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Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 603/98, Beschluss v. 27.01.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 603/98 - Beschluss vom 27. Januar 1999 (LG Bad Kreuznach)

Meineid, fahrlässiger Falscheid, Vorsatz, Beweiswürdigung

§ 154 StGB; § 163 StGB; § 16 Abs. 1 StGB; § 15 StGB; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Feststellung der subjektiven Tatseite erfordert bei Aussagedelikten die genaue Feststellung des tatsächlichen Gehalts der Behauptungen, wobei der gesamte Kontext der Aussage mitsamt allen denkbaren Inhalten einzubeziehen ist.

2. Auch objektiv falsche Angaben stellen allenfalls ein Indiz für eine bewußt falsche Aussage dar. Gegen vorsätzliches Handeln kann insbesondere sprechen, daß es dem Aussagenden in der konkreten Situation darauf ankam, zu einer anderen als der objektiv falsch beantworteten Frage Stellung zu beziehen, und er zu dieser nur bei Gelegenheit jener falsch aussagte, ohne daß dieser Angabe nach den Umständen der Aussagesituation Bedeutung zukam.

3. Zu den notwendigen tatrichterlichen Feststellungen gehört bei der Würdigung von möglichen Aussagedelikten im Rahmen von Zivilverfahren insbesondere auch das Beweisthema, wie es sich aus dem Beweisbeschluß ergibt.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 30. Juni 1998, soweit er verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Bad Kreuznach zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Meineids zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt; vom Vorwurf der Vergewaltigung hat es ihn freigesprochen.

Seine Revision, mit der er Verletzung sachlichen Rechtes rügt, hat Erfolg. Der Schuldspruch wegen Meineides hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

II.

Den Feststellungen zufolge hatte der Angeklagte, der Steuerberater ist, 1988 in Berlin die Zahnärztin R. kennengelernt und war 1989 mit ihr zusammengezogen. Als er im August 1990 Zweigstellenleiter einer Steuerberatungsgesellschaft in Simmern wurde, veräußerte Frau R. mit seiner Hilfe ihre Berliner Zahnarztpraxis und folgte ihm Mitte Dezember 1990. Der Angeklagte pachtete für sie eine Zahnarztpraxis in Simmern. Beide lebten dort in einer Wohnung zusammen. Am 19. November 1991 zog der Angeklagte jedoch aus und wandte sich einer anderen Frau zu. Dies führte zu einem tiefgreifenden Zerwürfnis und in dessen Folge zu einer Vielzahl wechselseitiger Zivilklagen und Strafanzeigen.

Der Zeuge K. hatte Schreiner- und Innenausbauarbeiten in den Räumen der gepachteten Zahnarztpraxis ausgeführt. Er nahm zunächst den Angeklagten auf Zahlung des Werklohns von 9.761,50 DM nebst Zinsen in Anspruch; diese Klage wurde abgewiesen, da nicht der Angeklagte Vertragspartner sei, sondern Frau R.. Als K. daraufhin Frau R. verklagte, wurde der Angeklagte am 16. März 1994 vor dem Landgericht Bad Kreuznach als Zeuge vernommen; er sagte aus und bekräftigte seine Aussage mit dem Eid.

III.

Das Landgericht ist überzeugt, daß der Angeklagte bei dieser Aussage in drei Punkten vorsätzlich und unrichtige Angaben gemacht habe; diese Überzeugung wird jedoch von den Feststellungen und der ihnen zugrundeliegenden Beweiswürdigung nicht getragen. Im einzelnen gilt:

1. Der Angeklagte hat im Rahmen seiner Vernehmung bekundet, die Berliner Praxis von Frau R. sei vollkommen überschuldet gewesen, und zwar mit sehr hohen Beträgen. Die Strafkammer hält diese Angabe für objektiv falsch. Sie bezieht sich hierfür auf das Sachverständigengutachten des Steuerberaters und Wirtschaftsprüfers F. Dieser hatte ausgeführt, das negative Betriebsvermögen der Praxis habe zum 31. Dezember 1990 zwar 308.227,35 DM betragen, bei "isolierter Betrachtung" sei also eine Überschuldung gegeben. Doch müßten auch folgende Posten in Rechnung gestellt werden:

a) 100.000 DM als Wert einer Lebensversicherung, die Frau R. zum Zwecke der Absicherung ihrer Rückzahlungsverpflichtungen aus dem für die Praxiseröffnung aufgenommenen Kredit abgeschlossen habe,

b) 60.000 DM als Wert einer Lebensversicherung, die als Sicherung für einen Überziehungskredit in Höhe von 80.000 DM abgetreten worden sei,

c) 160.227 DM als der durch den Praxisverkauf erzielte Gewinn, in dem sich der "ideelle Praxiswert" realisiert habe und

d) der (nicht bezifferte) "Zukunftserfolgswert der Arbeitskraft eines Freiberuflers", der Schulden, anders als eine im technischen Sinne überschuldete Kapitalgesellschaft, künftig abarbeiten könne.

Aus diesem Gutachten folgert die Strafkammer, daß keine Überschuldung vorgelegen und der Angeklagte, als Steuerberater mit allen wesentlichen wirtschaftlichen Daten von Frau R. vertraut, dies auch gewußt, also falsch ausgesägt habe.

Diese Begründung ist jedoch nicht geeignet, den Schluß auf eine insoweit falsche Aussage des Angeklagten zu tragen. Das Landgericht hat es zu Unrecht versäumt, den tatsächlichen Gehalt seiner Behauptung im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dieser hätte nicht isoliert, sondern aus dem Kontext seiner Aussage bestimmt werden müssen. Wäre dies geschehen, so hätte sich möglicherweise ergeben, daß der Angeklagte mit der Äußerung, die Praxis von Frau R. sei vollkommen überschuldet gewesen, in erster Linie sein eigenes, im folgenden geschildertes finanzielles Engagement plausibel zu machen versuchte. Auch könnte der erläuternde Zusatz, die Praxis sei mit sehr hohen Beträgen überschuldet gewesen, darauf hindeuten, daß es ihm in diesem Zusammenhang vor allem um eine Hervorhebung des Finanzierungsbedarfs der Praxis zu tun war. Bei einer solchen Auslegung hätte der Angeklagte keine Überschuldung im technisch-bilanzmäßigen Sinne, deren Feststellung eine nicht immer einfache Bewertung des Vermögens erfordert, sondern nur eine (hohe) Verschuldung der Praxis behauptet. Diese Behauptung stünde zu den tatsächlichen Feststellungen des vom Landgericht eingeholten Sachverständigengutachtens auch nicht in Widerspruch: Abgesehen davon, daß es dann auf eine Überschuldung im Sinne des Bilanz-, Insolvenz- oder Steuerrechts gar nicht ankäme, müßten die zur Beschaffung von Krediten weitgehend untauglichen Posten außer Betracht bleiben, die der Sachverständige als "ideellen Wert" (Verkaufsgewinn) der Praxis (c) und "Zukunftserfolgswert der Arbeitskraft eines Freiberuflers" (d) in den bilanzierenden Vergleich von Vermögen und Schulden eingestellt hat; ohne Berücksichtigung dieser Posten verbliebe aber immer noch eine beträchtliche Verschuldung (in Höhe von etwa 148.000 DM) - die Aussage des Angeklagten wäre dann richtig.

2. Der Angeklagte hat weiter bekundet, es habe zwischen ihm und Frau R. keine klare Regelung darüber gegeben, wer von ihnen welche Rechnungen aus dem Aufbau der Praxis in Simmern bezahlen sollte; dies sei vom Einzelfall abhängig gewesen. Die Strafkammer meint, den Angeklagten auch insoweit einer Unwahrheit überführt zu haben; die Zeugenaussagen von Frau R. und ihrer Praxishelferinnen lieferten nämlich den Beweis für eine Absprache, wonach der Angeklagte alle Rechnungen habe bezahlen sollen. Die dem zugrundeliegende Beweiswürdigung ist jedoch rechtsfehlerhaft; wesentliche Umstände, die ihr Ergebnis in Frage stellen, sind dabei außer Betracht geblieben. Zwar hat das Landgericht nicht übersehen, daß die Zeugenaussagen unmittelbar nur eine bestimmte Zahlungshandhabung belegen; auch durfte es diese Handhabung als Indiz für eine entsprechende Absprache werten. Doch hätte es sich in diesem Zusammenhang auch mit der Angabe der Zeugin A. auseinandersetzen müssen, die Rechnungen seien teilweise auf den Namen des Angeklagten gelaufen, teilweise seien sie auch geändert worden; denn diese Angabe war geeignet, die vom Angeklagten gegebene Darstellung zu stützen. Darüber hinaus hat das Gericht die Frage, ob der Angeklagte die anfallenden Finanzierungskosten letztlich selbst tragen oder im Umfang seiner Aufwendungen von Frau R. freigestellt werden sollte, ausdrücklich offen gelassen, obwohl der Klärung des zwischen beiden bestehenden Grundverhältnisses entscheidende Bedeutung zukommen konnte; denn im ersteren Fall hätte Frau R. keinen Anlaß gehabt, selbst Zahlungen zu erbringen, im letzteren Fall wäre es unter dem Gesichtspunkt der endgültigen Kostenbelastung nicht darauf angekommen, wer die jeweils anstehenden Zahlungen leistete.

3. Der Angeklagte hat schließlich - um die angeblich von Fall zu Fall wechselnde Handhabung bei der Bezahlung von Rechnungen zu erläutern - behauptet, es sei "beispielsweise" so gewesen, daß er den ersten Behandlungsstuhl für die Praxis bezahlt habe; den zweiten habe Frau R. bestellt und auch "über Leasing bezahlt". Diese Angabe war allerdings insoweit unrichtig, als er, wie das von ihm selbst unterzeichnete Schreiben an die Firma Siemens Dental vom 18. Juni 1991 belegt, in Wahrheit auch den zweiten Behandlungsstuhl bestellt hatte.

Die Annahme, der Angeklagte habe in diesem Punkt vorsätzlich falsch ausgesagt, hält aber auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen rechtlicher Prüfung nicht stand. Denn das Landgericht hat Umstände, die gegen eine wissentliche Falschaussage sprechen könnten, nicht erkennbar bedacht. Der Vorgang lag im Zeitpunkt der Vernehmung des Angeklagten bereits zweidreiviertel Jahre zurück. Ob die Möglichkeit eines Erinnerungsfehlers schon allein aus diesem Grund in Betracht zu ziehen gewesen wäre, mag zweifelhaft sein. Hier lagen aber weitere Umstände vor, die zu einer entsprechenden Prüfung und Erörterung drängten. Zum einen stand für den Angeklagten nicht die Frage im Vordergrund, wer den Behandlungsstuhl bestellt hatte - es ging ihm vielmehr darum, ein Beispiel dafür zu nennen, daß mal er, mal Frau R. Gegenstände der Praxiseinrichtung bezahlt habe. Hinzu kommt, daß die äußerliche Gestaltung des Bestellschreibens den Schluß auf eine Mitwirkung von Frau R. bei der Bestellung nicht als von vornherein abwegig erscheinen läßt. Das auf ihr Briefpapier gesetzte Schreiben führt im Briefkopf neben dem Namen des Angeklagten auch ihren eigenen auf, war in der "Wir-Form" abgefaßt und nahm ausdrücklich auf eine vorangegangene Besprechung Bezug. Die Urteilsfeststellungen schließen nicht aus, daß diese Besprechung bereits zu einer mündlichen Bestellung geführt hatte, die von Frau R. allein - als der eigentlich betroffenen, fachkundigen Person - aufgegeben worden sein kann und durch das Schreiben nur noch bestätigt werden sollte. Dies könnte einen Irrtum über den Unterzeichner des Bestellschreibens begünstigt und einen entsprechenden Erinnerungsfehler des Angeklagten ausgelöst haben. Schließlich müßte sonst auch unterstellt werden, daß er das Risiko auf sich genommen hat, eine Behauptung aufzustellen, die - was ihm bewußt gewesen sein muß - durch Vorlage der Urkunde leicht und beweiskräftig zu widerlegen sein würde.

Die Verurteilung des Angeklagten war daher mit den Feststellungen aufzuheben. Da bei einer erneuten Verurteilung des Angeklagten wegen Meineids (oder fahrlässigen Falscheids) der Strafbann des Amtsgerichts ausreichen würde, verweist der Senat die Sache an das Amtsgericht Bad Kreuznach zurück (§ 354 Abs. 3 StPO). Im übrigen ist der Hinweis veranlaßt, daß es bei Aussagedelikten, die ein Zeuge in einem Zivilrechtsstreit verübt haben soll, grundsätzlich erforderlich ist, im Urteil den Gegenstand der Zeugenaussage durch Mitteilung des - im Beweisbeschluß umschriebenen - Beweisthemas möglichst genau zu bezeichnen.

Bearbeiter: Ulf Buermeyer