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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 234/96, Urteil v. 21.08.1996, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 234/96 - Urteil vom 21. August 1996 (LG Mainz)

BGHSt 42, 230; Begriff des Amtsträgers gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2c StGB und Begriff des "für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten" im Zusammenhang mit der Mitwirkung eines vereidigten Dolmetschers bei der theoretischen Fahrerlaubnisprüfung; Straftatbestand der Bestechlichkeit.

§ 11 Abs. 1 Nr. 2c StGB; § 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB; § 332 StGB

Leitsatz

Soweit der Begriff des für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten voraussetzt, daß der Handelnde für eine Behörde, sonstige Stelle oder Organisation tätig ist, liegt das Merkmal nur vor, wenn diese ihm einen entsprechenden Auftrag erteilt hat. (BGHSt)

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 25. Oktober 1995 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Bestechlichkeit (§ 332 StGB) freigesprochen. Ihm war zur Last gelegt worden, zwischen dem 10. Januar 1991 und dem 30. März 1994 in 75 Fällen vom Inhaber der Fahrschule G. in Mainz und deren Mittelsmann B. Geldbeträge (insgesamt 165.250 DM) dafür angenommen zu haben, daß er als Dolmetscher und Übersetzer bei theoretischen Prüfungen zur Erlangung der Fahrerlaubnis fremdsprachigen - zumeist aus dem arabischen Sprachraum stammenden - Fahrschülern unerlaubte Hilfestellung gewährte. Zur Begründung des freisprechenden Urteils hat das Landgericht ausgeführt, der Angeklagte sei weder Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB) noch für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB) gewesen und komme daher als Täter eines Bestechlichkeitsdelikts nicht in Betracht.

Mit ihrer Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten. Sie hält die dem Freispruch zugrunde liegende Rechtsauffassung für unzutreffend und rügt daher Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, hat keinen Erfolg.

II.

1. Dem angefochtenen Urteil ist im wesentlichen folgender Sachverhalt zu entnehmen:

Der Angeklagte, der den Beruf eines Dolmetschers und Übersetzers für Arabisch und Englisch ausübt, war 1976 vom Präsidenten des Landgerichts Mainz als Dolmetscher für die Gerichte und Notare des dortigen Landgerichtsbezirks allgemein vereidigt, in die Dolmetscherliste aufgenommen und gemäß § 1 des Verpflichtungsgesetzes vom 2. März 1974 (BGBl. I S. 469, 545) auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten verpflichtet worden. 1981 hatte ihn außerdem der Präsident des Landgerichts Frankfurt am Main ermächtigt, für die Gerichte und Notare des Landes Hessen die Richtigkeit und Vollständigkeit der Übersetzung von Urkunden aus einer oder in eine der genannten Fremdsprachen zu bescheinigen (vgl. § 142 Abs. 3 ZPO). 1987 war er, da inzwischen nach Hessen verzogen, aus der Dolmetscherliste des Landgerichtsbezirks Mainz gestrichen worden. 1988 hatte er sich, nunmehr in Bonn wohnhaft, vom Präsidenten des Oberlandesgerichts Köln für dessen Gerichtsbezirk als Übersetzer ermächtigen und förmlich verpflichten lassen.

Innerhalb des von der Anklage erfaßten Zeitraums wirkte der Angeklagte, wie auch schon einige Jahre zuvor, als Dolmetscher und Übersetzer an theoretischen Prüfungen von Fahrerlaubnisbewerbern der in Mainz betriebenen Fahrschule G. mit. Abgenommen wurden die Prüfungen jeweils von einem amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer (§ 11 StVZO, §§ 1, 6 KfSachvG) der Technischen Prüfstelle Koblenz, die im Auftrag des Landes vom Technischen Überwachungsverein Rheinland/Köln eingerichtet ist (§ 10 Abs. 1 KfSachvG) und mit der ihr nachgeordneten Dienststelle Mainz der behördlichen Aufsicht des zuständigen Landesministers untersteht (§ 13 Abs. 1 KfSachvG). Zu Prüfungstagen, die bei der Dienststelle Mainz im voraus gebucht waren, wurde er jeweils bestellt, und zwar stets von der Fahrschule, in der Regel von deren Mittelsmann B., der ihn auch bezahlte, nie dagegen von der Dienststelle, einem Prüfer oder einem ihrer sonstigen Mitarbeiter. Seine Aufgabe bestand darin, die mündliche Kommunikation zwischen Prüfer und Prüfling zu ermöglichen und den Text des deutschsprachigen Fragebogens in die Sprache des Prüflings zu übertragen. Bei dieser Tätigkeit soll er fremdsprachigen Fahrerlaubnisbewerbern unerlaubte Hilfestellung gewährt haben, damit sie die Prüfung bestehen konnten.

2. Auf der Grundlage dieses Sachverhalts hat das Landgericht den Angeklagten zu Recht freigesprochen. Täter des Vergehens der Bestechlichkeit nach § 332 Abs. 1 StGB kann nur ein Amtsträger oder ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter sein. Der Angeklagte war keines von beiden.

a) Die Merkmale eines Amtsträgers besaß er nicht. Weder gehörte er zu dem in § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und b StGB genannten Personenkreis (Beamte, Richter oder in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis stehende Personen), noch war er im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB dazu bestellt, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Es fehlt am Erfordernis der Bestellung. Diese liegt, wie weit der Begriff auch sonst zu fassen sein mag (vgl. dazu Haft NJW 1995, 1113, 1115 f), jedenfalls nicht schon darin, daß die Behörde oder Stelle einen freiberuflich tätigen Dolmetscher oder Übersetzer wiederholt oder auch regelmäßig bei amtlichen Prüfungsverfahren zum Zweck der Verständigung mit dem Prüfling mitwirken läßt. Daß damit noch keine Bestellung verbunden ist, belegen nicht zuletzt die hierauf bezogenen Verwaltungsvorschriften; dort wird die Beteiligung von Dolmetschern an der theoretischen Prüfung von Fahrerlaubnisbewerbern als "Zulassung" (Nummer 1.1. der Verwaltungsvorschrift des Rheinland-Pfälzischen Ministeriums für Wirtschaft und Verkehr vom 21. August 1987, MinBl. S. 340) oder als "Hinzuziehung" einer Person, die "auf Kosten des Bewerbers zu stellen ist", bezeichnet (Nummer 2.1.3 der Prüfungsrichtlinie des Bundesministers für Verkehr vom 22. Januar 1987, VkBl S. 198, in der Fassung vom 27. April 1993, VkBl S. 404 f, auch abgedruckt in StVRL § 11 StVZO Nr. 2). Eine bloße Zulassung oder Hinzuziehung ist noch keine Bestellung im Sinne der Betrauung mit amtlichen Funktionen oder der Wahrnehmung öffentlicher Belange. Dementsprechend nimmt der freiberuflich tätige Dolmetscher oder Übersetzer, der auf Grund seiner Zulassung oder Hinzuziehung an einer theoretischen Prüfung von fremdsprachigen Fahrerlaubnisbewerbern mitwirkt, auch keine Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr. Indem er die sprachliche Kommunikation zwischen Prüfling und Prüfer vermittelt, handelt er vielmehr allein im individuellen Interesse des Bewerbers, der im Verwaltungsverfahren die Erteilung einer Fahrerlaubnis begehrt. Denn es ist dessen Sache, die Verständigungssperre zu überwinden, die darin besteht, daß er selbst fremdsprachig, die Amtssprache aber deutsch ist (§ 23 Abs. 1 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 LVwVfG Rheinland-Pfalz vom 23. Dezember 1976, GVBl. S. 308), und es obliegt - anders als bei Verhandlungen vor Gericht (§ 185 GVG) - daher auch grundsätzlich ihm (und nicht der Behörde oder Stelle), erforderlichenfalls für einen Dolmetscher oder Übersetzer zu sorgen; dieser Grundsatz hat in § 23 Abs. 2 VwVfG gesetzlichen Ausdruck gefunden (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 4. Aufl. § 23 Rdn. 2, 18).

b) Der Angeklagte war als Sprachmittler für fremdsprachige Fahrerlaubnisbewerber bei der theoretischen Prüfung auch kein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB).

Eine vom Technischen Überwachungsverein im Auftrag des Landes eingerichtete Technische Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr (§ 10 KfSachvG) erfüllt zwar mitsamt den ihr untergeordneten Dienststellen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung: die bei ihr beschäftigten amtlich anerkannten Sachverständigen und Prüfer üben im Rahmen der ihnen durch die StVZO zugewiesenen Aufgaben, also auch bei der Abnahme von theoretischen Prüfungen zur Erlangung der Fahrerlaubnis (§ 11 StVZO), hoheitliche Befugnisse aus (BGHZ 49, 108 = NJW 1968, 443; BGH NJW 1973, 458; VGH München NJW 1975, 1796; OLG Köln NJW 1989, 2065; Kopp, VwVfG 6. Aufl. § 1 Rdn. 25; Stelkens/Bonk/Sachs aaO § 1 Rdn. 137, § 2 Rdn. 91) - sie sind Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Lütkes/Meier/Wagner/Emmerich, Straßenverkehr 2. Aufl. Teil I Leitzahl 8, KfSachvG § 6 Rdn. 5). Demgemäß gehört die Technische Prüfstelle zu denjenigen Organisationen, die für eine Behörde Aufgaben der öffentlichen Verwaltung ausführen (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b StGB).

Der Angeklagte war aber nicht, wie es die genannte Bestimmung voraussetzt, bei der Technischen Dienststelle beschäftigt oder für sie tätig. Daß er nicht in einem Beschäftigungsverhältnis zu der Prüfstelle oder der ihr nachgeordneten Dienststelle stand, bedarf keiner Darlegung. Ebensowenig war er aber auch für sie tätig. Dafür reicht es nicht aus, daß er als Dolmetscher und Übersetzer an Vorgängen beteiligt war, die sich für die Dienststelle und ihre Prüfer als Erfüllung einer Aufgabe der öffentlichen Verwaltung darstellten. Erforderlich ist vielmehr, daß der Handelnde von einer der gesetzlich genannten Organisationen für eine bestimmte Sachaufgabe (etwa als Gutachter oder Mitglied eines beratenden Ausschusses) herangezogen ist (Lackner, StGB 21. Aufl. § 11 Rdn. 16; LK-Tröndle 10. Aufl. § 11 Rdn. 59), also in ihrem Auftrage tätig wird (Eser in Schönke/Schröder, StGB 24. Aufl. § 11 Rdn. 38). Das kommt zwar im Wortlaut des Gesetzes nicht zum Ausdruck. Doch geht aus den Gesetzesmaterialien, namentlich der Begründung zum Entwurf des EGStGB, klar hervor, daß der Gesetzgeber die Vorschrift gerade für solche Fälle geschaffen und die Erteilung eines Auftrags vorausgesetzt hat (Entwurf EGStGB, BT-Drucks. 7/550 S. 210; ähnlich schon E 1962, BT-Drucks. IV/650 S. 119; ebenso die entsprechenden Äußerungen von Ministerialrat Dr. Schwalm in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 9 S. 389, Bd. 10 S. 284). Daß es eines Auftrags bedarf, folgt im übrigen daraus, daß andernfalls kein Anlaß dafür bestünde, einen außerhalb der Organisation stehenden Dritten dem bei ihr Beschäftigten strafrechtlich gleichzustellen: diese Gleichstellung rechtfertigt sich nur, wenn der "verwaltungsexterne" Dritte im Auftrag der mit Verwaltungsaufgaben befaßten Organisation tätig geworden ist.

Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Der Angeklagte hat seine Dolmetscher- und Übersetzertätigkeit bei den theoretischen Prüfungen der Fahrerlaubnisbewerber nicht im Auftrag der Dienststelle oder ihrer Prüfer entfaltet; er ist weder von ihr noch von ihren Prüfern, sondern von der Fahrschule beauftragt worden. Schon deshalb war er kein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB und konnte mithin auch nicht Täter eines Bestechlichkeitsdelikts sein.

c) Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob der Angeklagte - wie es das Gesetz außerdem noch verlangt - auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten förmlich verpflichtet worden war.

d) Die Begründung, mit der das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten auch unter anderen Gesichtspunkten, namentlich dem der Teilnahme an Straftaten Dritter, verneint hat, läßt Rechtsfehler nicht erkennen.

Externe Fundstellen: BGHSt 42, 230; NJW 1996, 3158; StV 1997, 182

Bearbeiter: Rocco Beck