten verweigerte er die Herausgabe des Schlüssels, so daß die Tür mit einem Dietrich geöffnet werden mußte.

2. Daß sich das Landgericht aufgrund dieser rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht von einem versuchten Tötungsdelikt überzeugen konnte, beruht auf mehreren Rechtsfehlern bei der Beweiswürdigung.

a) Das Landgericht hat bei der Würdigung der Tathandlungen einen falschen Maßstab angelegt. Es hat - sachverständig beraten - ausgeführt, daß sowohl ein Schlag auf den Hinterkopf, als auch das Hineindrücken des Kopfes in die mit Wasser gefüllte Wanne und das Zuhalten von Mund und Nase generell zum Töten geeignete Handlungen sind. Sodann hat es darauf abgehoben, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedürfe auch bei gefährlichen Gewalthandlungen die Annahme eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes einer umfassenden Gesamtwürdigung.

Abgesehen davon, daß das Landgericht diese Gesamtwürdigung gerade nicht vorgenommen hat, ist zu besorgen, daß es diese Rechtsprechung mißverstanden hat. Die vom Landgericht zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs befassen sich mit möglichen Rückschlüssen aus der Gefährlichkeit der unmittelbaren Tathandlung auf den Tötungsvorsatz. Bei spontanen, oft nur aus einer einzigen äußerst gefährlichen Gewalthandlung bestehenden Angriffen hat der Bundesgerichtshof vom Tatrichter eine umfassende Würdigung aller Umstände gefordert, damit nicht vorschnell auf den - allerdings naheliegenden - bedingten Tötungsvorsatz gefolgert wird. Die dieser Rechtsprechung zugrundeliegenden Fälle sind mit dem vorliegenden Geschehen nicht vergleichbar. Dieses erhält sein Gepräge durch drei hintereinander erfolgte, verschiedenartige und jeweils lebensgefährliche Angriffe sowie durch eine Vor- und Nachtatsituation, bei der eine erhebliche Anzahl von Beweisanzeichen für einen Tötungswillen des Angeklagten spricht.

b) Soweit das Landgericht Bedenken gegen die Annahme eines Tötungsvorsatzes daraus ableitet, daß es der Ehefrau dreimal gelang, den Kopf aus der mit Wasser gefüllten Wanne zu heben und Luft zu holen, und daß sie es später, als der Angeklagte ihr Mund und Nase mit der Hand zuhielt, schaffte, durch Abwehrversuche Atem zu bekommen, vermag sich deren Berechtigung bei lebensnaher Betrachtung nicht zu erschließen. Dieses Geschehen belegt ohne weiteres, daß die Ehefrau sich gegen den drohenden Erstickungstod gewehrt hat. Die Deutung des Landgerichts, es spreche dafür, daß der Angeklagte den Eintritt des Erstickungstods nicht gewollt habe, leuchtet hingegen keineswegs ein und läßt völlig offen, welchen Sinn denn dann die Mehrzahl der Angriffe gehabt haben sollen. Dazu läßt das Urteil jeden Versuch einer Erklärung vermissen.

c) Zuletzt hat das Landgericht die einzelnen belastenden Tatsachen jeweils nur einer isolierten und teilweise verkürzten Betrachtung unterzogen.

So wird die Verdunklung des Kellerfensters mit der Badematte als mögliches belastendes Indiz erkannt; die Kammer meint aber, keine Schlüsse zum Nachteil des Angeklagten daraus ziehen zu können, weil sich aus der Aussage der Ehefrau, eine Woche vorher habe die Badematte noch nicht vor dem Fenster gehangen, nicht zwingend darauf schließen lasse, der Angeklagte habe die Matte unmittelbar vor der Tat dort aufgehängt. Dabei verkennt die Kammer, daß die Überzeugung von der Schuld nicht allein aufgrund zwingender Rückschlüsse gewonnen werden kann und auch ein Aufhängen der Matte durch den Angeklagten in nicht unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat ein belastendes Indiz bleibt.

Gleiches gilt für das Vorhandensein der mit Wasser gefüllten Plastikwanne im Kellerraum, das nach Auffassung der Kammer mit der Sparsamkeit des Angeklagten erklärt werden kann. Auch wenn nach Meinung der Kammer deshalb bei isolierter Betrachtung aus diesem Umstand keine dem Angeklagten nachteiligen Schlüsse gezogen werden könnten, behält er seine Bedeutung als Indiz bei der Gesamtbetrachtung.

Daß der Angeklagte "seine Frau regelrecht in den Keller gelockt hat" in einer Weise, "daß die Kinder von dem Geschehen im Keller offenbar nichts mitbekommen sollten" (UA S. 42) , hat der Tatrichter zwar als belastendes Indiz erkannt, es im Rahmen der Beweiswürdigung aber nicht nochmals erwähnt, so daß unklar bleibt, ob und aus welchem Grund er ihm keine weitere Bedeutung beimessen zu können glaubte.

Das Verhältnis des Angeklagten zu Frau G. sieht das Landgericht nicht als mögliches Motiv für eine Tötung an, weil es nach Aussage von Frau G. nach der Rückkehr der Ehefrau in den Haushalt abgekühlt gewesen sei. Dabei unterläßt das Landgericht aber die sich aufdrängende Auseinandersetzung mit dem Umstand, daß der Angeklagte die Nacht zum Tatvortag bei Frau G. verbracht hatte.

Eine diese Umstände zusammenfassend wertende Betrachtung fehlt in der Beweiswürdigung. Diese ist vor allem dann geboten, wenn einzelne Indizien für sich alleine zur Überzeugungsbildung des Tatrichters nicht ausreichen. Auf ihrem Fehlen kann das Urteil beruhen. Es ist nicht auszuschließen, daß sich das Landgericht bei einer Gesamtbetrachtung vom Tötungsvorsatz des Angeklagten überzeugt hätte. In einer solchen Gesamtwürdigung wäre auch der Umstand zu erwägen, daß der Angeklagte am Tatvortag einen fremden, ihm sonst nicht zuzuordnenden Pkw in der Garage - mit der Heckklappe zum Kellerabgang - abgestellt hat, was als Vorbereitung zum Abtransport der Leiche angesehen werden könnte. Ob dies dann noch, wie es das angefochtene Urteil meint, als "bloße Spekulation" abgetan werden kann, hat der neue Tatrichter zu entscheiden.

Bearbeiter: Karsten Gaede