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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1143

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 161/25, Urteil v. 02.07.2025, HRRS 2025 Nr. 1143


BGH 2 StR 161/25 - Urteil vom 2. Juli 2025 (LG Frankfurt am Main)

Strafzumessung (Einfuhr von Cannabis: Berücksichtigung der Einfuhrmenge, Kurierfälle; Vorstrafe in anderem EU-Mitgliedstaat: unzulässige strafmildernde Berücksichtigung fehlender Vorverurteilungen in Deutschland; unzulässige strafmildernde Berücksichtigung von Untersuchungshaft; Beruhen).

§ 46 StGB; § 34 KCanG; § 337 Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nur das Fehlen von Vorstrafen ist strafmildernd zu berücksichtigen, wohingegen Vorverurteilungen - ausschließlich - zu Lasten des Täters wirken. Insoweit sind einer Verurteilung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die gleichen tatsächlichen bzw. verfahrens- und materiellrechtlichen Wirkungen zuzuerkennen wie einer inländischen Verurteilung, sofern die Tat nach deutschem Recht strafbar und eine Eintragung der Verurteilung nicht tilgungsreif wäre.

2. Der - auch erstmalige - Vollzug von Untersuchungshaft ist regelmäßig für die Strafzumessung ohne Bedeutung, weil die Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet wird.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21. August 2024, soweit es die Angeklagte betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Einfuhr von Cannabis in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten erhobenen, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision - in zulässiger Weise - allein gegen den Strafausspruch. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat überwiegend Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Im Januar 2024 erklärten sich die Angeklagte und die Mitangeklagte, die sich beide in finanziellen Schwierigkeiten befanden, in Piräus/Griechenland bereit, jeweils einen Koffer mit Cannabis von Spanien nach Deutschland zu schmuggeln, wofür jede der beiden Frauen 3.000 Euro erhalten sollte. In der Folge schickte die Mitangeklagte der Angeklagten ein Lichtbild ihres Reisepasses, welches die Angeklagte an die Hinterleute weiterleitete. Die Kommunikation mit diesen erfolgte auf Albanisch, einer Sprache, die allein die Angeklagte beherrschte.

Die Angeklagte flog am 28. Januar 2024 von Athen nach Madrid; die Mitangeklagte folgte ihr einen Tag später. Dort erhielten beide Frauen jeweils einen Koffer mit Cannabis. Am 30. Januar 2024 flogen beide Frauen, jede mit einem Koffer, von Madrid nach Frankfurt, wo sie weitere Instruktionen erhalten sollten. Auf Anweisung der Hinterleute tauschten die beiden Frauen nach der Landung die von ihnen aufgegebenen Koffer. Bei der Einreise wurden beide Frauen durch Zollbeamte kontrolliert, diese stellten in den beiden Koffern 17.182,4 Gramm Cannabis mit einem Wirkstoffanteil von 17,1 % Tetrahydrocannabinol (THC) sowie 16.957,6 Gramm Cannabis mit einem Wirkstoffanteil von 16,7 % THC sicher. Die Drogen waren, was beide Frauen wussten, zum gewinnbringenden Weiterverkauf durch ihre Auftraggeber bestimmt.

Das Landgericht hat die gesamte Transportmenge von 34.140 Gramm der Angeklagten mittäterschaftlich zugerechnet und dabei auch ihre Tätigkeit als Sprachmittlerin bewertet. Es hat an der Regelwirkung des § 34 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 4 KCanG festgehalten und dabei gesehen, dass sich die Angeklagte in der Hauptverhandlung geständig eingelassen habe und in der Bundesrepublik Deutschland bisher nicht vorbestraft sei. Es habe sich um eine risikoreiche Kuriertätigkeit mit geringem finanziellen Vorteil gehandelt. Das Cannabis sei sichergestellt worden. Die Angeklagte sei aufgrund einer Vorverurteilung in Griechenland zwar keine Erstverbüßerin, sie befinde sich jedoch erstmals in der Bundesrepublik Deutschland in Untersuchungshaft. Hier sei sie besonders haftempfindlich, weil sie der deutschen Sprache nicht mächtig sei und über keinerlei soziale und familiäre Bindung verfüge. Auf der anderen Seite habe sie neben der Einfuhr von Cannabis noch einen weiteren Straftatbestand tateinheitlich verwirklicht und sei in Griechenland bereits einschlägig vorbestraft.

Zu dieser Vorverurteilung hat das Landgericht festgestellt, dass die Angeklagte durch das Oberlandesgericht Nordägäis am 9. Juli 2018 wegen „unerlaubten Handelns mit nicht ausschließlich für den persönlichen Gebrauch bestimmten Betäubungsmitteln, psychotropen Stoffen und Drogenaustauschstoffen“ zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden war. Sie hatte am 11. August 2017 gemeinsam mit einer weiteren Person in Griechenland auf dem Seeweg 5.945 Gramm Cannabisextrakte sowie 4 Gramm verarbeitetes Cannabis, jeweils zum Weiterverkauf bestimmt, auf die Insel Lesbos transportiert. Die Angeklagte befand sich damals für elf Monate in Untersuchungshaft und wurde mit der Urteilsverkündung aus der Haft entlassen.

II.

Die Revision ist überwiegend begründet. Die Zumessung der Freiheitsstrafe erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft, so dass es auf die Einwände der Revisionsführerin gegen die Strafaussetzung zur Bewährung nicht ankommt.

1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es hat auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 17. September 1980 - 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320 mwN). In diesem Rahmen kann eine „Verletzung des Gesetzes“ (§ 337 Abs. 1 StPO) vorliegen. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 9. Oktober 2024 - 2 StR 103/24, Rn. 20 mwN).

2. Diesen Maßstäben genügen die Urteilsgründe nicht.

a) Die Strafkammer hat zwar zutreffend die einschlägige Vorverurteilung in Griechenland strafschärfend berücksichtigt. Sie hat indes gleichzeitig strafmildernd gewertet, dass die Angeklagte in der Bundesrepublik Deutschland bisher nicht vorbestraft ist. Sie hat dabei übersehen, dass nur das Fehlen von Vorstrafen strafmildernd zu berücksichtigen ist, wohingegen Vorverurteilungen - ausschließlich - zu Lasten des Täters wirken (vgl. BGH, Urteile vom 15. Juli 2020 - 2 StR 288/19, Rn. 23, und vom 25. Januar 2023 - 1 StR 284/22, Rn. 19 f.). Insoweit sind einer Verurteilung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die gleichen tatsächlichen bzw. verfahrens- und materiellrechtlichen Wirkungen zuzuerkennen wie einer inländischen Verurteilung, sofern die Tat - wie hier - nach deutschem Recht strafbar und eine Eintragung der Verurteilung nicht tilgungsreif wäre (vgl. BGH, Urteile vom 29. September 2021 - 2 StR 174/21, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 14 Rn. 17, und vom 25. Januar 2023 - 1 StR 284/22, Rn. 20; Beschlüsse vom 19. Oktober 2011 - 4 StR 425/11, NStZ-RR 2012, 305, und vom 3. Juli 2019 - 4 StR 256/19).

Die Strafkammer hat darüber hinaus neben der besonderen Haftempfindlichkeit der Angeklagten zu deren Gunsten berücksichtigt, dass sie sich, wenngleich keine Erstverbüßerin, erstmals in der Bundesrepublik Deutschland in Untersuchungshaft befunden habe. Der - auch erstmalige - Vollzug von Untersuchungshaft ist aber regelmäßig für die Strafzumessung ohne Bedeutung, weil die Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet wird (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2023 - 4 StR 298/22, Rn. 28 mwN).

b) Angesichts der erheblichen Einfuhrmenge von 17.182,4 Gramm Cannabis (Wirkstoffgehalt 17,1 %) und 16.957,6 Gramm Cannabis (Wirkstoffgehalt 16,7 %) sowie der von der Angeklagten als dominierende Mittäterin begangenen Tathandlungen kann der Senat nicht ausschließen, dass die Strafkammer ohne die aufgezeigten Rechtsfehler auf eine höhere Freiheitsstrafe erkannt hätte.

Es kommt daher nicht darauf an, dass eine rechtsfehlerfrei zugemessene Freiheitsstrafe von zwei Jahren entgegen der Revision der Staatsanwaltschaft für sich genommen noch nicht gegen den Grundsatz eines gerechten Schuldausgleichs verstoßen hätte. Es ist der Revisionsführerin zwar zuzugeben, dass die Freiheitsstrafe angesichts der Größenordnung des durchgeführten Cannabistransports sehr milde erscheint. Der Bundesgerichtshof hat jedoch in der Vergangenheit in - hier einschlägigen - Kurierfällen nur vereinzelt allein aufgrund der Art sowie der Menge und des Wirkstoffgehalts der gehandelten Drogen in die den Tatgerichten zugewiesene Strafzumessung unter dem Gesichtspunkt des nicht mehr gerechten Schuldausgleichs eingegriffen, sei es, weil die Strafe unvertretbar milde (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 1989 - 3 StR 368/89, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 8 zum Handel mit Haschisch bei einer 315-fachen Überschreitung der nicht geringen Menge; vgl. auch BGH, Urteile vom 1. September 1993 - 2 StR 263/93, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 25, und vom 14. Juni 2007 - 3 StR 176/07, NStZ-RR 2007, 321) oder unvertretbar hoch war (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2021 - 1 StR 136/21, Rn. 10 ff.; Beschluss vom 23. Februar 2010 - 5 StR 548/09, Rn. 13). Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des Konsumcannabisgesetzes die Mindeststrafe für die Einfuhr von Cannabis in nicht geringer Menge von zwei Jahren Freiheitsstrafe (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) auf drei Monate Freiheitsstrafe (§ 34 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 4 KCanG) und das Höchstmaß der Freiheitsstrafe von fünfzehn Jahren auf fünf Jahre reduziert. Er hat damit die täterschaftliche Einfuhr von Cannabis in nicht geringer Menge nicht nur zu einem Vergehen herabgestuft, sondern auch die Strafzumessungsschuld erheblich reduziert (vgl. zur Begrifflichkeit Sander, in: Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 574 ff.).

3. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft, die auch die Aufhebung der Feststellungen beantragt hat, bleibt ohne Erfolg. Die Feststellungen weisen keinen Rechtsfehler auf; sie sind von den aufgezeigten Wertungsfehlern nicht betroffen und haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen, sind dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht - wie stets − möglich.

4. Die im Umfang der Anfechtung gebotene Überprüfung des Strafausspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 301 StPO).

5. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird Gelegenheit haben, genauer als bisher die errechnete Menge des eingeführten Tetrahydrocannabinols in den Blick zu nehmen. Angesichts des jeweils festgestellten Gesamtgewichts von 17.182,4 Gramm Cannabis (Wirkstoffgehalt 17,1 %) und 16.957,6 Gramm Cannabis (Wirkstoffgehalt 16,7 %) erschließen sich die vom Landgericht ermittelten Mengen von 2.666,8 Gramm THC (rechnerisch 2.938,2 Gramm) bzw. 2.569,8 Gramm THC (rechnerisch 2.831,9 Gramm) nicht.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1143

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede