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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 530/98, Urteil v. 15.09.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 530/98 - Urteil v. 15. September 1999 (LG Darmstadt)

Reichweite der Hinweispflicht bei Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes

§ 265 StPO

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 24. März 1998 werden verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub, wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Diebstahls und die Angeklagte D. C. weiterhin wegen Urkundenfälschung jeweils zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Die besondere Schwere der Schuld wurde für beide Angeklagten festgestellt.

Dieses Urteil greifen die Angeklagten mit den Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts an. Während der Angeklagte W. die Verfahrensrüge nicht ausführt, beanstandet die Angeklagte D. C. die Nichterteilung eines Hinweises auf eine Veränderung der tatsächlichen Grundlagen der Verurteilung wegen Mordes gemäß § 265 Abs. 4 StPO und macht mit der Aufklärungsrüge geltend, die Eltern der Angeklagten hätten als Zeugen vernommen werden müssen.

Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg; sie sind im wesentlichen im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

1. Einer Erörterung aufgrund der Sachrügen bedarf allein die von beiden Angeklagten bestrittene Feststellung des Landgerichts, die Angeklagten hätten bereits vor dem Überfall auf Frau K. geplant, bzw. abgesprochen, das Opfer zu töten, wenn es sie, insbesondere die Angeklagte D. C. , erkennen sollte. Das Landgericht stützt seine Überzeugung insoweit im wesentlichen auf die Umstände des Tatverlaufs, das Nachtatgeschehen, die Art der Durchführung der vorangegangenen und der nachfolgenden Straftaten der Angeklagten sowie insbesondere auch die Tatsache, daß die beiden Angeklagten vor der Tat darüber gesprochen hatten, daß die Angeklagte D. C. der Frau K. bekannt war und daß diese sie jederzeit als Täterin erkennen und identifizieren könnte. Es führt als Indizien u.a. an: Die Angeklagten hatten bereits eine vorangegangene Tat zum Nachteil der Frau B. sorgfältig geplant; sie gingen auch bei der Tat zu Lasten von Frau K. überlegt vor, hatten zum Beispiel den "Spion" der gegenüberliegenden Flurtür verdeckt, und die Angeklagte D. C. trug bei der Tatausführung Handschuhe, um keine Fingerspuren zu hinterlassen. Die Angeklagten kehrten nach der Tat nachts noch einmal an den Tatort zurück, um in dem Geschäft der Getöteten nach weiterem Geld zu suchen.

Die Angriffe der Beschwerdeführer gegen diese Beweiswürdigung gehen fehl.

Das Landgericht hat insgesamt nach einer ausführlichen und sorgfältigen Würdigung der bedeutsamen Umstände rechtsfehlerfrei die Überzeugung gewonnen, daß beide Angeklagte bereits vor der Tat übereingekommen waren, Frau K zu töten, falls ihr Plan, die Tat durchzuführen, ohne daß das Opfer die Angeklagte D. C. sah, scheitern würde.

2. Die weiter zu erörternde Verfahrensrüge der Angeklagten D. C. steht ebenfalls im Zusammenhang mit der oben genannten Frage der Tatplanung. Die Revision macht mit der auf § 265 StPO gestützten Rüge geltend, der Sachverhalt, der der Verurteilung zugrundeliege, unterscheide sich deshalb wesentlich von dem in der Anklage beschriebenen, weil in der Anklage keine Rede davon sei, daß die Angeklagten schon vor der Tat verabredet hätten, Frau K. zu töten, falls es der Angeklagten D. C. nicht gelänge, unerkannt zu bleiben. Das Gericht habe die Angeklagte deshalb auf die Veränderung der tatsächlichen Grundlagen des Anklagevorwurfs hinweisen müssen. Dies sei weder ausdrücklich noch konkludent geschehen. Der von der Strafkammer entgegen der Anklage festgestellte Tatablauf, daß die Angeklagten nämlich die Tötung von Frau K. "alternativ" geplant hätten, habe dazu geführt, daß das Landgericht - dem Gutachten des Sachverständigen folgend -eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB bei der Angeklagten D. C. verneint habe.

Die Rüge dringt nicht durch. Ein Angeklagter darf allerdings nicht mit der Feststellung einer Tatsache überrascht werden, auf die er weder durch den Inhalt der Anklageschrift oder den Eröffnungsbeschluß noch durch den Gang der Hauptverhandlung ausreichend vorbereitet wurde (BGHSt 11, 88). Er muß deshalb über die Veränderung der für die Verurteilung wesentlichen tatsächlichen Grundlagen unterrichtet werden. In der Regel genügt, wenn dies durch den Gang der Hauptverhandlung in der Art und Weise geschieht, daß das Gericht zu erkennen gibt, habe es den neuen tatsächlichen Gesichtspunkt in seine Erwägungen einbezogen (BGHSt 19, 141; BGHSt 28, 197). Eine Hinweispflicht besteht grundsätzlich aber nur dann, wenn die Abweichung solche Tatsachen betrifft, in denen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes gefunden werden. Sie gilt in der Regel nicht für Feststellungen, die sich auf die vor der tatbestandsmäßigen Handlung liegenden Phase der Tatplanung und Tatvorbereitung beziehen (BGHR StPO § 265 Abs. 4 - Hinweispflicht 5.). Ebensowenig wie dem Angeklagten im Anklagesatz und Eröffnungsbeschluß alle für die Beurteilung des Anklagevorwurfs bedeutsamen Tatsachen mitgeteilt werden müssen, die nicht die Tat selbst, insbesondere Zeit und Art ihrer Begehung betreffen, muß das Gericht den Angeklagten auf alle aus dem Anklagesatz nicht ersichtlichen, nicht die Tatbestandsverwirklichung unmittelbar berührenden Umstände hinweisen, die es aufgrund der Erkenntnis in der Hauptverhandlung bei der Urteilsfindung berücksichtigen will.

Im vorliegenden Falle ist dem Anklagesatz nicht zu entnehmen, ob die Angeklagten bereits bei der Planung der Tat verabredet hatten, Frau K. zu töten, falls diese die Angeklagte D. C. erkennen würde. Dieser Umstand mußte aber auch nicht in den Anklagesatz aufgenommen werden, denn er betrifft nicht unmittelbar die Tat, sondern deren Planung und war nur für die Entscheidung über den Rechtsfolgenausspruch bedeutsam. Es handelt sich hier insoweit lediglich um eine Konkretisierung innerhalb der möglichen Variationsbreite des Geschehensbildes der Tat im weiteren Sinne, mit der ein Angeklagter zu rechnen hat und die ihn grundsätzlich nicht überraschen kann, wenn er die Verhandlung verfolgt, deren Beweisergebnis die Feststellung diese Konkretisierung rechtfertigt (vgl. BGHR StPO § 265 Abs. 4 - Hinweispflicht 10; Niemöller. Die Hinweispflicht des Strafrichters, 1988 S. 15).

Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, daß das Schwurgericht den Sachverständigen im Rahmen der Erörterung der Schuldfähigkeit ausdrücklich zu der "Sachverhaltsvariante" der "alternativen Tatplanung" befragt und damit hinreichend deutlich gemacht hat, daß es diese in seine Erwägungen einbeziehen wollte.

Dieses Prozeßgeschehen wird in den dienstlichen Erklärungen der Mitglieder des Schwurgerichts geschildert, deren Richtigkeit der Senat nicht bezweifelt, zumal ein solches Vorgehen der üblichen und gebotenen Art und Weise einer Befragung eines psychiatrischen Sachverständigen entspricht. Der Revisionsführer selbst stellt die dienstlichen Erklärungen auch nur insoweit in Frage, als in diesen angegeben wird, die Kammer habe den Sachverständigen an verschiedenen Hauptverhandlungstagen mehrfach die genannte "Sachverhaltsvariante" vorgehalten. Der Revisionsführer erinnert sich nur an einen einzelnen entsprechenden Vorhalt eines Beisitzers. Dieser habe der Verteidigung und der Angeklagten nicht erkennbar gemacht, daß das gesamte Gericht von einer solchen "Sachverhaltsvariante" ausgehen könnte.

Der Senat vermag auch dieser Argumentation nicht zu folgen. Selbst wenn die genannte Frage nur einmal und nur von einem Beisitzer dem Sachverständigen gestellt - und von diesem im Sinne der Urteilsfeststellungen beantwortet worden sein sollte - konnte und mußte die Angeklagte im vorliegenden Falle damit rechnen, daß das Schwurgericht bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit möglicherweise von dieser "Sachverhaltsvariante" ausgehen würde.

Diese Frage muß aber nicht weiter erörtert werden, weil bereits keine Hinweispflicht bestand.

3. Die wegen der Nichtvernehmung der Eltern der Angeklagten D. C. - zur Frage der verminderten Schuldfähigkeit - erhobene Aufklärungsrüge ist im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

Externe Fundstellen: NStZ 2000, 48

Bearbeiter: Rocco Beck