hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 628/94, Urteil v. 21.12.1994, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 628/94 - Urteil vom 21. Dezember 1994 (LG Wiesbaden)

BGHSt 40, 385; Verfolgungsverjährung bei Kapitalanlagebetrug (Tatbegehung durch unrichtige Prospektangaben; Presseinhaltsdelikt).

§ 78 StGB; § 264a StGB; § 4 Abs. 2 Nr. 2 PresseG HE; § 12 Abs. 1 PresseG HE

Leitsatz des BGH

Kapitalanlagebetrug, der durch unrichtige oder unvollständige Angaben in gedruckten Prospekten begangen wird, unterliegt nicht der kurzen Verjährung nach dem Hessischen Landespressegesetz. (BGHSt)

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 18. Mai 1994 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit das Verfahren eingestellt worden ist. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mißbrauchs von Titeln zu einer Geldstrafe verurteilt, das Verfahren jedoch wegen Verfolgungsverjährung eingestellt, soweit dem Angeklagten zur Last gelegt worden war, durch unrichtige und unvollständige Angaben in einem Prospekt zum Vertrieb von Anteilen an einem Immobilienfonds Kapitalanlagebetrug (§ 264 a StGB) begangen zu haben.

Gegen diese Einstellungsentscheidung richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel ist mit der Sachrüge begründet und wird vom Generalbundesanwalt vertreten; es hat Erfolg.

II.

1. Das Landgericht hat hierzu im wesentlichen folgendes festgestellt:

Der Angeklagte war Geschäftsführer einer GmbH, die sich mit Kapitalanlageberatung befaßte ("B.-GmbH ..."), außerdem auch Vorstandsvorsitzender einer Aktiengesellschaft ("A. - ... - für Management und Verwaltung"), die Immobiliengeschäfte betrieb. Beide Gesellschaften hatten ihren Sitz in Wiesbaden. Zur Werbung von Anlegern für den Erwerb von Anteilen an einem Immobilienfonds ("... GGG Nr. 5 'Frankfurt'") ließ die GmbH einen Hochglanzprospekt drucken und spätestens ab dem 7. Februar 1987 verteilen. Der Vertrieb der Anteile begann im Mai 1987 und war im Mai 1989 abgeschlossen.

2. Das Landgericht hält die Verfolgung des angeklagten Kapitalanlagebetrugs für verjährt. Der Prospekt, der die angeblich unrichtigen und unvollständigen Angaben enthalte, sei ein Druckwerk; eine durch Verbreitung von Druckwerken begangene Straftat verjähre nach § 12 Abs. 1 des Hessischen Pressegesetzes in sechs Monaten. Diese Frist sei maßgebend. Daran ändere hier auch nichts, daß § 4 Abs. 2 Nr. 2 des Hessischen Pressegesetzes seinem Wortlaut nach Druckwerke, die nur den Zwecken des Gewerbes dienten (wie etwa Werbedrucksachen), generell dem Anwendungsbereich des Landespressegesetzes entziehe. Sinn und Zweck dieser Regelung bestünden darin, "harmlose" Druckwerke von den Ordnungsvorschriften des Landespressegesetzes (Impressumzwang, Verpflichtung zur Benennung eines verantwortlichen Redakteurs, Gegendarstellungspflicht usw.) auszunehmen, "weil von ihnen regelmäßig keine Gefahren für Rechtsgüter der Allgemeinheit oder einzelner" drohten. Abgesehen davon, daß sich der hier zu beurteilende Prospekt von den im Gesetz beispielhaft genannten Druckwerken unterscheide, treffe auf solche Druckwerke die "Vermutung der Ungefährlichkeit" nicht zu; vielmehr seien es gerade die von derartigen Prospekten ausgehenden "Gefahren für die individuellen Vermögensinteressen" insbesondere unerfahrener Kapitalanleger, die den Gesetzgeber zur Einfügung des § 264 a in das StGB veranlaßt hätten. Die sich daraus ergebende Antwort auf die Verjährungsfrage decke sich im übrigen mit der Beurteilung entsprechender Rechtsfragen im Bereich des § 4 UWG und des § 38 Abs. 5 GWB.

3. Die angefochtene Einstellungsentscheidung hat keinen Bestand.

Die Verfolgung des dem Angeklagten vorgeworfenen Kapitalanlagebetrugs (§ 264 a StGB) ist nicht verjährt. Die sechsmonatige Verjährung nach § 12 Abs. 1 Hessisches Pressegesetz (im folgenden: HessPresseG) gilt - entgegen der Ansicht des Landgerichts - hier nicht. Die Vorschrift bezieht sich auf die Strafverfolgung derjenigen Vergehen und Verbrechen, die durch Veröffentlichung oder Verbreitung von Druckwerken strafbaren Inhalts begangen werden. Sie ist im vorliegenden Falle nicht anwendbar.

Kapitalanlagebetrug (§ 264 a StGB), der durch Verbreitung gedruckter Prospekte ("Prospekttäuschung") verübt wird, erfüllt allerdings die Voraussetzung, nach der die Tat mit einem Druckwerk "strafbaren Inhalts" begangen sein muß (sog. Presseinhaltsdelikt, vgl. RGSt 66, 145; BGHSt 26, 40, 43 ff; Jähnke in LK 11. Aufl. § 78 Rdn. 15 m.w.N.). Denn bei dieser Form der Verwirklichung des Straftatbestands liegt die Strafbarkeit gerade im Inhalt des Prospektes begründet, weil § 264 a StGB voraussetzt, daß die unrichtigen oder unvollständigen Angaben, die den Kern des Handlungsunrechts ausmachen, in dem Prospekt selber enthalten sind.

Der kurzen Verjährung nach § 12 Abs. 1 HessPresseG steht aber § 4 Abs. 2 Nr. 2 desselben Gesetzes entgegen. Diese Vorschrift nimmt vom Begriff des "Druckwerks", wie er in § 4 Abs. 1 näher bestimmt ist, solche Druckwerke aus, "die nur den Zwecken des Gewerbes und Verkehrs, des häuslichen und geselligen Lebens" dienen, und nennt als Beispiele hierfür "Formulare, Preislisten, Werbedrucksachen, Familienanzeigen, Geschäfts-, Jahres- und Verwaltungsberichte". Diese Regelung, die sich mit gleichem oder nur unwesentlich abweichendem Wortlaut auch in den Pressegesetzen der anderen Bundesländer (mit Ausnahme Bayerns) findet (vgl. Löffler, Presserecht 3. Aufl. Bd. I § 7 LPG S. 361 ff. und Stöckel in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, P 190 Vorb. Rdn. 9), entzieht die bezeichneten Druckwerke der Geltung aller Bestimmungen des Landespressegesetzes, die an das Vorliegen eines Druckwerks anknüpfen; das gilt mithin auch für die in § 12 Abs. 1 HessPresseG getroffene Verjährungsregelung.

Zu den in § 4 Abs. 2 Nr. 2 HessPresseG genannten Druckwerken gehören auch Prospekte im Sinne des § 264 a StGB. Sie sind - ungeachtet der sie kennzeichnenden, formal-inhaltlichen Besonderheiten (Angaben über die angebotene Kapitalanlage, Anspruch auf Vollständigkeit) - Werbeschriften (Lackner, StGB 20. Aufl. § 264 a Rdn. 10; Dreher/Tröndle, StGB 46. Aufl. § 264 a Rdn. 9; Cramer in Schönke/Schröder, StGB 24. Aufl. § 264 a Rdn. 18 f; Samson in SK § 264 a Rdn. 23); sie lassen sich daher bereits den in dieser Bestimmung beispielhaft erwähnten "Werbedrucksachen" zuordnen und dienen nach ihrem objektiven Charakter, für den Inhalt und Beschaffenheit maßgebend sind (RGSt 14, 279, 282 f; 36, 11, 13; 66, 145 f; Löffler aaO Rdz. 58), unmittelbar und ausschließlich (RGSt 36, 11, 13 f; Löffler aaO; Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts 3. Aufl. 12. Kap. Rdz. 20) den "Zwecken eines Gewerbes". Daß unter den weit auszulegenden Begriff des Gewerbes (vgl. hierzu RGSt 20, 63, 65; Löffler aaO Rdz. 59; Löffler/Ricker aaO Rdz. 21) auch die privatwirtschaftliche Betätigung im Rahmen von Kapitalanlagegeschäften fällt, kann nicht zweifelhaft sein.

Dem entsprechen die Feststellungen, die das Landgericht zu dem hier in Rede stehenden Prospekt getroffen hat. Dieser zielte seinem Inhalt nach darauf ab, Kapitalanleger für die Beteiligung an einem Immobilienfonds zu werben, mit dessen Einrichtung die vom Angeklagten geleitete, in dieser Branche tätige Firma die Absicht erwerbswirtschaftlicher Gewinnerzielung verband. An dieser Zweckbestimmung ändert es nichts, daß der Prospekt - wie das Landgericht festgestellt hat - auch "allgemeine Angaben über Inflation und Steuern, die Darstellung einer Zinseszinsrechnung sowie meinungsbildende Wertungen über die Sicherheit der Renten und Inflationsschutz" enthielt. Angaben, Darstellungen und Wertungen dieser Art dienen innerhalb eines Prospekts, der für einen Immobilienfonds wirbt, allein dazu, das Interesse des Lesers an der angebotenen Kapitalanlage zu wecken und ihm den Gedanken einer Beteiligung nahezulegen; sie halten sich damit im Rahmen des ausschließlich verfolgten gewerblichen Zwecks.

Das Landgericht vertritt demgegenüber die Ansicht, daß § 4 Abs. 2 Nr. 2 HessPresseG nach seinem Sinn und Zweck hier keine Anwendung finden könne, weil die Vorschrift allein auf die Befreiung von bestimmten presserechtlichen Verpflichtungen abziele und nur "harmlose" Druckwerke meine. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift sind die darin bezeichneten Druckwerke nicht nur in einzelnen Beziehungen, sondern insgesamt von der Geltung der Vorschriften des HessPresseG ausgenommen. Ob sie "harmlos" sind oder nicht, ist dabei ohne Belang. Daran ändert es nichts, daß sich in Schrifttum und Rechtsprechung die Bezeichnung "harmlose Druckwerke" durchgesetzt hat. Denn dabei handelt es sich nur um einen abkürzenden, der leichteren terminologischen Verständigung dienenden Sprachgebrauch. Dieser geht auf die Zeit der Geltung des Gesetzes über die Presse vom 7. Mai 1874 (RGBl. S. 65) zurück, dessen § 6 Abs. 2 Druckwerke dieser Art lediglich von der Impressumpflicht freistellte. Schon damals wurde aber "Harmlosigkeit" des Druckwerks nicht etwa als rechtserhebliches Merkmal gewertet (vgl. KG GA 51 (1902), 59 f); umso weniger kann diesem - zumindest mißverständlichen - Sprachgebrauch nach der jetzigen Gesetzeslage rechtliche Bedeutung zuerkannt werden.

Die Rechtsansicht des Landgerichts läßt sich auch nicht mit dem Hinweis auf Regelungen in anderen Gesetzen (§ 4 UWG, § 38 Abs. 5 GWB) und die dazu ergangene Rechtsprechung begründen. Die Gesetzesregelungen selbst stehen der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Die Frage nach dem Anwendungsbereich des § 4 Abs. 2 Nr. 2 HessPresseG hat sich in diesem Zusammenhang, soweit ersichtlich, bislang nicht gestellt, ist jedenfalls noch nicht höchstrichterlich entschieden worden.

Für Kapitalanlagebetrug, der durch unrichtige oder unvollständige Angaben in gedruckten Prospekten begangen wird, gilt mithin nicht die kurze Verjährung des Presserechts; zugrundezulegen ist vielmehr die an der Strafdrohung des § 264 a StGB ausgerichtete Verjährungsfrist von fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Diese Frist war bei der Urteilsverkündung am 18. Mai 1994 noch nicht verstrichen. Die Verjährung der 1987 begonnenen Tat war jeweils in Abständen von weniger als fünf Jahren unterbrochen worden, so durch den Durchsuchungsbeschluß des Amtsgerichts Wiesbaden vom 12. Juli 1989 (§ 78 c Abs. 1 Nr. 4 StGB) und durch die Anklageerhebung am 5. Oktober 1992 (§ 78 c Abs. 1 Nr. 6 StGB). Da die Frist danach jedesmal von neuem zu laufen begann (§ 78 c Abs. 3 Satz 1 StGB), ist Verjährung nicht eingetreten.

Externe Fundstellen: BGHSt 40, 385; NJW 1995, 892; NStZ 1995, 240

Bearbeiter: Karsten Gaede