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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 896

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 214/24, Beschluss v. 26.02.2025, HRRS 2025 Nr. 896


BGH 2 StR 214/24 - Beschluss vom 26. Februar 2025 (LG Gera)

Verständigung (fehlende ausdrückliche Zustimmung des Angeklagten; Beruhen).

§ 257c Abs. 3 Satz 4 StPO; § 337 Abs. 1 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Die nach § 257c Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und Satz 4 StPO erforderliche Zustimmung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft zu einer Verständigung bewirkt deren formwirksames Zustandekommen. Sie ist als gestaltende Prozesserklärung unanfechtbar und unwiderruflich. Die Zustimmung zum Verständigungsvorschlag muss deshalb - nicht zuletzt wegen der Bindungswirkung - ausdrücklich erfolgen. Eine nur konkludente Erklärung des Angeklagten reicht nicht aus.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 28. November 2023, soweit es sie betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte „der gewerbsmäßigen unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubtem Handeltreiben von Betäubungsmitteln und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben von Betäubungsmitteln und unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln, des Bestimmens von Minderjährigen zum unerlaubten Veräußern von Betäubungsmitteln in fünf Fällen, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen sowie des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 15 Fällen“ schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und einen Vorwegvollzug angeordnet sowie Einziehungsentscheidungen getroffen. Die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten hat mit der Rüge einer Verletzung von § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO Erfolg; auf die Sachrüge kommt es nicht an.

1. Die zulässig erhobene Rüge der Verletzung von § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO ist begründet.

a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

In der Hauptverhandlung vom 16. Oktober 2023 unterbreitete der Vorsitzende unter Bezugnahme auf zuvor geführte Rechtsgespräche mit den Verfahrensbeteiligen einen Verständigungsvorschlag, der entsprechend protokolliert wurde. In den folgenden Hauptverhandlungsterminen vom 23. und 27. Oktober 2023 gaben die Verteidiger der Angeklagten eine Erklärung und für sie eine Einlassung zur Sache ab, die sie bestätigte und sich auf Nachfrage weiter zur Sache äußerte. Die Angeklagte hatte weder dem Verständigungsvorschlag der Strafkammer zugestimmt noch war sie gemäß § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden. Das Landgericht ist von einer wirksamen Verständigung gemäß § 257c StPO entsprechend seinem Vorschlag vom 16. Oktober 2023 ausgegangen.

b) Es liegt ein Verstoß gegen § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO vor. Wegen der fehlenden Zustimmung der Angeklagten zum Vorschlag des Gerichts ist keine wirksame Verständigung zustande gekommen.

Gemäß § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO kommt eine Verständigung in der Hauptverhandlung zustande, wenn das Gericht ankündigt, wie die Verständigung aussehen könnte (§ 257c Abs. 3 Satz 1 StPO), und wenn der Angeklagte sowie die Staatsanwaltschaft zustimmen (§ 257c Abs. 3 Satz 4 StPO). Eine solche Zustimmung bewirkt das formwirksame Zustandekommen der Verständigung. Sie ist als gestaltende Prozesserklärung unanfechtbar und unwiderruflich (BGH, Beschluss vom 23. Juli 2019 - 1 StR 169/19, StraFo 2019, 467 f. mwN). Die Zustimmung zum Verständigungsvorschlag muss deshalb - nicht zuletzt wegen der Bindungswirkung - ausdrücklich erfolgen. Eine nur konkludente Erklärung des Angeklagten reicht nicht aus (vgl. BGH, aaO, mwN).

Ein solcher Ablauf hat nach dem durch das Protokoll der Hauptverhandlung belegten Vortrag der Beschwerdeführerin nicht stattgefunden. Die für das Zustandekommen der Verständigung notwendige Zustimmungserklärung der Angeklagten ist nicht abgegeben worden. Es kommt hier deshalb auch nicht mehr darauf an, dass die zulässig erhobene Rüge der Verletzung des § 257c Abs. 5 StPO ebenfalls Erfolg gehabt hätte.

c) Das Geständnis der Angeklagten kann durch das rechtsfehlerhafte Verfahren zur Verständigung beeinflusst sein. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil - wegen der in den Urteilsfeststellungen dargestellten engen Zusammenhänge zwischen allen verfahrensgegenständlichen Taten - im Sinne des § 337 StPO vollumfänglich auf dem Verfahrensfehler beruht, denn das Gericht hat der von der Angeklagten gebilligten Verteidigererklärung und den von ihr selbst auf Vorhalte oder Befragungen abgegebenen Erklärungen erhebliche Bedeutung für die Beweiswürdigung beigemessen und dies umfassend begründet.

2. Von dem Rechtsfehler sind die Feststellungen mitbetroffen, die insgesamt der Aufhebung unterliegen (§ 353 Abs. 2 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 2025 - 2 StR 330/24, Rn. 8 mwN). Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des Urteils nur bei der Beschwerdeführerin, die den Verstoß gerügt hat; ein Anwendungsfall des § 357 Satz 1 StPO ist nicht gegeben (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1962 - 1 StR 554/61, BGHSt 17, 176, 178 f.).

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 896

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede