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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 134/01, Beschluss v. 27.06.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 134/01 - Beschluß v. 27. Juni 2001 (LG Verden)

Notwehr; Putativnotwehr; Erlaubnisirrtum; Erlaubnistatbestandsirrtum; Verteidigungsabsicht (Tatsachenfeststellung); Erforderlichkeit (Warnung vor Schußwaffeneinsatz); Einziehung

§ 32 StGB; § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 17 StGB; § 74 Abs. 1 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 29. November 2000 mit den Feststellungen aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie eine Vorderschaftrepetierflinte und eine Pistole eingezogen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.

Die Strafkammer hat folgenden Sachverhalt festgestellt.

Der Angeklagte, ein passionierter Jäger und Waffensammler, betreibt in seinem Heimatdorf eine Gaststätte, in die bereits zweimal eingebrochen worden war. Am 21. September 1999 wurde er nachts gegen 3.30 Uhr von seiner Lebensgefährtin, die zusammen mit ihm die Gastwirtschaft geführt hatte, mit dem Hinweis geweckt, "die Alarmanlage geht das dritte Mal, komm in die Pötte, die sind schon drin". Der Angeklagte zog sich an, ergriff eine Vorderschaftrepetierflinte und eine Pistole je mit Munition, gab seiner Lebensgefährtin den Auftrag, die Polizei telefonisch zu verständigen, und begab sich zu der etwa fünfzig Meter von seinem Wohnhaus entfernten Gaststätte, die er dann aus dem Schutz eines Bushaltehäuschens beobachtete. Er erkannte, daß sich im Inneren der Schein einer Taschenlampe bewegte, und dachte "die haben wieder Bargeld und Zigaretten geholt, jetzt sind die fertig". Als sich der Lichtschein zum südlichen Seiteneingang bewegte, verließ er mit der mittlerweile durchgeladenen Schrotflinte das Bushäuschen, um sich in eine bessere Schußposition zu bringen. Sowohl der Bereich seines Standplatzes, als auch der des Seiteneingangs waren "stockdunkel". Als sich der Lichtschein aus der Türe heraus und in seine Richtung bewegte, gab er ohne Vorwarnung mit der Schrotflinte einen nahezu waagrechten Schuß im Hüftanschlag in Richtung des Lichtscheins ab, um den vermeintlichen Einbrecher zu treffen. Tatsächlich handelte es sich um seine Lebensgefährtin, die ohne sein Wissen die Wohnung verlassen und von ihm unbemerkt die Gaststätte, möglicherweise durch einen weiteren Seiteneingang, betreten hatte. Sie brach infolge unglücklicher Treffer in Lunge, Brustschlagader und Herzbeutel tödlich getroffen zusammen. Danach gab der Angeklagte noch einen weiteren Schrotschuß, sowie drei Schüsse mit seiner Pistole in die Luft ab.

Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, daß er mit den Schüssen niemanden habe treffen, sondern nur "die warnen und wegjagen" wollen; auch den ersten Schuß habe er in die Luft gezielt. Das Landgericht hat demgegenüber festgestellt, daß der erste abgegebene Schrotschuß auf den vermeintlichen Einbrecher gezielt war, um diesen zu verletzen, wenn auch nicht zu töten. Als erfahrener Jäger und Waffenkundiger habe er den tödlichen Erfolg des Schusses vorhersehen können.

1. Die Verfahrensrügen des Angeklagten sind offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Da die Feststellungen zum äußeren Tathergang ohne Rechtsfehler getroffen worden sind, hat der Senat diese aufrechterhalten.

2. Dagegen sind die Ausführungen der Strafkammer zur Ablehnung von Putativnotwehr nicht frei von rechtlichen Bedenken.

a) Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten, er habe den oder die Einbrecher nur warnen und wegjagen wollen, für widerlegt erachtet und statt dessen angenommen, er habe den vermeintlichen Einbrecher treffen wollen, um ihm einen "Denkzettel" zu verpassen. Wegen dieser "Feststellungen" (UA S. 34) scheide auch die Absicht aus, mit dem Schußwaffeneinsatz Eigentum zu verteidigen. Solche Feststellungen, die die Denkzettelversion des Landgerichts belegen könnten, sind indes den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr erweist sich dieses angenommene Motiv als eine bloße, durch Tatsachen nicht untermauerte Behauptung.

Aus der - insoweit widerlegten - Einlassung des Angeklagten kann dazu nichts entnommen werden, da er einen gezielten Schuß überhaupt bestritten hat und folglich ein Motiv für die Verletzung des vermeintlichen Einbrechers nicht benennen konnte. Da sich der Angeklagte selbst nicht angegriffen gefühlt hatte, scheidet die Verteidigung der eigenen Person als Motiv aus. Vielmehr liegt es nach den Tatumständen am nächsten, daß der Angeklagte mit dem gezielten Schuß sein Eigentum verteidigen und verhindern wollte, daß der Einbrecher mit der Beute entkommt. Die Strafkammer hat - abgesehen von der lediglich behaupteten Denkzettelabsicht - keine Tatsachen angeführt, die gegen die naheliegende Absicht der Eigentumsverteidigung sprechen könnten. Es hätte sich dabei mit dem für ein solches Motiv sprechenden Umstand auseinandersetzen müssen, daß der Angeklagte an dem Eingang zu seinem Wohnhaus ein Schild mit der Abbildung eines von einer Faust gehaltenen Trommelrevolvers und der Aufschrift "Ich schütze mein Eigentum selbst" angebracht hat. Umgekehrt hätte die Strafkammer bei der Erwägung einer Denkzettelabsicht erörtern müssen, daß der Angeklagte zuvor seine Lebensgefährtin gebeten hatte, die Polizei zu verständigen. Dieses Herbeirufen polizeilicher Hilfe steht nicht ohne weiteres in Einklang damit, daß er gleichwohl in einer Art Selbstjustiz den sich bereits entfernenden Einbrecher im Zeitpunkt der bevorstehenden Ankunft der Polizei bewußt und ohne Rechtfertigung verletzt und damit eine offensichtliche Straftat begeht.

b) Auch die weitere Erwägung der Strafkammer, es fehle darüber hinaus an der Erforderlichkeit einer sofortigen gezielten Schußabgabe, weil der Angeklagte zunächst den vermeintlichen Einbrecher hätte anrufen und den Schußwaffeneinsatz androhen müssen, ist nicht frei von rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hätte dabei erörtern müssen, weiche Vorstellungen der Angeklagte dazu hafte und ob er bei den vorgestellten Tatumständen davon ausgehen konnte, durch einen Warnruf noch die erstrebte Verteidigung seines Eigentums erreichen zu können. Dabei hätte es sich mit dem Umstand auseinandersetzen müssen, daß es im Bereich des Seiteneingangs so dunkel war, daß der Angeklagte nur den Schein der Taschenlampe, aber nicht einmal die Umrisse einer Person erkennen konnte, weshalb er auch mit mehreren Einbrechern gerechnet hatte. Ferner hätte bedacht werden müssen, ob der Angeklagte nicht deswegen eine sofortige Schußabgabe für erforderlich halten konnte, weil bei einem Warnruf der vermutete Einbrecher die Taschenlampe löschen und im Dunkel der Nacht hätte verschwinden können, ohne daß der Angeklagte dann noch die Chance gesehen hätte, sein Eigentum wirksam zu verteidigen.

3. Das Landgericht hat die Voraussetzungen der Einziehung der Pistole nicht dargelegt Da die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat in der Abgabe eines gezielten Schusses mit der Schrotflinte zu sehen ist und er die nachfolgenden drei Schüsse mit der Pistole nach den Feststellungen in die Luft gefeuert hatte, um Hilfe berbeizuholen, wurde die Pistole weder zur Begehung einer Straftat gebraucht, noch kann den Feststellungen entnommen werden, daß sie zu ihr bestimmt gewesen wäre. Damit fehlt es an. den Voraussetzungen einer Einziehung nach § 74 Abs. 1 StGB.

Externe Fundstellen: NStZ 2001, 590

Bearbeiter: Karsten Gaede