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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1152

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 284/25, Beschluss v. 30.06.2025, HRRS 2025 Nr. 1152


BGH 2 StR 284/25 - Beschluss vom 30. Juni 2025 (LG Frankfurt am Main)

Nicht geringe Menge (Grenzwertbestimmung: Methadon, Levomethadonhydrochlorid, L-Poladdict, Levo-Methasan, razemisches Methadonhydrochlorid, Buprenorphin); Anwendungsbereich des Betäubungsmittelgesetzes (Abgrenzung zum Arzneimittelgesetz: Clonazepam); Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken.

§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG; Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG; § 43 Abs. 1 AMG; § 95 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 AMG; § 1 Abs. 1 Satz 1 BtMVV

Leitsatz des Bearbeiters

Nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 AMG macht sich strafbar, wer entgegen § 43 Abs. 1 Satz 2 AMG außerhalb von Apotheken mit Arzneimitteln, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, Handel treibt. Dabei ist das Tatbestandsmerkmal des Handeltreibens ebenso zu verstehen wie im Betäubungsmittelrecht. Das in § 95 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 AMG normierte Handelsverbot mit Arzneimitteln außerhalb von Apotheken richtet sich gegen jedermann, also auch gegen Unbefugte.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14. Januar 2025 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken in zwei Fällen sowie des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig ist.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt lediglich zur Abänderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts handelte der Angeklagte im Bereich des Frankfurter Hauptbahnhofs über den Jahreswechsel 2023/2024 mit Betäubungsmitteln in originalverpackten Blistern und Medikamentenfläschchen.

a) Anlässlich einer Kontrolle am 30. November 2023 verfügte er in seinen mitgeführten Tragetaschen sowie in seiner Jackentasche über 311 Tabletten L-Poladdict mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 8.320 Milligramm „Methadon“, vier Tabletten Levo-Methasan mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 80 Milligramm „Methadon“, 170 Tabletten Methaddict mit einem Wirkstoffgehalt von 7.760 Milligramm „Methadon“, acht Tabletten mit dem Wirkstoff Buprenorphin (Wirkstoffgehalt insgesamt 52 Milligramm), drei Fläschchen Methadon mit einem Wirkstoffgehalt von 44 Milliliter „Methadon“ sowie vier Fläschchen L-Polamidon mit einem Wirkstoffgehalt von 48 Milliliter „Methadon“. In seiner Umhängetasche befand sich griff- und einsatzbereit ein Reizstoffsprühgerät. Die Strafkammer hat eine Gesamtmenge von 16,6 Gramm gehandeltes „Methadon“ errechnet und unter der Annahme eines Grenzwertes zur nicht geringen Menge von sechs Gramm „Methadon“ den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) schuldig gesprochen (Fall II.1 der Urteilsgründe).

b) Bei der nächsten Kontrolle am 12. Dezember 2023 verfügte er über 13 Tabletten L-Poladdict mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 260 Milligramm „Methadon“, 98 Tabletten Methaddict mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 4.760 Milligramm „Methadon“, 37 Tabletten mit dem Wirkstoff Buprenorphin mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 284 Milligramm, 80 Tabletten Rivotril mit jeweils zwei Milligramm Clonazepam und zwölf Fläschchen „Methadon“ mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 164 Milliliter. Die Strafkammer ist von insgesamt 6,66 Gramm gehandeltem „Methadon“ ausgegangen und hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) verurteilt (Fall II.2 der Urteilsgründe).

c) Am 20. Dezember 2023 verfügte der Angeklagte bei einer Kontrolle über 63 Tabletten Methaddict mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 2.520 Milligramm „Methadon“, 17 Tabletten Rivotril mit jeweils zwei Milligramm Clonazepam, 109 Tabletten L-Poladdict mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 3.270 Milligramm „Methadon“, 27 Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 216 Milligramm Buprenorphin und zwei Fläschchen „Methadon“ mit einem Wirkstoffgehalt von 36 Milliliter. Die Strafkammer ist insgesamt von 6,15 Gramm gehandeltem „Methadon“ ausgegangen und hat einen weiteren Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ausgeurteilt (Fall II.3 der Urteilsgründe).

d) Bei der letzten Kontrolle am 4. Januar 2024 verfügte der Angeklagte über acht Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 16 Milligramm Buprenorphin, 13 Tabletten L-Poladdict mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 390 Milligramm „Methadon“, weitere 102 Tabletten mit „Methadon“ (Wirkstoffgehalt 3.312 Milligramm „Methadon“) und ein Fläschchen mit „Methadon“ (Wirkstoffgehalt 14 Milliliter „Methadon“). Die Strafkammer hat den Angeklagten auf dieser Grundlage wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG) verurteilt (Fall II.4 der Urteilsgründe).

2. Die Revision des Angeklagten führt nur zur Abänderung des Schuldspruchs in den Fällen II.2 und II.3 der Urteilsgründe; im Übrigen hat die Überprüfung des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

a) Die Verurteilung im Fall II.1 der Urteilsgründe hat Bestand. Es beschwert den Angeklagten nicht, dass die Strafkammer unter Bezugnahme auf die ausführlich begründete Entscheidung des sachverständig beratenen Landgerichts Freiburg (Urteil vom 22. November 2004 ‒ 7 Ns 61 Js 31637/02 - AK 20/04, vgl. auch Patzak, in: Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 29a Rn. 94) den Grenzwert der nicht geringen Menge des Betäubungsmittels „Methadon“ einheitlich mit sechs Gramm bestimmt und nicht die vom Landgericht Freiburg überzeugend hergeleitete Unterscheidung bei der Festlegung des Grenzwertes für Levomethadonhydrochlorid auf drei Gramm (hier L-Poladdict und Levo-Methasan) und für razemisches Methadonhydrochlorid mit sechs Gramm mitvollzogen hat. Gleiches gilt, soweit die Strafkammer übersehen hat, dass der Bundesgerichtshof bei Buprenorphin den Grenzwert für eine nicht geringe Menge nach dem Betäubungsmittelgesetz auf 416,67 Milligramm festgesetzt hat (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 2007 ‒ 1 StR 52/07, BGHSt 51, 318, 323 Rn. 19).

b) Während die Überprüfung des Schuldspruchs im Fall II.4 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt hat, bedürfen die Schuldsprüche in den Fällen II.2 und II.3 der Urteilsgründe der Korrektur.

aa) Die Strafkammer hat in diesen beiden Fällen Clonazepam als „Methadon“ behandelt. Dies ist bereits für sich genommen rechtsfehlerhaft. Sie hat zudem übersehen, dass das Handeltreiben mit Medikamenten mit in der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG genannten Wirkstoffen und den dort festgelegten Dosierungen - hier zwei Milligramm Clonazepam je abgeteilte Form − nicht der Strafbarkeit des Betäubungsmittelgesetzes unterliegt (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 2024 ‒ 5 StR 516/23, Rn. 12). Handelt der Täter mit derartigen Zubereitungen innerhalb der in der Anlage III genannten Grenzwerte, werden die Betäubungsmittelzubereitungen als Arzneimittel behandelt, so dass bis zu dem Grenzwert die Vorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 AMG die Sanktionsnorm darstellt (vgl. Patzak, in: Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 2 Rn. 49 f.).

bb) Der Angeklagte hat durch den Handel mit Clonazepam sowohl im Fall II.2 der Urteilsgründe als auch im Fall II.3 der Urteilsgründe die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 AMG erfüllt. Nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 AMG macht sich strafbar, wer entgegen § 43 Abs. 1 Satz 2 AMG außerhalb von Apotheken mit Arzneimitteln, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, Handel treibt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2022 ‒ 5 StR 57/22, BGHR AMG § 95 Abs. 1 Nr. 4 Verschreibungspflicht 1 Rn. 22). Dabei ist das Tatbestandsmerkmal des Handeltreibens ebenso zu verstehen wie im Betäubungsmittelrecht (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2003 ‒ 1 StR 453/02, NStZ 2004, 457, 458 Rn. 7; vgl. auch Huth, in: Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., AMG § 95 Rn. 201). Das in § 95 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 AMG normierte Handelsverbot mit Arzneimitteln außerhalb von Apotheken richtet sich gegen jedermann, mithin auch gegen den Angeklagten als Unbefugten. Das gehandelte Clonazepam ist als Betäubungsmittel der Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BtMVV (BGBl. I 1998, S. 74, 76, 80) ausnahmslos verschreibungspflichtig. Der Angeklagte hat das Clonazepam zu Verkaufszwecken mitgeführt, um mit den Tabletten Handel zu treiben. Die Ausnahmetatbestände von der Apothekenpflicht nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 AMG greifen offensichtlich nicht.

cc) Der aufgezeigte Verstoß gegen § 95 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 AMG tritt in den Fällen II.2 und II.3 der Urteilsgründe tateinheitlich neben das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Der Grenzwert zur nicht geringen Menge der gehandelten Betäubungsmittel ist auch nach dem von der Strafkammer zugrunde gelegten einheitlichen Maßstab von sechs Gramm „Methadon“ ohne das gehandelte Clonazepam überschritten.

Im Fall II.2 der Urteilsgründe hat der Angeklagte Tabletten und Methadonfläschchen mit einem Wirkstoffgehalt von 5,184 Gramm „Methadon“ gehandelt. Dieser Handel betraf daher zunächst 86,4 Prozent der nicht geringen Menge. Hinzu tritt der Handel mit 284 Milligramm Buprenorphin, was, gemessen an dem aufgezeigten Grenzwert der nicht geringen Menge von 416,67 Milligramm Buprenorphin (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2007 ‒ 1 StR 52/07, BGHSt 51, 318, 323 Rn. 19), weiteren 68,2 Prozent der nicht geringen Menge entspricht, so dass die gesamte Handelsmenge der einer Strafbarkeit nach dem Betäubungsmittelgesetz unterfallenden Tabletten den Grenzwert zur nicht geringen Menge um 54,6 Prozent überschritt (vgl. zur Addition von Teilmengen BGH, Beschluss vom 24. November 2022 - 2 StR 375/22, Rn. 2).

Im Fall II.3 der Urteilsgründe handelte der Angeklagte insgesamt mit einem Wirkstoffgehalt von 5,826 Gramm „Methadon“ (entspricht - wiederum gemessen am Grenzwert der Strafkammer - 97,1 Prozent der nicht geringen Menge) und 216 Milligramm Buprenorphin (entspricht 51,8 Prozent der nicht geringen Menge), so dass in diesem Fall eine Überschreitung der nicht geringen Menge um 48,9 Prozent vorliegt.

dd) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen. Der geständige Angeklagte hätte sich nicht anders als geschehen gegen diesen Vorwurf verteidigen können.

3. Der Strafausspruch hat Bestand. Die Schuldspruchänderung in den Fällen II.2 und II.3 der Urteilsgründe lässt die dort zugemessenen Einzelstrafen unberührt. Der Senat schließt aus, dass die Strafkammer bei zutreffender rechtlicher Würdigung auf niedrigere Einzelstrafen erkannt hätte. Sie ist bei der Zumessung dieser beiden Einzelstrafen von jeweils einem Jahr und zehn Monaten davon ausgegangen, der Angeklagte habe im Fall II.2 der Urteilsgründe mit 6,66 Gramm „Methadon“ (Überschreitung der von der Strafkammer angenommenen nicht geringen Menge um elf Prozent) bzw. im Fall II.3 der Urteilsgründe mit 6,15 Gramm „Methadon“ (Überschreitung der nicht geringen Menge um 2,5 Prozent) gehandelt. Tatsächlich lagen die Überschreitungen ohne das zusätzlich gehandelte Clonazepam - wie aufgezeigt − im Fall II.2 der Urteilsgründe bei 54,6 Prozent und im Fall II.3 der Urteilsgründe bei 48,9 Prozent.

4. Schließlich hat die Überprüfung des angegriffenen Urteils, soweit das Landgericht von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat, sowie die Überprüfung der Einziehungsentscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

5. Der geringe Erfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1152

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede