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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 200/91, Urteil v. 30.10.1991, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 2 StR 200/91 - Urteil vom 30. Oktober 1991 (LG Frankfurt/Main)

BGHSt 38, 102; Recht auf ein faires Strafverfahren; Informationspflicht des Gericht gegenüber allen Verfahrensbeteiligten bei Absprache mit Verteidigung ("deal").

Art. 6 EMRK; § 33 StPO; § 261 StPO

Leitsatz

Will das Gericht einem Angeklagten für den Fall eines Geständnisses einen bestimmten Strafrahmen in Aussicht stellen, so muss es zuvor allen Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Äußerung geben. (BGHSt)

Entscheidungstenor

I. Die Revision des Angeklagten Y gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 23. März 1990 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

II. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es den Angeklagten D betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten Y. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt und ihn im übrigen freigesprochen. Mit seiner Revision macht der Angeklagte geltend, daß die Strafklage verbraucht sei; außerdem rügt er die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts.

Den Angeklagten D. hat das Landgericht unter Freisprechung im übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten verurteilt. Außerdem hat es sichergestellte Betäubungsmittel, eine Waffe nebst Munition sowie einen Pkw eingezogen. Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten Revision eingelegt und diese auf den Strafausspruch beschränkt; sie rügt, das Gericht habe aufgrund eines Verfahrensfehlers die Strafe zu niedrig bemessen.

A) Die Revision des Angeklagten Y. hat keinen Erfolg.

Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Angeklagte im Juni 1987 seinem Landsmann Du. auf dessen Anfrage die Lieferung von 25 g Heroinzubereitung für 5.000,-- DM zugesagt und kurz danach 21 g mit einem Wirkstoffanteil von 10 % gegen das Versprechen Du's, später zu bezahlen, übergeben.

I. Verfahrenshindernis

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers steht die angeklagte Tat vom Juni 1987 nicht mit der rechtskräftig abgeurteilten Tat vom 7. August 1987 in Fortsetzungszusammenhang. Die jeweiligen Feststellungen lassen nicht die Annahme zu, daß der Angeklagte beide Taten im Rahmen eines eingespielten Bezugs- und Vertriebssystems begangen habe.

II. Verfahrensrügen

Der Angeklagte hat die Tat bestritten. Die Strafkammer stützt ihre Überzeugung auf die für glaubhaft erachteten Aussagen, die Du. gleichbleibend am 15. September 1987 vor der Polizei als Beschuldigter und am 28. November 1988 in der Hauptverhandlung als Zeuge gemacht hat.

Die Verfahrensrügen sind zum Teil mangels ausreichenden Sachvortrags unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), im übrigen unbegründet. Der Erörterung bedürfen nur folgende Rügen, mit denen der Beschwerdeführer Verletzungen des Beweisantragsrechts und der Aufklärungspflicht geltend macht, auf Grund deren das Gericht die Aussagen Du's zu Unrecht als glaubhaft erachtet habe:

1. Der Verteidiger hatte am 6. Oktober 1989 beantragt, ein Sachverständigengutachten darüber einzuholen, daß Du. "nach (seiner) Festnahme in einer desolaten psychischen Verfassung" war und "über einen längeren Zeitraum hinweg unter Störungen litt, die auf die Glaubwürdigkeit einen Einfluß haben". Die Strafkammer hatte sich daraufhin erfolglos bemüht, den Aufenthalt Du's ausfindig zu machen. Am 16. Februar 1990 lehnte sie den Antrag wegen völliger Ungeeignetheit des beantragten Beweismittels ab. Da Du., weil nicht danach gefragt, seinerzeit die Anstaltsärztin nicht von der Schweigepflicht entbunden habe, könnten weder diese befragt, noch aus den Gesundheitsakten Erkenntnisse gewonnen werden. Auch aus seinen Angaben vom 22. Juli 1987 über seine damaligen Entzugserscheinungen sowie seinen unbestimmten Aussagen vom 28. November 1988 über seinen früheren Heroinkonsum ergäben sich keine ausreichenden tatsächlichen Grundlagen für die Erstellung des beantragten Gutachtens. Im Zusammenhang mit einem anderen Beweisantrag stellte die Strafkammer dennoch bis zum 9. März 1990 weitere Nachforschungen nach dem Aufenthalt Du's an, die aber gleichfalls erfolglos blieben. Am 23. März 1990, nach Schluß der Beweisaufnahme, teilte der Angeklagte mit, die Anschrift des Zeugen Du. sei A.-Straße 6 in Frankfurt am Main. Die Strafkammer hat diesen Hinweis nicht überprüft, sondern am selben Tag nach Beratung das Urteil verkündet.

Die Rüge hat keinen Erfolg. Der Ablehnungsbeschluß vom 16. Februar 1990 läßt keinen Rechtsfehler erkennen und wird auch von der Revision nicht beanstandet. Es ist danach wenn man trotz des unvollständigen Sachvortrags die Zulässigkeit der Rüge unterstellt - nur zu prüfen, ob sich das Gericht aufgrund seiner Aufklärungspflicht gedrängt sehen mußte zu prüfen, ob Du. nunmehr an der genannten Anschrift zu erreichen sei. Diese Prüfung war nicht geboten. Die Strafkammer hatte bis zum 9. März 1990 erfolglos die zumutbaren Nachforschungen angestellt; der Angeklagte hatte damals auf die Möglichkeit hingewiesen, daß Du. sich in die Türkei begeben haben könne. Schon aufgrund dieser Vorgeschichte hätte er zusätzliche Ermittlungsbemühungen des Gerichts nur dann erwarten dürfen, wenn er seine Erklärung mit weiteren Tatsachenangaben belegt hätte. Hinzu kommt, daß schon die im Beweisantrag aufgestellte Behauptung in sich nicht schlüssig und zu unbestimmt war: Eine desolate psychische Verfassung hat nicht ohne weiteres Einfluß auf die Glaubwürdigkeit der betreffenden Person. Hier ergaben sich Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Annahme des Angeklagten zum einen aus der Aussage Du's vom 15. September 1987, er habe seit seiner Inhaftierung am 21. Juli 1987 keine Drogen mehr genommen und könne deshalb der Vernehmung jederzeit folgen, zum anderen daraus, daß er seine den Angeklagten belastenden Angaben auch als Zeuge am 28. November 1988 wiederholt hat, zu einem Zeitpunkt also, für den der Angeklagte eine die Glaubwürdigkeit beeinflussende Drogenabhängigkeit nicht behauptet hatte.

2. Den Antrag des Angeklagten vom 2. März 1990 auf Vernehmung Du's zum Beweis dafür, daß dieser Heroin ausschließlich von einem Kurden namens H. bezogen habe, hatte die Strafkammer mit Beschluß vom 9. März 1990 aufgrund der Erfolglosigkeit der bis dahin angestellten Ermittlungen (siehe oben) rechtsfehlerfrei wegen Unerreichbarkeit Du's zurückgewiesen. Aufgrund der späteren, nicht näher belegten Mitteilung des Angeklagten über die Anschrift Du's ergab sich für die Strafkammer auch deswegen keine Pflicht zu weiteren Ermittlungsbemühungen, weil Du. zur Frage der Herkunft des in Rede stehenden Rauschgifts am 28. November 1988 bereits vernommen worden war, der Beweisantrag somit nur auf Wiederholung einer bereits durchgeführten Beweiserhebung abzielte.

3. Auf einen Beweisantrag des Angeklagten hatte die Strafkammer als wahr unterstellt, daß

- Du. im September 1987 durch Dritte in der Vollzugsanstalt beeinflußt worden war, gegenüber Ermittlungsbehörden falsch auszusagen, und dies in der Folgezeit getan hat,

- aufgrund dessen Anklage zum Amtsgericht erhoben wurde, die jedoch wegen Verfahrenseinstellung gemäß § 154 StPO nicht zur Verhandlung kam, und

- Du. etwa zur gleichen Zeit Angaben bezüglich des Angeklagten Y. machte.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat sich die Strafkammer in den Urteilsgründen zu dieser Wahrunterstellung nicht in Widerspruch gesetzt. Sie hat vielmehr (UA Bl. 25, 26) ausdrücklich dargelegt, weshalb sie entgegen den vom Angeklagten vorgebrachten Bedenken die Aussagen Du's, soweit sie den Angeklagten betrafen, für glaubhaft erachtet hat. Wenn der Beschwerdeführer darüber hinaus hätte geltend machen wollen, daß sich aus jener Anklageschrift konkrete Anhaltspunkte für eine Falschaussage auch in Bezug auf den Angeklagten ergaben, deren Erörterung in den Urteilsgründen geboten war, aber vom Gericht pflichtwidrig unterlassen wurde, hätte er nicht nur diese Zielrichtung klar zum Ausdruck bringen, sondern überdies den Inhalt der Anklageschrift vortragen müssen.

III. Sachrüge

Die auf die Sachrüge gebotene Prüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt.

B) Die Revision der Staatsanwaltschaft, die zu Ungunsten des Angeklagten D. den ihn betreffenden Strafausspruch angreift, hat Erfolg.

1. a) Die Beschwerdeführerin macht einen Verstoß gegen die §§ 33, 261 StPO geltend. Sie trägt vor, das Gericht habe im Laufe des Verfahrens eine Absprache mit der Verteidigung dahin getroffen, daß der Angeklagte im Falle eines Geständnisses bezüglich der beiden Straftaten mit einer Freiheitsstrafe zwischen fünf Jahren und fünf Jahren und elf Monaten zu rechnen habe. Daraufhin habe der Angeklagte (auch) das Betäubungsmitteldelikt gestanden. Die Staatsanwaltschaft habe von der Absprache erst durch die mündliche Urteilsbegründung des Vorsitzenden Kenntnis erlangt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß die Festsetzung der Einzelfreiheitsstrafen und der Gesamtfreiheitsstrafe von der Absprache beeinflußt worden seien.

b) Auf Grund der von den Staatsanwälten und auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft von den Berufsrichtern abgegebenen dienstlichen Erklärungen ist der Senat im Hinblick auf die Vorgänge vor der Urteilsverkündung von folgendem Sachverhalt überzeugt:

Auf Anfrage des Verteidigers, mit welchem Strafmaß der Angeklagte im Falle eines Geständnisses bezüglich der beiden Straftaten rechnen könne, hat die Strafkammer unter Einschluß der Schöffen eine Zwischenberatung durchgeführt. Dem Verteidiger wurde als Ergebnis dieser Beratung mitgeteilt, daß der Angeklagte im Falle eines Geständnisses und unter der Voraussetzung, daß sich die Beweislage nicht ändere, mit einer Freiheitsstrafe zwischen fünf Jahren und fünf Jahren und elf Monaten zu rechnen habe. Der Berichterstatter und - inhaltlich damit übereinstimmend - der Vorsitzende haben dazu dienstlich erklärt:

"Dabei war das damalige Beweisergebnis zugrundegelegt worden. Es wurde dabei davon ausgegangen, daß beide Angeklagten" - das Verfahren gegen den Mitangeklagten ist später abgetrennt worden; er hat gegen seine Verurteilung nicht revidiert - "in Bezug auf den Rauschgifthandel mit rund 2 Kilogramm Heroin nicht als Drahtzieher oder Personen angesehen werden könnten, die maßgeblichen Einfluß auf das Schicksal des Rauschgiftes hatten. Auch war klar, daß dieses Zwischenergebnis nur insoweit Gültigkeit haben sollte, als sich an der Beweislage nichts Entscheidendes ändert. Dieses Ergebnis wurde schließlich den Verteidigern ... auch so mitgeteilt."

In der Folgezeit legte der Angeklagte D. ein Geständnis ab. Gleichwohl führte die Strafkammer eine unverkürzte Beweisaufnahme durch. Im Urteil setzte sie Einzelstrafen von fünf Jahren für das Betäubungsmitteldelikt und von sieben Monaten für das Vergehen gegen das Waffengesetz sowie die Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten fest. Die Staatsanwaltschaft war an der erwähnten Verständigung zwischen Verteidigung und Gericht nicht beteiligt und ist auch in der Folgezeit nicht davon unterrichtet worden. Der Sitzungsvertreter zog zwar aus der Art der Prozeßführung Schlüsse darauf, daß Zusagen gemacht worden seien, jedoch sah die Staatsanwaltschaft eine ausreichende Grundlage für ihre in der Revisionsbegründungsschrift dargestellte Annahme erst in Ausführungen des Vorsitzenden in der mündlichen Urteilsbegründung.

2. Dieses Verfahren ist zu beanstanden. Allerdings sieht der Senat den Fehler nicht schon darin, daß die Strafkammer auf die außerhalb der Hauptverhandlung vom Verteidiger an den Vorsitzenden oder den Berichterstatter gerichtete Frage ohne vorherige Unterrichtung der Staatsanwaltschaft eine Zwischenberatung abgehalten hat. Zwar versteht es sich von selbst, daß sich das Gericht auch für eine Zwischenberatung nach Möglichkeit die Kenntnis der Auffassung aller vom Beratungsgegenstand betroffenen Verfahrensbeteiligten verschaffen sollte. Jedoch kann auch ein Vorgehen, wie es hier gewählt wurde, unter Umständen zweckmäßig oder gar notwendig sein. Das gilt etwa, wenn sich das Gericht zunächst Klarheit verschaffen will, ob es eine Frage oder Anregung, mit der es auf diese Weise konfrontiert wurde, überhaupt aufgreifen und weiterverfolgen soll.

Rechtsfehlerhaft wird das Verfahren aber, wenn das Gericht einem Verfahrensbeteiligten ein für dessen Prozeßverhalten bedeutsames Zwischenberatungsergebnis mitteilt, ohne zuvor den anderen Verfahrensbeteiligten durch Hinweis auf die zur Erörterung stehende Frage Gelegenheit zur Äußerung gegeben zu haben. Zwar kann weder diese Mitteilung, noch ein daraufhin vom Angeklagten abgelegtes Geständnis eine Bindung des Gerichts in dem Sinne bewirken, daß die endgültige Gerichtsentscheidung dem in Aussicht gestellten Ergebnis entsprechen müsse. Das versteht sich von selbst für Fälle, in denen nach Ablegung des Geständnisses Umstände bekannt werden, die eine andere Beurteilung seines Wertes oder des Schuldumfangs erfordern, oder in denen - nach Verfahrensaussetzung, in der Berufungsinstanz, nach Zurückverweisung aus der Revisionsinstanz oder im Wiederaufnahmeverfahren - andere Richter mit der Sache befaßt werden. Das Gericht darf sich auch nicht der Freiheit begeben, auf Grund besserer Einsicht die maßgeblichen Umstände anders zu gewichten und zu einer von der mitgeteilten Vorstellung abweichenden Entscheidung zu gelangen. Auch in derartigen Fällen ist das abgelegte Geständnis verwertbar. Damit wird nicht gegen das Gebot des fairen Verfahrens verstoßen. Das geltende Recht läßt einen Ausschluß dieses Risikos nicht zu - so wenig wie es die an der Verständigung Beteiligten hindert, absprachewidrig Beweisanträge zu stellen oder Rechtsmittel einzulegen. Gleichwohl schafft eine solche Mitteilung bei dem Adressaten einen Vertrauenstatbestand. In jedem Fall hat er Anspruch darauf, vom Gericht, bevor es zu seinen Ungunsten von der in Aussicht gestellten Entscheidung abweicht, auf dieses Vorhaben hingewiesen zu werden (BGHSt 36, 210). Aus diesem Grunde ist die Bekanntgabe des Ergebnisses der Zwischenberatung des Gerichts an einen Verfahrensbeteiligten ein unmittelbar verfahrenserheblicher Vorgang. Für ihn ist - in Anwendung des Grundsatzes des § 33 StPO - zu verlangen, daß die davon betroffenen anderen Verfahrensbeteiligten zuvor Gelegenheit erhalten, sich dazu zu äußern.

Daß dies hier nicht geschehen ist, begründet einen Verfahrensfehler. Es ist nicht auszuschließen, daß die Staatsanwaltschaft bei ordnungsgemäßer Anhörung die Entscheidung zu Ungunsten des Angeklagten hätte beeinflussen können.

Externe Fundstellen: BGHSt 38, 102; NJW 1992, 519; NStZ 1992, 139; StV 1992, 50

Bearbeiter: Rocco Beck