HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 320
Bearbeiter: Fabian Afshar
Zitiervorschlag: BGH, StB 1/24, Beschluss v. 24.01.2024, HRRS 2024 Nr. 320
1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 6. Dezember 2023 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
1. Das Oberlandesgericht hat den Beschwerdeführer am 3. April 2017 wegen Verabredung zum Mord in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und mit Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe sowie von Patronenmunition und wegen Gründung einer und mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Das Urteil ist seit dem 20. März 2019 rechtskräftig.
Den im Urteil getroffenen Feststellungen zufolge schloss sich der Verurteilte im Dezember 2012 mit drei Mitverurteilten zu einer Gruppe zusammen, um gemäß ihrer radikalislamistischen Ideologie „Beleidiger“ des Propheten Mohammed, insbesondere Mitglieder der Partei Pro NRW, zu töten. Der Verurteilte stellte dazu eine funktionsfähige halbautomatische Kurzwaffe nebst Patronenmunition zur Verfügung. Ein Mitverurteilter beschaffte eine andere halbautomatische Schusswaffe samt Munition. Für beide Waffen baute der Verurteilte zwei Vorrichtungen aus Kunststoffrohren als „Schalldämpfer“. Er und die Mitverurteilten erkundeten die Privatanschriften mehrerer Mitglieder der Partei Pro NRW und fokussierten sich schließlich auf deren Vorsitzenden als Zielperson ihrer Anschlagspläne. Sie kamen überein, diesen durch ein Attentat an seiner privaten Wohnanschrift zu töten. Nach verschiedenen Erwägungen fassten sie schließlich den Plan, sich morgens vor dem Haus zu verstecken und ihn beim Heraustreten aus der Tür zu erschießen. Ein Mitverurteilter sollte als Schütze fungieren, der Verurteilte sich als zweiter Schütze in der Nähe bereithalten. Vor der geplanten Tatausführung am Morgen des 13. März 2013 wurden der Verurteilte und die Mitverurteilten festgenommen.
Das Oberlandesgericht hat es durch den angefochtenen Beschluss abgelehnt, die Vollstreckung des Strafrestes nach der - bereits am 6. April 2021 erreichten - Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung auszusetzen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten hat keinen Erfolg.
2. Das zulässige Rechtsmittel ist unbegründet. Die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung kann, wie vom Oberlandesgericht zutreffend dargelegt, derzeit unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB).
a) Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB setzt die Aussetzung der Vollstreckung des Rests einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung voraus, dass dem Verurteilten eine günstige Prognose für eine Legalbewährung in Freiheit gestellt werden kann. Dabei sind an die Erwartung künftiger Straffreiheit umso strengere Anforderungen zu stellen, je gewichtiger die durch einen möglichen Rückfall bedrohten Rechtsgüter sind. Die vorzunehmende Abwägung zwischen den zu erwartenden Wirkungen der bereits erlittenen Freiheitsentziehung und dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit kann auch bei terroristischen Verbrechen zu dem Ergebnis führen, dass es verantwortbar ist, vom weiteren Strafvollzug abzusehen; die Voraussetzungen für eine positive Kriminalprognose dürfen in diesem Bereich nicht so hoch angesetzt werden, dass dem Verurteilten letztlich kaum eine Chance auf vorzeitige Verschonung von der Haft bleibt. Insbesondere wenn sich ein terroristischer Straftäter im Vollzug ordnungsgemäß führt und von seiner früheren Bereitschaft, Gewalttaten zu begehen oder zu fördern, glaubhaft distanziert, kann eine Strafrestaussetzung in Betracht kommen. Dazu ist es letztlich nicht zwingend erforderlich, dass der Verurteilte, der seine Tat während des gesamten Strafverfahrens und im Vollzug bestritten hat, sein strafbares Verhalten nunmehr einräumt (s. insgesamt BGH, Beschluss vom 2. November 2022 - StB 43/22, NJW 2022, 3729 Rn. 6 mwN).
b) Daran gemessen kann eine Haftentlassung zur Bewährung nicht verantwortet werden. Zwar stellt es, wie vom Oberlandesgericht näher ausgeführt, für die Prognose günstige Umstände dar, dass der zuvor unbestrafte Verurteilte sich erstmals in Haft befindet und diese einschließlich der vorangegangenen Untersuchungshaft inzwischen annähernd elf Jahre andauert, er sich im Vollzug weitgehend regelkonform verhält und weiter Kontakt zu seiner Familie hat. Demgegenüber ist aber vor allem einzubeziehen, dass das Motiv der erheblichen Straftaten die kämpferisch-islamistische Überzeugung des Verurteilten war und er seine kriminogene Einstellung weder ersichtlich hinterfragt noch nachvollziehbar aufgegeben hat.
Hieran ändert die in der Beschwerdebegründung vorgebrachte Erwägung nichts, bei fortbestehenden extremistischen Tendenzen wäre gerade die Teilnahme an einem Aussteigerprogramm zu erwarten, um eine frühzeitige Entlassung zu erreichen. Unabhängig davon, ob solche Überlegungen aus Sicht eines Verurteilten plausibel erscheinen und inwieweit die bloße Teilnahme an derartigen Maßnahmen einen positiven Gesichtspunkt darstellt, erlaubt dies jedenfalls nicht den Umkehrschluss, dass die Ablehnung der Teilnahme gerade auf eine bereits vollzogene Änderung hindeutet.
Im Übrigen ist zu beachten, dass nicht nur Anhaltspunkte für eine Abkehr von der zu den Taten führenden Einstellung fehlen, sondern überdies Indizien für deren Fortbestand vorliegen. So trug der Verurteilte über fünf Jahre nach den Taten im April 2018 in Untersuchungshaft - nach Verkündung, aber noch vor Rechtskraft des Urteils - in seinem Hosenbund einen Brief mit Ausführungen zur improvisierten Umrüstung von Schusswaffen mit dem Ziel größerer Verletzungswirkung und deren Nützlichkeit für ein Attentat „vor allem in dicht bebautem Gebiet“ sowie Zeitungsartikel über Anschläge und Entführungen durch islamistische Terroristen mit sich. Zudem bestand jedenfalls noch im Jahr 2020 ein Briefwechsel mit einer in der islamistischen Szene fest verwurzelten Person.
c) Die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe ist entgegen dem Beschwerdevorbringen, auch unter Beachtung des durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG verbürgten Freiheitsrechts des Verurteilten sowie der gebotenen Resozialisierungsbemühungen, nicht unverhältnismäßig.
Soweit der Beschwerdeführer namentlich Möglichkeiten einer Aus- und Fortbildung sowie Vollzugslockerungen vermisst und daher von einer Unverhältnismäßigkeit der weiteren Strafhaft ausgeht, hängen diese ihrerseits regelmäßig von Gefahrprognosen ab (vgl. etwa § 53 Abs. 1 StVollzG NRW) und sind daher nicht völlig losgelöst von der fehlenden Tataufarbeitung zu beurteilen. Dies gilt ebenso je nach konkreter Ausgestaltung für Ausbildungen, beispielsweise für die vom Verurteilten hauptsächlich angestrebten Kenntnisse als Zerspanungsmechaniker, zumal vor dem Hintergrund, dass er nach den Urteilsfeststellungen waffenaffin war und für die beiden zur Tatbegehung vorgesehenen Schusswaffen zwei Vorrichtungen als „Schalldämpfer“ hergestellt hatte.
Ferner erscheint die Bedeutung einer Ausbildung für die Resozialisierung gegenüber anderen Fällen insofern weniger gewichtig, als die Straftaten nicht mit einer fehlenden beruflichen Perspektive des bereits über eine Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt verfügenden Verurteilten, sondern mit seinen militant-islamistischen Überzeugungen in Zusammenhang standen. Hierzu sind ihm Gesprächsangebote gemacht worden, die er indes ablehnt.
Schließlich ist insbesondere das von der früheren Straftat sowie bei erneuter, ähnlich gelagerter Delinquenz bedrohte Rechtsgut des Lebens von solchem Gewicht, dass bei einer umfassenden Würdigung das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit das Freiheitsrecht des Verurteilten trotz des langdauernden Vollzuges überwiegt.
d) Der Hinzuziehung eines Sachverständigen hat es hier, entsprechend den Ausführungen des Oberlandesgerichts, nicht bedurft, da davon unter den gegebenen Umständen keine weitergehenden entscheidungserheblichen Erkenntnisse zu erwarten sind und nicht jede Prüfung, ob der Rest einer Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, zur Begutachtung des Verurteilten gemäß § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO verpflichtet (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 15. November 2022 - StB 50/22, NStZ-RR 2023, 29 mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 320
Bearbeiter: Fabian Afshar