hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 156/00, Urteil v. 28.06.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 156/00 - Urteil v. 28. Juni 2000 (LG Düsseldorf)

Annahme von Vorsatz beim Vollrausch; Entsprechende Anwendung der Rücktrittsregeln bei der versuchten Rauschtat

§§ 323a; 16 Abs. 1; 24 Abs. 1 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 6. Oktober 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer auf den Strafausspruch beschränkten Revision die Verletzung sachlichen Rechts. Beide Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg. Auf die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.

I.

Nach den Feststellungen hatte zwischen dem Angeklagten und der Zeugin M. - einer Arbeitskollegin - eine Liebesbeziehung bestanden. Nachdem sich die Zeugin in einen anderen Mann verliebt hatte, beendete sie das Verhältnis mit dem Angeklagten. In den folgenden Wochen versuchte der damals fast ständig unter Alkoholeinfluß stehende Angeklagte bei vielen Gesprächen, die Frau zu einer Fortsetzung der Beziehung zu überreden.

Am Tag vor der Tat kaufte der Angeklagte in der Gegend des Düsseldorfer Hauptbahnhofs von einer unbekannten Person eine Pistole 6,35 mm Browning mit einer Schachtel Munition. In der folgenden Nacht schlief der Angeklagte nicht, sondern trank erhebliche Mengen Alkohol. Er sprach immer wieder auf den Anrufbeantworter der Zeugin, wobei er ihr seine Liebe gestand sowie seine Verzweiflung äußerte. Am frühen Morgen ließ er sich zu seiner Arbeitsstelle fahren, an der er seinen Alkoholkonsum fortsetzte. In der Folgezeit warf der Angeklagte bei einem Gespräch der Zeugin vor, sie zerstöre die gemeinsame Zukunft. Kurze Zeit später betrat der Angeklagte wortlos deren Büro und gab aus einer Entfernung von ca. 1,5 bis 2m zwei Schüsse aus seiner Pistole auf sie ab, die sie im Brustbereich trafen und zu lebensgefährlichen Verletzungen führten. Nach den Schüssen rannte die Geschädigte schreiend aus dem Büro. Der apathisch wirkende Angeklagte, dessen Steuerungsfähigkeit wegen einer maximalen Blutalkoholkonzentration von ca. 3,8 %o möglicherweise aufgehoben war, ließ sich widerstandslos entwaffnen und festnehmen.

II. Revision des Angeklagten.

Der Angeklagte beanstandet mit der Sachrüge die Feststellung der Strafkammer, er habe sich vorsätzlich in einen Vollrausch versetzt und in diesem Zustand einen versuchten Totschlag begangen.

1. Die Begründung, mit der das Landgericht einen vorsätzlichen Vollrausch bejaht hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Die Strafkammer hat die Verurteilung wegen vorsätzlichen Vollrausches damit begründet, der alkoholgewöhnte Angeklagte habe mit zumindest bedingtem Vorsatz gehandelt, da er damit gerechnet haben müsse, daß vor allem der weitere erhebliche Alkoholkonsum am Morgen des Tattages zum Verlust seiner Kontroll- und Steuerungsfähigkeit führen würde (vgl. UA S. 28).

Die Wertung des Tatrichters, der Angeklagte habe sich zumindest bedingt vorsätzlich in den schweren Rauschzustand versetzt, findet in den Urteilsfeststellungen keine ausreichende Stütze. Die Formulierung, mit der das Landgericht den bedingten Vorsatz bejaht, belegt lediglich Fahrlässigkeit. Bedingt vorsätzlich im Sinne des § 323 a StGB handelt, wer es bei dem Genuß von Rauschmitteln für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, daß er sich dadurch in einen Rauschzustand versetzt, der seine Einsichtsfähigkeit oder sein Hemmungsvermögen jedenfalls erheblich vermindert, wenn nicht ganz ausschließt (vgl. BGHR StGB § 323 a I Vorsatz 2; Cramer in Schönke/ Schröder, StGB 25. Aufl. § 323 a Rdn. 10 m. w. Nachw.). Zu den Vorstellungen des alkoholgewöhnten Angeklagten über die Auswirkungen seines Alkoholkonsums läßt sich dem Urteil auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nichts entnehmen. In ihnen wird die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der Fahrlässigkeit nicht erörtert. Auch legt das Landgericht nicht dar, auf welche Umstände es seine Überzeugung stützt, der Angeklagte habe bedingt vorsätzlich gehandelt.

In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, daß es für die Abgrenzung des bedingt vorsätzlichen von dem fahrlässigen Sichberauschen darauf ankommen kann, in welchem Zustand sich der Angeklagte befand, als er damit begann, an seiner Arbeitsstelle noch 0,6 bis 0,8 Liter Korn zu konsumieren (UA S. 18), insbesondere wie hoch zu diesem Zeitpunkt seine maximale Blutalkoholkonzentration war.

2. Im übrigen weist der Senat für die neue Hauptverhandlung noch auf folgendes hin:

In dem angefochtenen Urteil ist die vom Angeklagten im Rausch begangene Tat nicht fehlerfrei behandelt worden. Angesichts der erheblichen Alkoholisierung versteht sich der natürliche Tötungsvorsatz nicht von selbst (vgl. Cramer aaO, § 323 a Rdn. 17 m. w. Nachw.; Tröndle/ Fischer, StGB 49. Aufl. § 323 a Rdn. 13).

Weiterhin drängen die bisher getroffenen Feststellungen nach einer Erörterung des Rücktritts von dem im Rausch begangenen versuchten Totschlag. Denn nach diesen Feststellungen ist es nicht ausgeschlossen, daß der Angeklagte, der die Pistole schußbereit "aufmunitioniert" mit sich führte, freiwillig davon Abstand genommen hat, weiter auf die Geschädigte zu schießen. Auch wenn bei einem Vollrausch dem Täter die Herbeiführung des Rausches und nicht die im rauschbedingten Zustand begangene rechtswidrige Tat zum Vorwurf gemacht wird, so sind dennoch die Bestimmungen über den strafbefreienden Rücktritt analog anzuwenden, wenn der mit natürlichem Vorsatz handelnde Täter vom Versuch der Rauschtat freiwillig zurücktritt (BGHR StGB § 323 aI Rücktritt 1; BGH NStZ 1994, 131 mit Anm. Kusch). In dem angefochtenen Urteil fehlen Ausführungen zu der für die Prüfung eines strafbefreienden Rücktritts entscheidenden Frage, welche Vorstellungen sich der Angeklagte unmittelbar nach den Schüssen von den Verletzungen des Opfers gemacht hat, insbesondere, ob er zu diesem Zeitpunkt von deren tödlicher Wirkung ausgegangen ist ("Rücktrittshorizont" vgl. BGHSt 31, 170, 175; 35, 90, 93; BGHR StGB § 24 I Satz 1 Versuch, unbeendeter 16, 17 und 31).

Falls ein strafbefreiender Rücktritt von dem im Rausch begangenen versuchten Totschlag vorliegen sollte, käme als Rauschtat eine gefährliche Körperverletzung in Betracht (§ 223 a Abs. 1 StGB a. F.). Dies ist für die Strafzumessung von Bedeutung. Zwar darf die im Rausch begangene Tat als solche dem Angeklagten nicht vorgeworfen werden, weil er insoweit ohne Schuld gehandelt hat; jedoch dürfen die tatbezogenen Merkmale der Rauschtat, wie Art, Umfang, Schwere und Gefährlichkeit oder Folgen dieser Tat bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden (BGH NStZ 1993, 32, 33).

Im übrigen ist in Fällen wie hier, in denen die Schuldunfähigkeit des Täters nach dem Zweifelssatz lediglich nicht ausgeschlossen werden kann, dieser also möglicherweise nur erheblich vermindert schuldfähig war, § 323 a Abs. 2 StGB zu beachten, so daß bei einer gefährlichen Körperverletzung als Rauschtat gemäß § 223 a StGB a. F., §§ 21, 49 Abs. 1 StGB eine Herabsetzung des Strafrahmens auf drei Jahre und neun Monaten Freiheitsstrafe in Betracht kommt (BGH NJW 1992, 1519, 1520; Cramer aaO, § 323 a Rdn. 28 m. w. Nachw.).

III. Revision der Staatsanwaltschaft.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat zum Strafausspruch Erfolg.

Gegen den Strafausspruch bestehen schon deshalb durchgreifende rechtliche Bedenken, weil die Strafkammer den Umstand, daß der Angeklagte einen Tag vor der Tat unerlaubt die Tatwaffe erworben und dadurch eine Straftat nach § 53 Abs. 1 Nr. 3a. a) WaffG begangen hatte, weder bei der Strafzumessung noch bei der Prognoseentscheidung im Rahmen des § 56 Abs. 1 StGB erkennbar berücksichtigt hat. Das Waffendelikt wurde auf Grund des Geständnisses des Angeklagten vom Landgericht festgestellt. Dessen vorläufige Einstellung durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 154 a StPO steht seiner Berücksichtigung bei der Strafzumessung nach einem gerichtlichen Hinweis entsprechend § 265 Abs. 4 StPO nicht entgegen (vgl. BGH NStZ 1983, 20, 21; Kleinknecht/ Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 154 a Rdn. 2).

Insbesondere für die Prüfung der Sozialprognose des Angeklagten ist das Waffendelikt von Bedeutung. Denn entgegen den Ausführungen der Strafkammer liegt die letzte Straftat nicht schon mehrere Jahre zurück, der Angeklagte machte sich vielmehr nur einen Tag vor dem hier abgeurteilten Tatgeschehen und unabhängig von dem, dem Vollrausch zugrundeliegenden Geschehen strafbar. Die Staatsanwaltschaft beanstandet in diesem Zusammenhang zudem zu Recht, daß sich das Landgericht lediglich mit der Gefahr der Wiederholung von Gewaltdelikten auseinandergesetzt hat, während § 56 Abs. 1 StGB die Erwartung voraussetzt, der Verurteilte werde künftig insgesamt keine Straftaten, also auch keine solche außerhalb der Gewaltkriminalität, mehr begehen.

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2001, 15

Bearbeiter: Rocco Beck