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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 416/98, Beschluss v. 10.02.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 416/98 - Beschluss vom 10. Februar 1999

Verfahrenseinstellung; Geringe Schuld des Täters; Begriff des Öffentlichen Interesses (Fahrlässige Körperverletzung mit irreversiblen Hirnschäden)

§ 153 Abs. 2 Satz 1 StPO; § 230 StGB

Entscheidungstenor

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zur Last. Die Beschwerdeführerin hat die dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt; es ist zu dem Ergebnis gelangt, daß die Angeklagte am 29. Februar 1996 bei der Gaumenoperation des fünf Monate alten G. (Nebenklägers) in der Universitätsklinik F. ihre Sorgfaltspflicht als Narkoseärztin verletzt hat, als sie dem Kind statt der vermeintlichen Kochsalzlösung, die sie zum Durchspülen des venösen Zugangs einsetzen wollte, aus einer auf ungeklärte Weise in die Nähe gelangten Flasche irrtümlich Wasserstoffperoxid injizierte, wodurch das Kind schwerste irreversible Hirnschädigungen erlitt. Gegen das Urteil hat die Angeklagte Revision eingelegt und dieses Rechtsmittel mit einer Verfahrensrüge und der Sachbeschwerde begründet.

Der Generalbundesanwalt hat im Einvernehmen mit der örtlichen Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens beantragt, die Angeklagte durch ihren Verteidiger ihre Zustimmung erklärt, der anwaltliche Vertreter des Nebenklägers widersprochen.

Auch die sachlichen Voraussetzungen einer Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 2 Satz 1 StPO liegen vor. Danach kann ein Verfahren, das ein Vergehen zum Gegenstand hat, eingestellt werden, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. So verhält es sich hier.

Der Senat verkennt nicht, daß der Nebenkläger schwerste irreparable Gesundheitsschäden erlitten hat und seiner Familie sehr großes Leid zugefügt worden ist. Sollte sich der gegen die Angeklagte erhobene Schuldvorwurf letztlich als begründet erweisen, so wäre aber ihre Schuld als gering anzusehen. Zum einen bemißt sich das Maß der Vorwerfbarkeit nicht allein nach dem Umfang der Schadensfolgen; zum anderen liegt es nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils nahe, daß der folgenschwere Irrtum der Angeklagten durch pflichtwidrig schuldhaftes Verhalten von Hilfskräften mitverursacht worden ist.

Es besteht auch - wiewohl das Bestrafungsverlangen des Nebenklägers verständlich erscheint - kein öffentliches Interesse an der strafrechtlichen Verfolgung: Der Ausgang des Strafverfahrens ist, seine Fortsetzung unterstellt, nicht sicher prognostizierbar. Dies gilt zunächst deshalb, weil die Revision jedenfalls nicht offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO) ist. Die Beschwerdeführerin hat durch ihren Verteidiger eine aussichtsreiche Verfahrensrüge erhoben und mit der Sachrüge gewichtige Bedenken gegen die Beweiswürdigung angemeldet. Bei einer hiernach in Betracht zu ziehenden Urteilsaufhebung würde der Verfahrensabschluß erheblich hinausgeschoben. Ob eine neue tatrichterliche Verhandlung zur vollen Aufklärung der Schuldfrage - insbesondere im Hinblick auf ein möglicherweise nicht ausschließbares Verschulden von Hilfskräften - führen könnte, erscheint zweifelhaft, zumal der Vorfall jetzt schon nahezu drei Jahre zurückliegt.

Soweit es sich um die Regelung von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen handelt, sind die Belange des Nebenklägers gewahrt. Die Schadenshaftung des Trägers der Universitätsklinik steht außer Streit. Daß über die Höhe des Schmerzensgelds - allein wegen überzogener Forderungen von seiten der Familie des Nebenklägers - noch keine Einigung erzielt worden ist, kann ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht begründen.

Sachliche Gründe, die der Verfahrenseinstellung entgegenstehen, sind nicht ersichtlich; insbesondere werden solche Gründe auch nicht in dem Schriftsatz dargetan, mit dem der anwaltliche Vertreter des Nebenklägers der Einstellung widersprochen hat.

Mit der Verfahrenseinstellung verliert das angefochtene Urteil seine Wirksamkeit, ohne daß dies besonders ausgesprochen werden müßte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 4 StPO. Die notwendigen Auslagen des Nebenklägers sind der Beschwerdeführerin auferlegt worden, weil dies - wie sie durch ihre Einverständniserklärung anerkannt hat - der Billigkeit. entspricht (§ 472 Abs. 2 Satz 1 StPO). Daß sie ihre eigenen notwendigen Auslagen selbst zu tragen hat, bedurfte keines besonderen Ausspruchs.

Externe Fundstellen: NStZ 1999, 312; StV 2001, 326

Bearbeiter: Karsten Gaede