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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 456/94, Beschluss v. 25.01.1995, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 456/94 - Beschluss vom 25. Januar 1995 (OLG Köln)

BGHSt 40, 395; Zuständigkeit zur Entgegennahme der Erklärung, dass der Rechtsmittelführer von der ursprünglich eingelegten Berufung zur (Sprung-) Revision übergehe (Amtsgericht, das die angegriffene Entscheidung erlassen hat; Revisionsbegründung).

§ 313 StPO; § 321 StPO; § 335 StPO; § 341 Abs. 1 StPO; § 345 Abs. 1 StPO

Leitsatz des BGH

Die Erklärung, dass der Rechtsmittelführer von der ursprünglich eingelegten Berufung zur (Sprung-) Revision übergehe, und die Revisionsbegründung müssen bei dem Amtsgericht angebracht werden, das die angegriffene Entscheidung erlassen hat. (BGHSt)

Entscheidungstenor

Die Erklärung, daß der Rechtsmittelführer von der ursprünglich eingelegten Berufung zur (Sprung-) Revision übergehe, und die Revisionsbegründung müssen bei dem Amtsgericht angebracht werden, das die angegriffene Entscheidung erlassen hat.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Siegburg hat den Angeklagten durch Urteil vom 18. Januar 1994 wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 15,-- DM verurteilt und eine Sperrfrist von fünf Jahren für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet. Hiergegen hat der Verteidiger des Angeklagten mit einem am 19. Januar 1994 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Daraufhin hat das Amtsgericht die Akten über die Staatsanwaltschaft dem Landgericht Bonn vorgelegt, wo sie am 24. Februar 1994 eingegangen sind. Nach der am 9. Februar 1994 erfolgten Zustellung des Urteils hat der Verteidiger mit einem an das "Landgericht - 6. Strafkammer -" in Bonn gerichteten und am 9. März 1994 dort eingegangenen Schriftsatz erklärt, das Rechtsmittel als Revision durchführen zu wollen. Zugleich hat er die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt. Das Landgericht hat die Akten über die Staatsanwaltschaft dem Oberlandesgericht Köln vorgelegt, ohne daß sie zuvor noch einmal zum Amtsgericht Siegburg gelangt wären.

Das Oberlandesgericht hält sich zur Entscheidung nicht für berufen. Es ist der Auffassung, das Rechtsmittel des Angeklagten müsse, entsprechend seiner ursprünglichen Bezeichnung, als Berufung durchgeführt werden, da der Übergang von der gegen das amtsgerichtliche Urteil rechtzeitig eingelegten Berufung zur Revision nicht wirksam erklärt worden sei. Zwar sei auch nach Berufungseinlegung - innerhalb der Revisionsbegründungsfrist - der Übergang zur Revision zulässig, die Ausübung des Wahlrechts sei jedoch gegenüber dem Amtsgericht zu erklären. Ebenso wie das Rechtsmittel selbst bei dem Gericht eingelegt werden müsse, dessen Urteil angefochten wird, sei auch die Bezeichnung dieses Rechtsmittels als Berufung oder Revision dem Ausgangsgericht gegenüber vorzunehmen. Das Oberlandesgericht möchte die Sache daher in entsprechender Anwendung von § 348 StPO an das Landgericht Bonn abgeben.

An der beabsichtigten Sachbehandlung sieht sich das Oberlandesgericht durch den Beschluß des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 7. Januar 1994 (NStZ 1994, 203) gehindert. Dieses vertritt die Auffassung, daß der Übergang von der Berufung zur Revision "jedenfalls auch" beim Landgericht wirksam erklärt werden könne, wenn das Verfahren dort nach Übersendung der Akten gemäß § 321 StPO anhängig sei.

Das Oberlandesgericht Köln hat die Sache deshalb gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt (NStZ 1994, 557):

"Kann der Rechtsmittelführer die Erklärung, daß er von der ursprünglich eingelegten Berufung gegen ein amtsgerichtliches Urteil zur (Sprung-) Revision übergehe, ebenso wie die Revisionsbegründung fristwahrend nur beim Amtsgericht anbringen oder dürfen Übergangserklärung und Revisionsbegründung wirksam auch beim Landgericht eingereicht werden, wenn das Verfahren dort gemäß § 321 StPO bereits anhängig ist?"

II.

Die Voraussetzungen für eine Vorlegung nach § 121 Abs. 2 GVG sind gegeben.

Durch die beabsichtigte Sachbehandlung würde das Oberlandesgericht Köln in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der tragenden Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Zweibrücken abweichen.

Allerdings lag der Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken ein vom vorliegenden abweichender Sachverhalt zugrunde. Der Beschwerdeführer hatte eine Berufung eingelegt, welche gemäß § 313 Abs. 1 StPO der Annahme bedurfte; den Übergang zur Revision hatte er erst erklärt, nachdem der Vorsitzende des Berufungsgerichts mitgeteilt hatte, er werde die Berufung nicht annehmen.

Darin liegt jedoch kein rechtserheblicher Unterschied. Zwar mag es für die Entscheidung des Angeklagten, welches Rechtsmittel er einlegt, in tatsächlicher Hinsicht von Bedeutung sein, ob er eine Berufung durchführen könnte oder nicht. Für die rechtliche Zulässigkeit der Sprungrevision (§ 335 StPO) kommt es nach der vom Senat geteilten Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (StV 1993, 572) darauf aber nicht an. Daher können auch die Wirksamkeitsvoraussetzungen für den Übergang von der Berufung zur Revision nur einheitlich beurteilt werden.

Der Vorlegung steht auch nicht entgegen, daß die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Köln nicht zu einer das Verfahren beendenden Entscheidung, sondern zur Abgabe des Verfahrens an das Berufungsgericht führen soll (vgl. BGHSt 12, 213, 216; 13, 388, 390). Denn die Abgabe enthält zugleich die Entscheidung, das Rechtsmittel der Sprungrevision sei wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO).

III.

In der Sache selbst tritt der Senat der Rechtsauffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts, die auch von der Literatur überwiegend geteilt wird (vgl. Hanack in Löwe-Rosenberg, StPO 24. Aufl. Rdn. 9; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 41. Aufl. Rdn. 6 jeweils zu § 335; Frisch in SK-StPO Rdn. 242 vor § 296), bei.

Gemäß § 341 Abs. 1 StPO hat die Revisionseinlegung bei dem Gericht zu erfolgen, dessen Urteil angefochten wird; bei diesem Gericht ist auch die Revisionsbegründung anzubringen (§ 345 Abs. 1 StPO). Abweichungen sind nur in wenigen Ausnahmefällen zugelassen, so bei Verbindung der Rechtsmittelerklärung mit einem Wiedereinsetzungsgesuch (§ 45 Abs. 1 Satz 2 StPO), bei Urteilen auswärtiger Zweigstellen oder auswärtiger Strafkammern (vgl. Frisch a.a.O. Rdn. 192 vor § 296 StPO; Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O. Rdn. 6; KK-Pikart 3. Aufl. Rdn. 6 jeweils zu § 341 StPO m.w.N.) sowie für nicht auf freiem Fuß befindliche Angeklagte (§ 299 StPO).

Einen weiteren Ausnahmefall für den von der Rechtsprechung gebilligten Übergang von der Berufung zur Revision zuzulassen, besteht keine verfahrensrechtliche Grundlage.

1. Wenn ein Urteil sowohl mit der Berufung als auch mit der (Sprung-) Revision angefochten werden kann (§ 335 StPO), ist der Übergang vom Rechtsmittel der Berufung zum Rechtsmittel der Revision grundsätzlich auch dann noch zulässig, wenn der Rechtsmittelführer sein Rechtsmittel bereits ausdrücklich als Berufung bezeichnet hat, vorausgesetzt, die für den Übergang erforderliche Erklärung erfolgt innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO (BGHSt 5, 338 f; 13, 388; 17, 44; 33, 183, 187; KK-Pikart a.a.O. Rdn. 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O. Rdn. 10 jeweils § 335 StPO; Frisch a.a.O. Rdn. 250-252 vor § 296 StPO). Die Erklärung des Übergangs ist eine Rechtsmitteleinlegung und wie diese zu behandeln (vgl. u.a. BayObLG MDR 1983, 1045, 1046). Sie ist ebenso wie die Revisionsbegründung grundsätzlich bei dem Gericht anzubringen, das das angegriffene Urteil erlassen hat.

2. In Fällen, in denen das Rechtsmittel als Berufung bezeichnet worden war, kann dies dazu führen, daß die Akten dem Berufungsgericht vorgelegt werden, bevor der Beschwerdeführer sein Wahlrecht verloren hat. Das Berufungsgericht ist dann zwar mit der Sache befaßt, damit ist aber keine die Zuständigkeit verändernde Sachlage eingetreten. Solange der Übergang zur Revision noch zulässig ist, handelt es sich allenfalls um eine bedingte und damit vorläufige Zuständigkeit des Berufungsgerichts, da das Rechtsmittel als unter dem Vorbehalt der endgültigen Bestimmung eingelegt anzusehen ist (BGHSt 17, 44, 48; 25, 321, 324; KK-Pikart a.a.O. Rdn. 5 zu § 335 StPO). Das Berufungsgericht kann, solange seine Zuständigkeit nicht festliegt, noch keine endgültigen Maßnahmen treffen. Terminsbestimmung, Zeugenladungen oder Ersuchen um kommissarische Vernehmung haben nur vorläufigen Charakter und stehen unter dem Vorbehalt des Widerrufs (weitergehend: OLG Frankfurt am Main NStZ 1991, 506).

3. Wenn ein Urteil eines Amtsgerichts angefochten wird, soll vielmehr nach der gesetzlichen Konzeption (§§ 319, 320, 346, 347 StPO) zunächst dieses Gericht die Ordnungsmäßigkeit der Rechtsmittel prüfen, sie gegebenenfalls als unzulässig verwerfen, andernfalls die Akten an das zuständige Gericht weiterleiten. Dabei hat es auch die Möglichkeit unterschiedlicher Rechtsmittel der Verfahrensbeteiligten (Angeklagter, Staatsanwaltschaft und Nebenkläger) zu beachten. Für den Angeklagten bleibt die Möglichkeit gegeben, zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts (§ 345 Abs. 2 StPO) oder beim Amtsgericht des Verwahrungsortes (§ 299 StPO) Rechtsmittelerklärungen abzugeben, die, wenn sie sich nicht mit denen seines Verteidigers decken, Vorrang haben (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg § 297 Rdn. 12).

4. Schon daraus folgt, daß die dem Gesetzeswortlaut entsprechende Zuständigkeit des Amtsgerichts nicht preisgegeben werden könnte. Für die Annahme einer daneben bestehenden Empfangszuständigkeit des Landgerichts aber ist dann kein Raum.

Sie wäre für die Verfahrensbeteiligten kein Gewinn, da der Zeitpunkt des Eingangs der Akten beim Berufungsgericht oft von Zufällen abhängt. Die wenigen Fälle, in denen ein Verfahrensbeteiligter sichere Kenntnis davon hat, daß die Akten dem Berufungsgericht vorliegen, rechtfertigen ein Beiseiteschieben des Gesetzeswortlauts nicht, da anderen Verfahrensbeteiligten diese Kenntnis fehlen kann.

Vielmehr kommt dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit ausschlaggebende Bedeutung zu. Dieser Grundsatz wirkt sich im Bereich des Verfahrensrechts unter anderem auch im Postulat der Rechtsmittelklarheit aus. Dem Rechtsuchenden muß in klarer Abgrenzung der Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen gewiesen werden (vgl. BVerfGE 49, 148 f, 164; 4, 31, 37). Formvorschriften sind formale Ordnungsvorschriften, die der Rechtssicherheit dienen und deshalb eindeutig und klar verständlich sein müssen (für Fristvorschriften: BVerfGE 4, 31, 37; BGHSt 36, 241, 242). Das muß insbesondere gelten, wenn dem Rechtsmittelführer kein Nachteil entstehen kann. Die Beachtung des Gesetzeswortlauts führt hier lediglich dazu, daß sein Rechtsmittel als Berufung behandelt wird (vgl. BGHSt 33, 183, 189; KK-Pikart a.a.O. Rdn. 6; Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O. Rdn. 5 jeweils zu § 335 StPO m.w.N.; Frisch a.a.O. Rdn. 242 vor § 296 StPO).

5. Der Senat beantwortet daher die Vorlegungsfrage wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich. Die Entscheidung entspricht dem Antrag des Generalbundesanwalts.

Externe Fundstellen: BGHSt 40, 395; NJW 1995, 2367; StV 1995, 174

Bearbeiter: Karsten Gaede