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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 20/96, Beschluss v. 20.03.1996, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 ARs 20/96 - Beschluß vom 20. März 1996 (OLG Naumburg)

BGHSt 42, 94; Ausschließung, Ausschluß eines Pflichtverteidigers gemäß §§ 138a ff. StPO; Widerruf der Bestellung aus wichtigem Grund.

§ 138 a StPO; § 143 StPO; § 140 StPO

Leitsätze

1. Die Vorschriften der §§ 138a ff. StPO über den Ausschluß des Verteidigers sind auch auf den Pflichtverteidiger anwendbar. (BGHSt)

2. Ein Widerruf der Bestellung eines Pflichtverteidigers gegen den Willen des Beschuldigten ist nur aus wichtigen Gründen zulässig. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen § 143 StPO [seine entsprechende Anwendung] neben den §§ 138a ff. StPO anwendbar bleibt, wenn Ausschlußgründe im Sinne von §§ 138a, 138b StPO vorliegen können, muß der Senat nicht entscheiden. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die sofortige Beschwerde des Rechtsanwalts D. gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Naumburg vom 28. November 1995 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1. Das Oberlandesgericht hat den Beschwerdeführer, der dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden war, gemäß § 138a Abs. 1 Nr. 3 StPO von der Mitwirkung in dem gegen seinen Mandanten T. anhängigen Strafverfahren ausgeschlossen, weil er in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigenden Grade verdächtig sei, eine Handlung begangen zu haben, die für den Fall der Verurteilung des Angeklagten versuchte Strafvereitelung wäre.

Die vom Beschwerdeführer eingelegte sofortige Beschwerde ist unbegründet.

Das Oberlandesgericht war für die Entscheidung über den Ausschluß des Verteidigers zuständig, es hat mit Recht den Ausschlußgrund des § 138a Abs. 1 Nr. 3 StPO bejaht.

2. Die Anwendbarkeit der §§ 138a ff. StPO auf Pflichtverteidiger ist in Rechtsprechung und Lehre allerdings umstritten.

Es wird die Ansicht vertreten, die Ausschlußgründe der §§ 138a, 138b StPO rechtfertigten bei einem Pflichtverteidiger lediglich die Rücknahme seiner Bestellung gemäß § 143 StPO (so OLG Koblenz JR 1979, 36; OLG Köln NStZ 1982, 129; Ulsenheimer GA 75, 103, 109 f.).

Nach überwiegender Meinung jedoch gelten die §§ 138a ff. StPO auch für den Pflichtverteidiger (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1988, 519; OLG Braunschweig StV 1984, 500; OLG Frankfurt/Main StV 1992, 360; Rieß JR 1979, 37; Laufhütte in Karlsruher Kommentar, StPO, 3. Aufl. 1993, Rdn. 2 zu § 138 a; Lüderssen in Löwe-Rosenberg, StPO 24. Aufl. 1989, Rdn. 4 f. zu § 138 a; Dencker NJW 1979, 2176).

Der Senat folgt dieser Auffassung:

Während der Wortlaut der §§ 138a ff. StPO für die Anwendbarkeit dieser Vorschriften auch auf Pflichtverteidiger spricht - er nennt den Ausschluß des Verteidigers allgemein und nicht lediglich den des Wahlverteidigers - könnte ihre systematische Stellung im Gesetz - bei den Vorschriften über den Wahlverteidiger - ihre Anwendbarkeit nur für Wahlverteidiger nahelegen.

Aus der Entstehungsgeschichte der §§ 138a ff. StPO läßt sich insoweit nichts entnehmen. Die Regelungen über den Verteidigerausschluß (im Gesetz zur Ergänzung des 1. Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 20. Dezember 1974) waren notwendig geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 14. Februar 1973 (BVerfGE 34, 239 ff.) festgestellt hatte, daß die Ausschließung eines Verteidigers bei geltender Rechtslage weder durch Gesetz noch durch Gewohnheitsrecht gedeckt sei. Die insoweit aufgezeichnete Regelungslücke betraf zwar nur den Wahlverteidiger, der Gesetzgeber war jedoch nicht gehindert, den Verteidigerausschluß über die aufgezeigte Regelungslücke hinaus umfassend neu zu regeln.

Aus den Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drucks. 7/2526) läßt sich auch nicht herleiten, daß der Anwendungsbereich der §§ 138a ff. StPO auf Wahlverteidiger beschränkt bleiben sollte.

Wesentlich ist aber, daß Sinn und Zweck der genannten Vorschriften es gebieten, eine einheitliche Regelung sowohl für Wahl- als auch Pflichtverteidiger zu treffen.

Die rechtliche Stellung des Pflichtverteidigers ist der des Wahlverteidigers so weit angeglichen, daß kein sachlicher Grund mehr dafür besteht, die rechtlichen Konsequenzen einer möglichen Tatbeteiligung oder eines sonstigen den Ausschluß rechtfertigenden Verhaltens bei Pflichtverteidigern anders zu behandeln als bei Wahlverteidigern.

Der Vorsitzende hat in der Regel den vom Beschuldigten bezeichneten Verteidiger als Pflichtverteidiger zu bestellen (§ 142 Abs. 2 StPO). Ein Widerruf der Bestellung gegen den Willen des Beschuldigten ist nur aus wichtigen Gründen zulässig.

Liegt ein Grund vor, der den Ausschluß des Verteidigers nach den §§ 138a ff. StPO rechtfertigt, dann kann durch den Widerruf der Bestellung des Verteidigers allein nach § 143 StPO weder den Belangen der Verteidigung noch denen der Rechtspflege in allen Fällen hinreichend Rechnung getragen werden.

Der Pflichtverteidiger sieht sich bei einem Widerruf seiner Bestellung aus den in §§ 138a, 138b StPO genannten Gründen, nicht anders als der Wahlverteidiger, einem schweren Vorwurf ausgesetzt, gegen den er sich in angemessener Weise verteidigen können muß. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Berechtigung dieses Vorwurfs nicht auf die gleiche, auch die Belange der Verteidigung besonders stark berücksichtigenden Weise geprüft und überprüft werden muß, wie bei einem Wahlverteidiger.

Es ist häufig auch nicht zu erwarten, daß ein Verteidiger, dessen Bestellung gemäß § 143 StPO etwa wegen des Vorwurfs der Tatbeteiligung, Begünstigung oder Strafvereitelung vom Vorsitzenden widerrufen wurde, diesen Vorwurf in der Regel hinnehmen und sich aus dem Verfahren zurückziehen wird.

Naheliegend ist vielmehr, daß dieser Verteidiger nach dem Widerruf seiner Bestellung zunächst als Wahlverteidiger auftreten wird. Die Einleitung und Durchführung eines Ausschlußverfahrens nach §§ 138a ff. StPO mit der Folge einer weiteren Verfahrensverzögerung wird dann regelmäßig notwendig sein.

Um eine solche Verzögerung zu vermeiden, hat der entscheidende Senat die Fortführung des Ausschlußverfahrens selbst nach Niederlegung des Mandates in bestimmten Fällen für zulässig erachtet (vgl. Beschluß vom 8. Januar 1993 - 2 ARs 540/92).

Bedeutsam ist zudem, daß ein gemäß §§ 138a ff. StPO ausgeschlossener Verteidiger weitergehender Beschränkungen bei der Vertretung des Beschuldigten und anderer Beschuldigter unterliegt; er darf auch den Beschuldigten, der sich nicht auf freiem Fuß befindet, nicht mehr aufsuchen (§ 138a Abs. 4 und 5 StPO).

Diese Beschränkungen sind durch die Anwendung des § 143 StPO nicht zu erreichen, obwohl sie im konkreten Fall erforderlich sein können. Dies alles führt zu dem Ergebnis, daß auch ein Pflichtverteidiger nach den §§ 138a ff. StPO von der Mitwirkung in einem Verfahren ausgeschlossen werden kann. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen daneben § 143 StPO anwendbar bleibt, wenn Ausschlußgründe im Sinne von §§ 138a, 138b StPO vorliegen können (BVerfGE 39, 238 ff.; Rieß a.a.O. 37, 39) muß der Senat nicht entscheiden.

3. In der Sache tritt der Senat den Gründen bei, aus denen das Oberlandesgericht den Beschwerdeführer von der weiteren Verteidigung im dem Strafverfahren gegen den Angeklagten ausgeschlossen hat. Die Beschwerdebegründung gibt keinen Anlaß zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Der Senat hält an seiner Auffassung fest, daß die Ausschließung des Verteidigers wegen hinreichenden Tatverdachts der versuchten Strafvereitelung nicht voraussetzt, daß wegen dieses Vorwurfs gegen den Verteidiger ein bis zur Anklagereife gediehenes Ermittlungsverfahren anhängig ist (BGHSt 36, 133 ff.).

Externe Fundstellen: BGHSt 42, 94; NJW 1996, 1975; NStZ 1997, 46; StV 1996, 470

Bearbeiter: Rocco Beck